»Es hätte funktionieren können«

Stefan Peil war vor 25 Jahren gegen die Sanierungspläne für das Severinsviertel aktiv und bei der Stollwerck-Besetzung dabei. Heute wohnt er im letzten noch erhaltenen Teil der ehemaligen Schokoladenfabrik. Yvonne Greiner hat ihn in seiner Wohnung besucht

StadtRevue: Die Stollwerck-Besetzung hat 1980 auch überregional für Aufsehen gesorgt, und sie ist bis heute ein Mythos der neueren Kölner Stadtgeschichte. Was war das Besondere an der Besetzung?

Stefan Peil: Das Besondere war, dass die treibende Kraft, die Bürgerinitiative Südliche Altstadt (BISA), eine lange Tradition hatte, sie war im Viertel bekannt. Und es waren viele Leute dabei, die auch intellektuell etwas zu diesen Themen beitragen konnten: Stadtplaner, Architekten, Soziologen, Sozialarbeiter. Außerdem war es eine Besetzung, die am Anfang sehr geplant und strukturiert war und gestützt wurde durch die jahrelange Arbeit in diesem Stadtteil, sodass auch die einfachen Leute etwas mit der Besetzung anfangen konnten.

Das allein erklärt nicht die große politische und emotionale Ausstrahlungskraft – woher kam die?

Das lag auch daran, dass in Bezug auf die Stollwerck-Fabrik eine wundersame kölsche Vermögensvermehrung stattgefunden hatte. Das Gelände, das dem Fabrikanten Hans Imhoff gehörte, wurde von einem Gutachter damals auf einen Wert von 5,5 Millionen Mark geschätzt. Doch er verkaufte es nicht an die Stadt, sondern einen Spekulanten für 25 Millionen Mark. Die Stadt hat das Gelände dann für über 40 Millionen erworben. Das war ein ziemlicher Skandal, der die Leute aufgerüttelt hat. Vielleicht war es auch die Faszination des Namens Stollwerck, den kannte man in der ganzen Welt. Außerdem gab es im Stollwerck schon vor der Besetzung Proberäume für Künstler, Musikgruppen, und auch der Circus Roncalli war dort. Der Ort war sehr bekannt.

»Es geht doch nicht um Wohnraum für Freaks und Studenten, die sind doch privilegiert, uns geht es um die Leute, die sonst nach Chorweiler müssen«, zitiert die StadtRevue im Mai 1980 die BISA. Doch die Besetzer waren vor allem Freaks, Studenten und Alternative. War die von der Sanierung betroffene Bevölkerung in die Besetzung eingebunden?

Im Severinsviertel wohnten damals vor allem Deutsche, die überwiegend relativ alt waren, und viele Türken, Italiener, Kurden. Sie gehörten nicht zu den aktiven Besetzern, aber sie interessierten sich dafür. In den ersten Tagen, als Listen auslagen, in die man sich eintragen konnte, wenn man sich für eine der von uns geplanten Wohnungen im Stollwerck interessierte, da haben sich mehrere Hundert eingetragen. Die einfachen Leute aus dem Viertel haben uns besucht und Kuchen mitgebracht. Doch vorangetrieben wurde die Besetzung von den Privilegierten, die es sich erlauben konnten, die damit verbundenen Risiken zu tragen. Später erst kamen die Leute dazu, die tatsächlich keine Alternative hatten, die arm und wohnungslos waren, die oft suchtkrank oder psychisch labil waren. Das war natürlich keine politische Szene.

Widersprachen sich die Interessen der unterschiedlichen Szenen?

Die BISA wollte eine Bewegung lostreten, die die Stadt dazu nötigen sollte, die Bürger an der Planung zu beteiligen und Möglichkeiten zu schaffen, die Fabrik mittelfristig in preiswerte Wohnungen und Raum für Kleingewerbe und Kultur umzubauen. Dafür gab es auch präzise und durchgerechnete Pläne. Die später hinzugekommenen, oft wohnungslosen Besetzer wollten verständlicherweise für sich persönlich und sofort Wohnmöglichkeiten haben. Das war ein großer Unterschied in der Perspektive.

1974 bereits hatte die Stadt das Severinsviertel als Sanierungsgebiet ausgewiesen, die BISA war von Anfang an dagegen. Mit welchen Argumenten?

Das Sanierungskonzept sah einen Bevölkerungsaustausch vor. Die Stadt und zum Beispiel die Interessengemeinschaft Severinsviertel, in dem die Geschäftsleute zusammengeschlossen waren, wünschten kaufkraftstarke Anwohner, die es im Viertel wenig gab. Und da bei der Sanierung nicht viel mehr, sondern vor allem teurere Wohnungen entstehen sollte, musste das auch heißen, dass die Ärmeren wegziehen mussten. Das wollten wir nicht, weil wir der Auffassung waren, dass die Bevölkerungsmischung durchaus so zusammenleben konnte. Und wir waren politisch und emotional auf der Seite der Ärmeren, obwohl wir nicht dazu gehörten.

Warum habt Ihr für andere um Wohnraum gekämpft, der Euch selber eigentlich nicht interessierte?

Um materielle Vorteile ging es uns nicht. Es ging um’s Bewusstsein, wir kämpften im Stollwerck für eine bessere Gesellschaft, für mehr Partizipation auch der Armen und Unterprivilegierten. Wir hatten die Vorstellung, dass wir über Umverteilung einer gerechten Gesellschaft nahe kommen könnten. Die Beteiligung daran hat einfach Spaß gemacht.

Habt Ihr etwas bewegt?

Ja. Wir haben bewirkt, dass der Bevölkerungsaustausch im Viertel nicht in dem Maße und auch langsamer stattgefunden hat als vorgesehen war. Und wir haben erreicht, dass ein kleiner Teil der Fabrik stehen geblieben ist, in dem wir uns ja jetzt befinden. Und selbst an diesem kleinen Rest kann man sehen, dass unser Konzept eigentlich hätte funktionieren können. In diesem baulich angeblich so schwierigen Block befinden sich heute auch Sozialwohnungen, hier können Menschen gut leben. Aber wir haben nicht das ganz große Ziel erreicht, das wir hatten: mehr Beteiligung der Unterprivilegierten an politischen Prozessen. Da hat kein wesentlicher Fortschritt stattgefunden.

Ursprünglich war nicht vorgesehen, das Stollwerck-Gelände zu besetzen, es hat Verhandlungen mit der Stadt gegeben. Was hat schließlich doch zur Besetzung geführt?

Der Entschluss ist letztendlich gefallen, als wir frustriert waren, weil die Verhandlung scheiterten. Es gab bei der BISA auch viele SPD-Mitglieder, die von ihrer Partei völlig enttäuscht waren. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Herterich, genannt »das Krokodil«, war einer der Hardliner in den Verhandlungen. Die Enttäuschung hat dazu geführt, dass wir gesagt haben, jetzt beweisen wir es denen. Es gab damals außerdem eine Besetzerkultur in der BRD. Die Besetzer wurden in weiten Teilen der Bevölkerung nicht als Verbrecher und Eigentumsverletzer angesehen, sondern sie hatten eine Legitimation, nämlich für bezahlbaren Wohnraum zu kämpfen.

Worüber wurde denn verhandelt, was waren die konkreten Forderungen?

Unsere Forderung war, dass man die Fabrik nicht abreißt, sondern ernsthaft prüft, ob man die Gebäude umnutzen kann. Wir wollten, dass die Konzepte, die unsere Architekten entwickelt hatten, in die Überlegungen einbezogen werden, und dass die Bürger zu Wort kommen. Über die Frage Abriss oder nicht gab es jedoch keine Verhandlungsbereitschaft, bei keiner der großen Parteien und auch nicht in der Stadtverwaltung. Es war völlig klar: Der größte Teil sollte abgerissen werden. Wir hatten auch vernünftige ökonomische Argumente, unsere Idee der Umnutzung war viel billiger als die Abriss- und Neubaupläne der Stadt. Doch das spielte alles keine Rolle. Angesichts der aufgedeckten Skandale der letzten Jahre fragt man sich nachträglich fast zwangsläufig, ob da vielleicht auch noch andere Interessen im Spiel gewesen sein könnten. Ich weiß es nicht, aber heute käme mir der Gedanke.

Die Besetzung endete wiederum in Verhandlungen mit der Stadt. Warum?

Uns war klar, dass man diese riesige Fabrik nicht lange besetzt halten und illegal in Wohnraum umwandeln kann. Das Ziel der BISA war, die Stadt durch die Besetzung zu Verhandlungen zu zwingen, die zu besseren Ergebnissen führen sollten.

Das Verhandlungsergebnis war ein Kompromiss. Wart Ihr damit zufrieden?

Nein. Insbesondere weil schnell klar wurde, dass die Stadt sich in einigen wichtigen Punkten nicht an den ausgehandelten Vertrag halten würde. Genauso klar war aber, dass wir diese Besetzung nicht länger halten konnten.

Warum?

Eine Rolle spielte auch, dass die sozialen Konflikte in der besetzten Fabrik ein ungeahntes Ausmaß annahmen. Das hatte damit zu tun, dass zu den politisch routinierten Besetzern die Verzweifelten kamen – die Drogenabhängigen, die Obdachlosen, die psychisch Kranken, die Verlorenen in dieser Stadt. Die hielten sich intern nicht an die notwendigen Regeln. Es gab Gewalt, es gab gefährliche Drogen und alles mögliche. Die inneren Konflikte haben uns geschwächt.

Als die Stadt ihre Zusagen brach, gab es da eine Protestwelle?

Eine kleine. Als gesprengt wurde, waren wir vielleicht siebzig, achtzig Leute. Der Abriss passierte ja auch blitzschnell, es kam ein Anruf, die Stadt hat das Abrisskommando bestellt, und dann war es auch schon da. Wir standen da und haben ein bisschen Zirkus gemacht, wir haben es natürlich nicht verhindern können.

Ließ sich da nicht noch mal Protest organisieren?

Uns hat einfach die Macht gefehlt. Es war vorbei, wir hatten verloren. Wir sind mit Tränen in den Augen aus der Fabrik rausgegangen.

Was genau hattet Ihr verloren?

Wir hatten ein Lebensgefühl gewonnen während der Besetzung. Ich erinnere mich an das Gefühl, auf einer Welle von Erfolg zu schwimmen. Wir waren völlig erschöpft, wir arbeiteten wie wild, wir erfuhren eine große Anerkennung mit dem, was wir taten. Es kamen Delegationen aus Kristiana, aus Amsterdam, die guckten sich an, was wir machten. Es kamen bekannte Kölner Architekten, die nichts mit unserer Szene zu tun hatten, die wollten die Musterwohnung sehen. Es kamen Tausende von Menschen über Pfingsten. Wir waren euphorisch. Und genau dieses Lebensgefühl ging mit der Räumung verloren. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in ein Projekt so viele Emotionen reinstecken würde.

Wäre denn so eine Besetzung heute überhaupt noch möglich?

Nein, aus mehreren Gründen nicht. Es gibt kein Objekt, das so viele Emotionen auslösen würde wie Stollwerck damals. Es gibt keine organisierte Szene, die in der Lage wäre, bei einem so großen Objekt die doch sehr lange Vorbereitung und Umsetzung zu realisieren. Drittens haben die Politiker dazugelernt, ich glaube nicht, dass die Fehler, die die Vorsitzenden der großen Parteien und der Stadtoberen gemacht haben, dass die wiederholt würden. Die sind heute geschickter.

Hat es für Dich etwas mit Nostalgie zu tun, jetzt im Rest der Stollwerck-Fabrik zu wohnen?

Die Lust so zu wohnen, wie ich jetzt wohne, ist auch ein Stück Nostalgie. Und ich will immer noch beweisen, dass man genau in diesem Gebäude wunderbar wohnen kann, von dem damals viele Politiker behauptet haben, das ginge nicht. Und, wie Ihr sehen könnt, ist das doch wirklich eine schöne Wohnung, die übrigens tatsächlich zu den damals errechneten günstigen Preisen rund sieben Jahre nach der Besetzung erstellt wurde.