Normale Treue zum Regime

Im April 1945 war der Zweite Weltkrieg auch in Köln-Brück vorbei

Vor sechzig Jahren, am 12. April 1945, rollten amerikanische Panzer über die Olpener Straße in den ruhigen Kölner Vorort Brück ein. Fünf Wochen lang hatte sich Brück gemeinsam mit den anderen rechtsrheinischen Vierteln in einer besonderen Lage befunden: Das linksrheinische Köln war schon am 6. März von den Amerikanern erobert worden (siehe StadtRevue 3/05), das Rechtsrheinische gehörte aber noch zu Nazi-Deutschland.

»Die Parteibonzen verschwanden mit dem LKW«

»Wir waren am 11. April 1945 nachmittags beim fröhlichen Floßfahren auf dem Löschteich, als ein 16-jähriger Nachbar, mit dem Fahrrad von Rath kommend, uns zurief: ›Die Amis sind in Rath!‹«, schreibt Josef Schultens in seinen Erinnerungen an das Kriegsende in Brück. Er war damals 14 Jahre alt. »Wir verbrachten eine unruhige Nacht, teils im Luftschutzkeller der Schule, teils die Ereignisse draußen beobachtend. In dieser Nacht stiegen die Brücker Parteibonzen mit ihren Familien auf einen LKW und verschwanden. Im Morgengrauen des 12. April 1945 kamen amerikanische Panzereinheiten von der Rösrather Straße schießend über die Felder und dann über das Flugfeld in Richtung Hauptgebäude des Fliegerhorstes, dort wo heute an der Olpener Straße die Firma Madaus und die Krankenanstalten sind.«
Seine Erinnerungen hat Schultens Anfang der 90er Jahre aufgeschrieben, nachdem der Historiker Fritz Bilz von der »Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück« ein Zeitzeugen-Interview mit ihm geführt hatte. Brück ist ein normaler Kölner Vorort mit ruhigen Wohnstraßen und einem dörflichen Kern. Normal war auch die Unterstützung, die die Nationalsozialisten von Brücker Bürgerinnen und Bürgern bekamen. Ganz in der Tradition der so genannten »Geschichte von unten« erinnert die Geschichtswerkstatt immer wieder daran – und auch an den Umgang mit dieser Vergangenheit nach dem Krieg: »Vor Ort war ja zum Beispiel bekannt, dass der stellvertretende Ortsgruppenleiter schon bald nach dem Krieg sein Anstreicher-Geschäft wieder aufgemacht hatte«, sagt der 60-jährige Bilz.

Eine Geschichte, zwei Vereine

Die Arbeit der 1988 gegründeten Geschichtswerkstatt ist konkret – manchem Brücker zu konkret. 1994 gründete sich eine zweite Initiative mit dem Namen »Unser Brück. Geschichts- und Heimatverein«.
Man könnte meinen, inzwischen wäre das provokative Potenzial der »Geschichte von unten« erschöpft. Dass die deutsche Gesellschaft auch im Alltag vor Ort vom Nationalsozialismus durchdrungen war, scheint allgemein bekannt. Doch in Brück provoziert die Geschichtswerkstatt noch immer: »Wenn ich deren Forschungsergebnisse sehe, glaube ich, dass ich in einem anderen Ort lebe«, zitiert die taz Hans Kirsten vom Brücker Heimat- und Geschichtsverein. Im Gespräch mit der StadtRevue will sich Kirsten nicht weiter äußern: »Das ist mir nicht der Mühe wert. Wir sind ein ganz seriöser Geschichtsverein.«
Der Konflikt liegt im Selbstbild. Bilz wehrt sich auch mit Blick auf das Kriegsende in Brück gegen entlastende Interpretationen, die Deutsche vor allem als Opfer sehen. Beispiel Plünderungen: »Die Deutschen haben im Krieg nicht gehungert«, sagt Bilz. Der Staat konnte sie gut versorgen, weil er die besetzten Länder ausraubte. Erst im Chaos der letzten Kriegswochen wurde die Versorgungslage schlecht – und auch aus Brück wagten sich Menschen trotz Beschuss durch die amerikanischen Soldaten auf der gegenüber liegenden Rheinseite in den Deutzer Hafen, wo noch Kisten mit Butterschmalz lagerten. »Ab Januar 1945 wurde systematisch geplündert«, sagt Bilz. »Ich verurteile das gar nicht, das ist verständlich – nur muss man das dann auch den Zwangsarbeitern zugestehen. Die Deutschen wurden immer als Opfer dargestellt, die sich etwas ›organisierten‹ – und die Zwangsarbeiter galten als Kriminelle, die plünderten.«

Weiße Fahnen, kämpfende Soldaten

Während dieser letzten Wochen vor Kriegsende lag Brück im so genannten Ruhrkessel, der von Köln bis ins Ruhrgebiet reichte. Die Amerikaner waren auf einer nicht zerstörten Brücke bei Remagen über den Rhein gekommen und näherten sich aus Richtung Siegburg. »Die meisten Brücker Häuser waren mit weißen Laken beflaggt zum Zeichen, dass man nicht gewillt war, den amerikanischen Truppen Widerstand zu leisten. Man wollte überleben«, erzählt Schultens.
Obwohl in Deutschland nur noch einige Inseln wie der Ruhrkessel von den Nazis kontrolliert wurden, reichte die Treue mancher Deutscher zu dem Regime aber so weit, dass selbst beim Einrollen der ersten amerikanischen Panzer in Brück am 12. April auf der Olpener Straße noch gekämpft wurde. Schultens: »Zwei deutsche Fallschirmjägersoldaten in gefleckten Tarnuniformen waren aus der Richtung der Straßenbahnhaltestelle entlang des Flehbachs geschlichen, hatten sich mit einer Panzerfaust hinter die Begrenzungsmauer des Hauses gestellt und auf den ersten der vier Panzer geschossen.« Am selben Tag war der Zweite Weltkrieg in Brück zu Ende.

VERANSTALTUNG
Zur Erinnerung an den April 1945 in Brück veranstaltet die Geschichtswerkstatt eine szenische Lesung zu den Themen Evakuierung, Kriegsgefangenschaft, Zwangsarbeit und Kriegsende. Werkstattmitglieder lesen aus Zeitzeugen-Interviews und stellen sie in den geschichtlichen Kontext.
14.4., 20 Uhr, in der Scheune von Gut Wistorfs, Olpener Str. 845