Der Grossmeister des Kleinen

Monumentalität des Banalen: Auf der Suche nach dem reinen Kino hat Eric Rohmer dem Alltag immer neue

Facetten abgerungen. Der Filmclub 813 widmet dem Nouvelle-Vague-Regisseur zum 85. Geburtstag eine Werkschau

Es ist leicht, Filme von Eric Rohmer zu erkennen. Trotzdem fällt es schwer zu ergründen, was sie eigentlich so unverwechselbar macht. Zunächst springt ihr Realismus ins Auge, andererseits hat der Regisseur in »Wintermärchen« (1991) und »Das grüne Leuchten« (1986) aber auch von absurden Begebenheiten erzählt. Darüber hinaus erweist sich ihre vermeintliche Leichtigkeit oft als trügerisch. Nicht nur das junge Mädchen aus der »Frühlingserzählung«, das die neue Lebensgefährtin ihres Vaters nicht akzeptiert und ihn mit ihrer Freundin verkuppeln will, hat durchaus etwas Tragisches. Als Ethnologe des Alltags betätigt sich der Filmemacher ebenfalls nicht durchgängig, immer wieder greift er gern auf literarische oder historische Stoffe zurück.
Seine Werke sind Autoren-Filme ohne Autor. Sie entziehen sich allen Zuschreibungen – aus Prinzip. Rohmer und seine Genossen von der Nouvelle Vague fochten schon in den 50er Jahren einen erbitterten Kampf gegen »eine gewisse Tendenz im französischen Kino«, wie es im Titel des berühmten programmatischen Aufsatz von François Truffaut hieß. Die damaligen Kritiker wandten sich gegen ein »Kino
der Qualität«, dessen Renommee auf ambitionierten Stoffen, geschmackvoller Umsetzung und gesellschaftspolitischem Anspruch beruhte. Auf der Suche nach dem reinen Kino fanden sie dagegen Inspirationen bei den kulturell wertlosen, hemmungslos kommerziellen, geradlinigen Hollywood-Produktionen. »Film – das ist die Inszenierung von Körpern im Raum«, so lautete ihr einfacher Grundsatz.
Der Raum, in dem Rohmer die Körper inszeniert, ist meist der des bürgerlichen Alltagslebens. Seine Filme spielen bevorzugt in den Pariser Vororten, den Metros, Cafés, Büros oder Landhäusern. Nur selten fallen hier Menschen von einem anderen Stern – dem proletarischen – ein. Es ist eine auf Ewigkeit angelegte, profane, befriedete Welt, die Rohmers Kino zweifellos bejaht. Gewalt war lediglich zu ihrer Erschaffung nötig, was der zur Zeit der Französischen Revolution spielende »Die Lady und der Herzog« (2001) ausgiebig darstellt. In der Gegenwart aber regelt allein die Sprache den Verkehr zwischen den Menschen. Große Abenteuer gibt es nicht mehr zu bestehen – schlechte Zeiten für Geschichten. Eric Rohmer zieht sich aus der Bredouille, indem er in dem Zyklus »Komödien und Sprichwörter« das kleine Universum sich in seinen eigenen Lebensweisheiten spiegeln lässt und um sie herum kleine ironische Lehrstücke entwirft.
Gern ersetzt er dabei das, was dem Hollywood-Helden seine Mission ist, durch eine fixe Idee und treibt auf diese Weise seine Handlungen voran. So verfolgt Sabine in »Die schöne Hochzeit« (1981) beharrlich das Ziel, einen um vieles älteren Rechtsanwalt vor den Traualtar zu zerren. »Action« kann sich nur ergeben, wenn die Figuren Kämpfe gegen sich selbst austragen. Und das tun sie nicht zu knapp: Worte gegen Taten, Gefühl gegen Verstand und Prinzipien gegen Empirie lauten einige dieser Konflikte.
Der verheiratete Frédéric aus »Liebe am Nachmittag« (1972) ringt beispielsweise den ganzen Film über mit der Versuchung, sich mit einer alten Freundin einzulassen. Als freie Menschen in einer freien Welt, haben die Protagonisten ihre liebe Mühe damit, Entscheidungen zu fällen. Momente der Klarheit zeigt Rohmer deshalb als veritable Akte der Gnade. »Das grüne Leuchten« bringt Delphine wirklich eine Erleuchtung, weil es ihr ermöglicht, in ihrer Seele und der der anderen zu lesen. Und Félice aus »Wintermärchen« hat in der Kirche eine Vision, die ihr den Weg weist.
Ohne diese Erweckungserlebnisse verlieren sich Rohmers Helden oftmals in sich selbst und merken wie Louise in »Vollmondnächte« (1984) gar nicht, wie sie sich den anderen dadurch entfernen. Als ausdifferenzierte Persönlichkeiten ziehen sie einzeln ihre Bahnen in einem abgeschlossenen Kosmos, und auch die Liebe vermag keine Brücken zu bauen. Wenn Mann und Frau unterschiedliche Interessen haben, vom Alter her zu weit auseinander liegen oder ihre Temperamente sich nicht entsprechen, hat ihr Glück in der Regel keine großen Chancen. Die bürgerliche Liebesordnung ist alles andere als romantisch.
Entsprechend profan setzt der Filmemacher diese Welt in Szene. Wo immer es geht, benutzen seine Kameraleute natürliche Beleuchtungsquellen, oder sie schaffen wie Renato Berta in »Vollmondnächte« ein indirektes, neutrales undramatisches Licht. Unausweichliche Ausflüge in das soziale Leben seiner Schützlinge hakt er oft mit inserthaften Kurzeinstellungen ab. Und er kommt zumeist recht schnörkellos ohne lange Exposition zur Sache, die nie eine große ist.
Aber dennoch erschafft Eric Rohmer durch die Intensität seiner Oberflächen-Kontakte eine Art Monumentalität des Banalen. Umfassender entfaltete Persönlichkeiten sieht man selten. Gerade in ihrer Unscheinbarkeit kommen die Figuren einem manchmal wie die ersten Menschen in der Filmgeschichte vor.

Die bis in den Sommer laufende Werkschau
beginnt am 3.4. (Kino in der Brücke, 20 Uhr) mit einer Einleitung von Rohmer-Übersetzer Marcus
Seibert, danach wird »Das grüne Leuchten« gezeigt. .