Wenn Gott lacht

In einigen Jahren wird es heißen, im September 2001 habe sich das Kino verändert. Aber die ästhetischen

Gewissheiten der 90er Jahre bröckelten schon länger. Sven von Reden vergleicht den neuen Film der Coen-Brüder »The Man Who Wasn’t There« mit dem spektakulären Erstling von Alejandro González Iñárritu aus Mexiko-City.

 

Als in den Wochen nach dem » 9-11-Day« die Feuilletons wetteiferten mit steilen Thesen über die Folgen der Anschläge auf die kulturelle Großwetterlage der westlichen Welt, war besonders in den US-Medien ein Opfer schnell ausgemacht: die Ironie. Graydon Carter, Redakteur der Zeitschrift Vanity Fair, prophezeite das »Ende des Zeitalters der Ironie«, im Time Magazine schrieb Roger Rosenblatt: »Die Ironisten, die alles durchschauen, haben es für alle schwierig gemacht, irgendwas zu sehen« und forderte eine Rückkehr zur Realität.

Ironische Noir-Anleihen

Schlechte Zeiten für Joel und Ethan Coen. Das Werk von keinen anderen Filmemachern der letzten beiden Jahrzehnte dürfte so geprägt gewesen sein von einer umfassenden ironischen Haltung. Ihr Steckenpferd war schon immer das virtuose Spiel mit vertrauten kulturellen Mustern: Mit »The Man Who Wasn’t There« nehmen sie sich nun schon zum dritten Mal dem Film Noir an. Bereits in ihrem Debüt »Blood Simple« (1984) erzählten sie eine tödlich ausgehende Dreiecks-Geschichte, die sich Hardboiled-Krimiautor James M. Cain in einem Honky-Tonk hätte ausdenken können. Die urbane Trostlosigkeit des Film Noir tauschten die Coens allerdings gegen die provinzielle Ödnis von Texas. In »The Big Lebowski« (1998) bedienten sich die Brüder bei den verschlungenen Plots von Raymond Chandlers LA-Stories »The Big Sleep« und »The Long Goodbye«. Allerdings tauschten sie hier den coolen, wortkargen Detektiv Philip Marlowe gegen einen phlegmatischen, wortarmen Althippie ein. Auch »The Man Who Wasn’t There« kommt nicht ohne die Coen-typische ironische Umkehrung aus.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Kleinstadtfriseur Ed Crane. Um der Monotonie seines Alltags zu entkommen, beschließt er, den verheirateten Kaufhausbesitzer Big Dave zu erpressen, der mit Eds Frau fremdgeht. Das Geld soll als Risikokapital in Trockenreinigungen investiert werden. Das Vorhaben geht natürlich schief und endet für Big Dave tödlich.
Erneut stand James M. Cain Pate für das Drehbuch. »Es ist eine Geschichte, wie er sie erzählen würde«, meint Joel Coen. Wie immer stimmt das nicht ganz. Caines Protagonisten mögen banale Verlierertypen sein wie Ed Crane, aber Figuren wie Walter Neff aus »Double Indemnity/Frau ohne Gewissen« oder Frank Chambers aus »Wenn der Postmann zweimal klingelt« werden getrieben von ihrer Leidenschaft. Von dem Begehren nach einer Femme fatale. Ed Crane dagegen bleibt immer eine Leerstelle. »What kind of man are you«, wird er zweimal gefragt, er bleibt die Antwort schuldig. Das Kino der Coens kannte eigentlich noch nie Helden – Ed Crane ist allerdings noch nicht mal ein Anti-Held.
Der Vorwurf, die Coens seien »kalte Hunde« ist nicht neu, er stimmt aber nur zum Teil. Ihre Liebe gilt allerdings selten ihren Figuren, immer jedoch dem Filmemachen. »The Man Who Wasn’t There« ist dafür vielleicht das beste Beispiel. Jede Einstellung des Schwarzweiß-Films zeugt von der Liebe zum Detail des gesamten Coen-Teams. Wie Kameramann Roger Deakins etwa den schwarzen Schleier der Witwe von Big Dave im Gegenlicht wie ein mit Tautropfen überzogenes Spinnennetz glänzen lässt, ist Hollywood-Filmkunst in höchster Vollendung. Dennoch, als der Film im Frühjahr in Cannes erstmals vorgestellt wurde, mussten sich die oft von der Kritik verwöhnten Coens harte Kritik gefallen lassen. Der Spiegel bezeichnete den Film als eine »ziemlich seelenlose Kunstübung«; »die postmodernistische Ironie der Coens bleibt diesmal leider in den Haartollen stecken«, befand die taz.

Die neue emotionale Direktheit

Die Zeiten waren offenbar schon vor dem 11. September schlecht für die Coen-Brüder. Die Ausprägung der Postmoderne, für die sie stehen, mag nicht beendet sein, sie hat aber in den letzten Jahren zunehmend ihre innovative Prägekraft verloren, und mit ihr ist auch das verfeinerte Ennui der Fin-de-Siècle-Jahre in Ungnade gefallen. »Blood Simple« wurde zum Vorbild für eine Reihe amerikanischer Independent-Filme von »Red Rock West« bis »Bound«, »The Man Who Wasn’t There« wird wohl kaum diese Wirkung haben. Dass die Tage des hochgezüchteten, selbstreflexiv-distanzierten Kinos gezählt sind, zeichnete sich schon länger ab: David Lynchs Konvertierung zum Menschenfreund und gradlinigem Erzähler in »Straight Story«, die Dogma-Bilderstürmer und andere digitale Authentizitätsapostel und, vielleicht weniger offensichtlich, Paul Thomas Andersons Wandel vom hippen Retrostilisten (»Boogie Nights«) zum Meister des Melodramas (»Magnolia«) – all diese Filme konnte man auch als Versuche einer neuen emotionalen Direktheit und Ernsthaftigkeit lesen.
Mit »Amores Perros« des 37-jährigen Mexikaners Alejandro González Iñárritu kommt diesen Monat ein 154-minütigen Epos auf die deutschen Leinwände, der diese formal so unterschiedlichen Filme zusammenführt – eine Art Antithese zu »The Man Who Wasn’t There«. In drei Episoden werden die Geschichten von knapp einem Dutzend Menschen in Mexiko City erzählt, deren Leben direkt oder indirekt von einem Autounfall verändert wird. Die Geschichten hängen nur lose zusammen, bestimmte Themen ziehen sich aber durch alle Episoden: Ehebruch, Brudermord, der Konflikt zwischen Tradition und Moderne – und die Liebe zu Hunden.

Porträt des Metropolen-Molochs

»Amores Perros« beginnt mit einer spektakulären Autoverfolgungsjagd, die an den Beginn von »Reservoir Dogs« erinnert, doch statt Tim Roth verblutet hier ein Dobermann auf dem Rücksitz des Autos. Die ersten Minuten bersten vor kinetischer Energie, übertragen durch eine rastlose Handkamera – doch der erste Eindruck trügt. In der Folge interessiert sich González Iñárritu weit mehr für innere Bewegungen als äußere und entwirft ein immer tiefergreifendes Porträt seiner Protagonisten und des Schauplatzes Mexiko City. »Während Tarantino die Popkultur durchforstet auf der Suche nach den Freuden der Pastiche, zeigt González Iñárritu eine andere Seite der Postmoderne: eine in der die Effekte von Geschichte, Gesellschaft und emotionaler Aufgewühltheit zu sehr weh tun für Ironie«, schreibt José Arroyo in der englischen Zeitschrift Sight and Sound , »›Amores Perros‹ ist das Werk eines Cineasten, dessen Wissen und Analyse der Welt über seine Videothek an der Ecke hinausgeht.« Der Drive und die Nähe zu den Figuren geht bei »Amores Perros« nicht auf Kosten der Form, erst nach und nach merkt man jedoch, mit welcher Genauigkeit hier etwa beim Mise en scène gearbeitet wurde. Während die Coen-Brüder die Makellosigkeit ihrer Bilder bei »The Man Who Wasn’t There« dadurch erreichten, dass sie auf neuestem feinkörnigem Farbfilmmaterial drehten, dieses aber Schwarzweiß entwickeln ließen, machte González Iñárritu nach eigenen Angaben unzählige Labortest, um möglichst kontrastreiche und grobkörnige Bilder zu erzielen.
Die Versuchung ist natürlich groß, einem jungen Filmemacher aus einem Metropolen-Moloch der Zweiten Welt automatisch eine größere Authentizität seiner Filmsprache und Anliegen zuzuschreiben. Doch González Iñárritu ist kein Wunderkind aus den Gossen der mexikanischen Metropole, sondern ein erfolgreicher Radio-DJ, Produzent und Gründer einer Werbeagentur. Mit seinem ersten Spielfilm wollte er die »frivole Ästhetik« seiner TV-Spots überwinden, die bei ihm zu einer manieristischen »Obsession für die Form« führte. »Ich möchte mich lebendig fühlen«, meint González Iñárittu, »und ich möchte, dass sich die Figuren und die Zuschauer lebendig fühlen.« Er hat sein Ziel erreicht, mit »Amores Perros« überwindet er die Leere, die die Coens so formvollendet abbilden.
Für Ironie bleibt da durchaus Platz. Aber es ist keine spielerische Ironie, die sich auf die Form bezieht, sie ist bitter und bringt die Schicksale der Protagonisten aus der Bahn: Der Dobermann Cofi zerfleischt die Hunde von El Chivo, der ihm das Leben gerettet hat; dem Supermodel Valeria wird ein Bein amputiert; Susana klaut Octavio Geld, das er gespart hat, um mit ihr abzuhauen, und verschwindet stattdessen mit ihrem Mann, der sie schlägt. »Wenn du Gott zum Lachen bringen willst«, sagt Susana zu Octavio, »erzähl ihm deine Pläne«.