Härter als Hardcore

Der Kölner Autor Navid Kermani spricht in »Du sollst« über die Zehn Gebote und wirklichen Sex

Ein Mann, eine Frau, ein Bett. Eine Forderung – wenn sie überhaupt noch miteinander reden: »Du sollst mich lieben!« oder »Sag nicht, dass du mich liebst!« Dann Action, Schnitt und Gegenschnitt. Nur dass der Mann, der hier Regie führt, nicht wie beim gewöhnlichen Porno auf Titten, Schwanz und Möse zoomt: Navid Kermani zoomt auf das, was uns dabei durch den Kopf geht. Also geht es härter zu als bei jedem Hardcore – denn gerade beim Sex ist das Erlebnis von Entzweiung, nicht Einswerden die Regel. Ein einziges Mal erreichen die Namenlosen den Gipfel des Glücks: »Mach mir Kinder!« – »Gut.« Der Tiefpunkt ist erreicht, wenn er schon schnarcht, kaum dass er von ihr herunterrollt und sie ihn, angewidert, ans hingebungsvolle erste Mal erinnert und dann – »Was tust du?« – erschlägt.

Die stärkste Form der Begegnung

Ein Leckerbissen also für Liebhaber rabenschwarzen Humors. Natürlich dürfte, wer sich wieder erkennt, an Kermanis Dekalog der sexuellen Enttäuschungen mitunter heftig schlucken. Doch für die Tragik der Einzelnen entschädigt die Komik der Inszenierung als Parallel-Aktion von ihm und ihr: Wenn er sich ein Abenteuer vorstellt, ohne zu ahnen, dass sie ihm beim Wichsen unter der Bettdecke aufmerksam zuhört. Wenn sie ihm vor Entsetzen über ihren offenbaren Missgriff in den Rücken krallt und es den fälschlich erhörten Liebhaber dabei vor Wonne durchzuckt.
Mit dem trendigen französischen Artcore haben Kermanis Erzählungen wenig gemein. Sein Blick auf den Sexakt ist humanistisch, nicht nihilistisch wie bei Michel Houellebecq, psychologisch, nicht konzeptualistisch wie bei Catherine Breillat. Kermani träumt trotz aller Entfremdung von Paaren, nicht von auf Elementarteilchen reduzierten Individuuen, er träumt von der Liebe im Liebesakt – auch wenn er das unanständige, das heimtückische Wort gern vermiede, um sich vor Enttäuschung zu schützen. Mit anderen Worten: Dieser Autor nimmt Sex noch ernst als stärkste Form der Begegnung zweier Menschen, seien sie Eheleute oder Fremde.

Als Exorzismus betrachtet, das reinste Vergnügen.

Wer im Akt mehr sucht als Erholung und Unterhaltung, nämlich Ekstase, ist bei Kermani in guten Händen. Auch wenn das Buch mit einer Höllenvision endet, die geschickt die zehn Erzählungen verbindet und »Du sollst« auch als Roman lesbar macht. Es ist die hinterfotzige Novelle vom schaurigen Verenden eines Gelehrten: Von den Frauen enttäuscht, liefert sich dieses Subjekt einer besonders masochistischen Form der Triebabfuhr aus. Als Exorzismus betrachtet, ist der Bericht das reinste Vergnügen. Mehr sei, mit Rücksicht auf den guten Ruf einer Berliner Stätte der Wissenschaft, hier nicht verraten.

Navid Kermani: Du sollst. Erzählungen, Ammann Verlag, Zürich 2005, 160 S., 17,90 Euro.

Veranstaltung: Lesung und Gespräch über Sex und Religion, mit M. Günther, A. Lais und Musik von S. Schlamminger, anschließend Party mit Sufi, Trance u. Rock’n’Roll: Schauspielhaus, Erfrischungsraum, 21.6., 21 Uhr.
Wir verlosen 5x2 Gästelistenplätze, E-Mail bis 13.6. an verlosung@stadtrevue.de, Stichwort »ich will«