der Doppelkopf

Rock ist dem Monopolkapitalismus unterworfen und kann dennoch eine subversive Botschaft transportieren, sagt Ian Svenonius. Felix Klopotek traf den exzentrischen Sänger zum Interview

Ian Svenonius ist der Star der Geheimgeschichte des Rocks. Er war Frontmann der Nation of Ulysses, einer der unkonventionellsten Hardcore-Gruppen. Jazz, Soul und den Protopunk von MC5 fusionierte die Gruppe mit dem knochentrockenen Postpunk der Washingtoner Szene. Und sie waren stilbewusst: Anzüge, Krawatten, hochgegelte Frisuren, choreographierte Auftritte. Überraschend löste sich die Band 1992 auf.
Wenig später ruft Svenonius The Make Up ins Leben. Noch stilbewusster, noch inszenierter, noch mehr situationistischer Revolutionspathos. Svenonius gibt die aufgedonnerte Diva, zuckt und zappelt auf der Bühne wie eine Mischung aus James Brown und Mick Jagger, sein Gesang kippt zwischen laszivem Hauchen und Falsettgekreische. Auch The Make Up lösen sich überraschend auf. Knapp fünf Jahre ist das her.
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass Svenonius eine neue Band hat, die Make Up beerbt, aber kaputter, gebrochener und ziemlich verspult klingt: Weird War. Im Mai folgt ihre zweite Europatour.
Svenonius bemüht sich, beim Interview nicht exaltiert zu sein. Er ist aufmerksam und eloquent, aber irgendwas brodelt da in ihm. Er blättert die ganze Zeit in einem Magazin, pocht auf den Tisch, nestelt an seinen Klamotten, klappert mit der Espressotasse.

StadtRevue: The Make Up haben den Sound der angesagten Retro-Rockbands, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind, vorweggenommen. Wirst Du auf eure Vorreiterrolle häufig angesprochen?

Ian Svenonius: Nicht sehr häufig, die meisten Leute sind gegenüber der Geschichte generell ignorant, ihre Aufmerksamkeitsspanne reicht drei Wochen. Besonders wenn es um Rockmusik geht. Natürlich gibt es ein Geschichtsbewusstsein im Rock. Aber es basiert auf einer komplett gefälschten Geschichte. Das ist meine große Obsession. Nimm die Geschichte der modernen Folk-Musik, bevor sie zur Hippie-Bewegung transformiert wurde. Sie verkörperte das Ideal des Hobo, des Umherziehenden, des Wanderarbeiters - als Erinnerung an die amerikanischen Klassenkämpfe der ersten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts. Aber auch als Symbol der Abgrenzung vom reaktionären Wirtschaftswundertraum und der Bejahung radikaler Egalität. Dieses Szenario war die Blaupause der Hippie-Bewegung. Sie transformierte Folk in eine universell verwertbare Ware, lud sie mit Mystizismus und Drogengewaber auf. Heute gelten die Hippies als großes Ereignis der Popkultur, während die Folkbewegung allenfalls für eine Randbemerkung gut ist. Das gilt als Spinnerkram. Wer will sich damit abgeben? Jeder will auf der Seite der Sieger stehen. Also stilisieren wir die Hippies zum Symbol einer Gegenkultur. Dabei markierten sie ihr Ende.

Ist das wirklich ein substantieller Vorwurf zu behaupten, Rockgeschichte würde auf Fakes beruhen? Rock und Fake gehören doch zusammen. Jeder Szene ging es darum, ihre eigene Geschichte zu entwerfen, eine Tradition zu konstruieren, in die man sich dann stolz einordnet.

Sich-Selbsterfinden, das ist Mittelklasseideologie. Rock ist davon die religiöse Überzeichnung. Rock ist eine neue Religion, die in dem historischen Moment auf den Plan trat, als die christlich-calvinistische Ethik – »Arbeite jetzt und verschiebe Genuss und Erlösung auf das Jenseits!« – ausgedient hatte. Ich rede von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Wirtschaft war komplett mobilisiert, es gab Vollbeschäftigung, die Arbeiter hatten soviel Geld in den Taschen wie noch nie zuvor. Dieses Geld floss nun in die Konsummärkte. Die Leute sollten kaufen – und konsumieren. Jetzt und sofort! Das benötigte die entsprechende Religion, keine asketische mehr, sondern eine hedonistische. Gleichzeitig sollten die Leute über den passiven Charakter des Konsumierens getäuscht werden. Genuss musste auch ein rebellisches Element haben. Dafür wurde der Rock erfunden: Genuss, Rebellion und Bejahung der Werte des freien Westens gehen Hand in Hand. Der frühe Rockstar war gleichzeitig der Rebell und die Widerspiegelung des großen Industriemagnaten, des »schöpferischen Zerstörers«. Die Mittelklasse definiert sich über Konsum, aber sie will das Gefühl haben, etwas Wildes und Unberechenbares zu tun, selbstbestimmt zu handeln.

Der ganze Aufruhr, den der junge Elvis verursacht hat, war also inszeniert? Warum musste dann Elvis überhaupt domestiziert werden? In der Rockrebellion hat es immer den Moment gegeben, der nicht auf die ideologischen Erfordernisse des Monopolkapitalismus zurückzuführen ist.

Es ist paradox. Du hast vollkommen recht. Es gibt eine esoterische Komponente, einen emotionalen Überschuss, der unkalkulierbar ist. Musik ist eine große Kraft, das ist überhaupt der Grund, warum sie zum Träger von Ideologie wird oder warum sie von der Gegenseite, der Jugend, der Arbeiterklasse, den Marginalisierten als Mittel der Kommunikation und der Agitation benutzt wird. Musik ist ein bedeutender Ort der Klassenkämpfe, ein umstrittener.

Wie gehen Weird War mit diesem Paradox um?

Es geht um Verantwortung. Ich trage Verantwortung. Als Sänger einer Rockband ist man ein Prediger. Rock ist die Religion – der Sänger der Pfarrer. Darüber muss ich mir im Klaren sein. Ich sehe mich in der Tradition der Befreiungstheologen. Wenn ich ein Bild wählen darf, dann das der lateinamerikanischen Priester auf der Seite der Guerilla, auf der Seite der Indiobauern in ihrem Kampf gegen die Großgrundbesitzer.

Du verstehst Dich als Sänger explizit politisch?

Es gibt nichts schlimmeres als politische Lyrik. Die ist schrecklich langweilig. Ein Songtext ist kein Essay und keine Vorlesung. Eine Vorlesung muss eindeutig sein, die Lyrik ist offen, ambivalent, muss sich auf die Musik einlassen. Mich interessiert an der Kunst nicht so sehr das Politische, sondern das Prophetische. Sergej Eisenstein hat 1938 in seinem Film »Alexander Nevsky« den Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion nicht nur vorhergesagt, er hat auch um den Kriegsverlauf gewusst. Der Schlusskampf ist das vorweggenommene Stalingrad.

Wie arbeitest Du mit Weird War?

Die Band arbeitet konsequent als Kollektiv, es gibt keinen Bandleader. Weird War ist nicht Ausdruck meiner Vorlieben, im Gegenteil: Mindestens die Hälfte der Sachen, die die Band macht, passen mir nicht. Das liegt nun mal in der Natur der Sache. So eng und kontrovers hat noch keine Gruppe gearbeitet, in der ich Mitglied war.

Aber Du hast eine sehr exponierte Rolle, Du bist der Sänger, der Frontmann...

Ich bin kein Musiker. Das ist das einzig Besondere an meiner Rolle. Ich habe kein musikalisches Talent. Ich kann unbelastet in die Songs gehen, muss mich nicht um meine Stimme oder um irgendwelche Akkorde kümmern. Das ist großartig. Ich kann mich ganz auf den Rock’n’Roll-Mythos konzentrieren, ihn aufsaugen. Das Problem der ganze Retrobands, wie es sie heute massenhaft im Rock gibt, ist, dass sie musikalisch zu gut sind. Sie machen das, was Bands wie Gang of Four oder Joy Division vor 25 Jahren gemacht haben – nur eben besser. Aber die Bands damals haben nicht Musik gemacht, damit sie später mal »verbessert« werden kann! Weird War möchte so klingen wie die Beach Boys und besser als alle Biker-Rock-Bands der frühen 70er. Daran scheitern wir. Aber nur so können wir unseren eigenen Weg finden.

Weird War, »Illuminated by the Light« ist bereits erschienen (Drag City/Rough Trade).

Weird War spielen am 10.5. um 21 Uhr im Gebäude 9. Wir verlosen 5x2 Gästelistenplätze,
E-Mail bis zum 9.5. an verlosung@stadtrevue.de, Stichwort: »Predigt«.