Die Brüche im Leben zeigen

Das Bonner fringe ensemble gehört zu den erfolgreichsten Freien Gruppen in NRW. Neuerdings glänzt es mit dokumentarischen Stücken. Ein Porträt

Fertige Stücke waren von Anfang an nicht die Sache des fringe ensembles. Trotzdem spielt es auch solche. »Der tolle Tag« von Beaumarchais z.B. entstand ein Jahr nach der Gründung im Jahr 2000 und »Zur schönen Aussicht« von Ödön von Horvath zwei Jahre später – aber schon der Horvath war eine Verlegenheitslösung. Nicht als Theaterabend: Frank Heuel, der künstlerische Kopf des Ensembles, Autor und Regisseur, stellte ein bissig funkelndes Drama mit melancholischer Musikalität auf die Bühne. Eine Verlegenheitslösung war es deshalb, weil der Spielplan gefüllt werden musste und sich der Roman »Hotel Savoy« von Joseph Roth bis zum Probenabbruch gegen eine Dramatisierung im fringe-Stil gewehrt hatte.
Um so ehrenvoll zu scheitern, muss man erstmal etwas wagen. Eigene Literaturdramatisierungen sind ein Risiko, dem sich das fringe immer wieder aussetzt. Ganz am Anfang, 1999, stand die »Reise nach Petuschki« von Wenedikt Jerofejew, von dem vergangenes Jahr der Soloabend »Aufzeichnungen eines Psychopathen« mit Severin von Hoensbroech dazu kam. Gleich zweimal nahm sich das fringe ensemble der – gelinde gesagt – sperrigen Texte von Wilhelm Faulkner an. »Als ich im Sterben lag« beschreibt in 59 Monologen den Tod und das Begräbnis von Addie Bundren, Lehrerin und Mutter einer siebenköpfigen Farmer-Familie aus den Südstaaten. Das fringe ensemble formte daraus ein atemberaubendes Road-Movie von apokalyptischen Ausmaßen zwischen repressivem Familiendrama und purem Slapstick.

160.000 Euro Zuschuss der Stadt Bonn

Hier und auch an der ein wenig überfrachteten Faulkner-Bearbeitung »Schall und Wahn« zeigten sich schon deutlich die Qualitäten, die in jeder der inzwischen zwölf Produktionen zu finden sind: ein im besten Sinne antipsychologisches Theater, das eine zugleich liebevolle und ironische Distanz zu seinen Figuren wahrt; ein spitzbübischer Charme, der das Spielerische am Theaterspielen betont; die Genauigkeit, Intensität und Dichte eines eingespielten Ensembles.
Tatsächlich ist das fringe eines der wenigen freien Ensemble- und Repertoiretheater. Momentan gehören ihm zehn Schauspielerinnen und Schauspieler an, um einen harten Kern der ersten Stunden mit Severin von Hoensbroch, Georg Lennarz, Bettina Marugg und mittlerweile David Fischer, Laila Nielsen und Judith Lodewijks. Möglich wird die fringe-Praxis einerseits durch Projektfödermittel und regelmäßige Koproduktionen. Mit den Theatern phoenix 5 und Theater im Pumpenhaus in Münster und neuerdings der Schaubühne Lindenfels in Leipzig existieren feste Vereinbarungen. Hinzu kommt der Zuschuss der Stadt Bonn von 160.000 Euro. Er deckt die laufenden Betriebskosten für das Theater im Ballsaal, das das fringe seit 2004 gemeinsam mit der Freien Tanzcompagnie cocoon dance betreibt. Die Summe dient den beiden Ensembles als Basisfinanzierung ihrer Arbeit.

Kein Zeigefingertheater

Für einzelne Produktionen kooperiert das fringe auch mit Partnern in der Schweiz, Holland und zuletzt in Riga.
Dort entstand als work in progress gemeinsam mit der Gruppe »United Intimacy« und dem Autor Ivo Briedis »Fiction Impossible«, das im Juni in Bonn gezeigt wird. Darin macht sich ein junger Deutscher nach Lettland auf, um nach Spuren seiner Familie zu suchen. Fiktives vermischt sich mit Biografischem aus dem Leben der Schauspieler – eine Tendenz, die schon bei den Stücken »www.hotel.e« und »modus« (Co-Autor: Andreas Vonder) schöne Blüten trieb.
Neben den Literaturdramatisierungen und work in progress-Arbeiten hat das fringe zuletzt einen neuen Ansatz dokumentarischen Theaters entwickelt. »Klima CH-D« spielte mit den Fremd- und Selbstbildern von Schweizern und Deutschen und der nicht unkomplizierten Beziehung der beiden Länder. »Grenzgänger«, die vorletzte Arbeit, nahm die Fremden im eigenen Land in den Blick. Als Material dienten authentische Interviews mit Migranten: einem Eisverkäufer, der vor einem Vierteljahrhundert nach Deutschland kam, einer Sekretärin aus Togo, die eher zufällig hier strandete. Wer politisch korrektes Zeigefingertheater über tragische Asylantenschicksale erwartet hatte, sah sich angenehm enttäuscht. Die subtile Inszenierung offenbarte die Stärke von fringe, Geschichten zu erzählen und offen zu halten ohne zu interpretieren.

Liebevolle Tragik

Auch die neueste Produktion »Geschichten+«, die mit demselben Interviewverfahren sechs Lebensläufe zwischen Deutschland Ost und Deutschland West verhandelt, bricht die Linearität der Lebenserzählungen durch den steten Wechsel zwischen chorischem und solistischem Sprechen. Kleine Ticks und Gesten verselbständigen sich zu einem kuriosen Subtext der Körper. Das Tragische schimmert in den Fugen zwischen den Biografie-Bruchstücken umso eindringlicher, weil es nicht ausgestellt wird. Es ist dieser liebevolle Blick, der sich niemals schlauer wähnt als die Figuren und die Zuschauer, mit dem das fringe die Aufmerksamkeit auf die Brüche in der eigenen Lebenserzählung zu lenken vermag.
Im Rahmen des Tanz- und Theaterfestivals »Spiel ohne Grenzen« des Theater im Ballsaal ist im Juni auf dem Landgut Ostler zwischen Köln und Bonn – unter freiem Himmel – auch der erfolgreiche fringe-Dauerbrenner »Gespräch in Sizilien« nach dem Roman von Elio Vittorini zu sehen. In einer Lebenskrise reist der 30-jährige Silvestro nach Hause in die Berge Siziliens. Er sucht das Gespräch mit seiner Mutter. Wo finden die meisten Gespräche in der Familie statt? Am Esstisch. Und so bittet das Fringe-Ensemble seine Zuschauer zu Tisch...