Foto: Manfred Wegener

Nur normale Probleme

In Ossendorf bauen sich Obdachlose die Wohnungen selbst

Auf dem Gelände der ehemaligen belgischen Kaserne Klerken, wo bis 1990 Befehle gebrüllt und im Gleichschritt marschiert wurde, geht es heute friedlich zu. Rund um zwei Wohnblocks stehen bunt bemalte Wohnwagen und überall Kisten und Säcke mit Baumaterial. Dazwischen flitzen Kinder herum, aus einem Transistorradio scheppert Punkrock. Jemand schleppt mühsam Werkzeug über den Hof, jemand anders liegt im Gras und feuert ihn höhnisch an.
Auf 6000 Quadratmetern, mitten im bürgerlichen Neubaugebiet »Ossendorfpark« hat die Initiative »Bauen, Wohnen, Arbeiten« ihre Idee von sozialer Integration Obdachloser umgesetzt. Es klingt ganz einfach: Obdachlose bekommen das nötige handwerkliche Know-how vermittelt und bauen Wohnungen, in die sie später einziehen können. So sind bereits 46 Wohneinheiten entstanden. 120 Menschen leben zurzeit hier, doch nicht nur ehemalige Wohnungslose. Einziehen kann hier im Grunde jeder, der einen Wohnberechtigungsschein hat. Im alten, denkmalgeschützten Kasernengebäude sind Vier- bis Fünfzimmerwohnungen gebaut worden. Dort wohnen Familien mit Kindern. In die kleinere Wohnungen im neuen Haus gegenüber sind meist ehemalige Obdachlose eingezogen. »Die Räume sind hell, nicht laut und haben eine gute Raumluft«, erklärt Dieter Breuer. Er ist Mitbegründer der Initiative und stolz auf das, was seit 1998 hier entstanden ist.

Wichtig, dass alle zusammenarbeiten

Menschen, die lange auf der Straße gelebt haben, werden sozial integriert, es entstehen bezahlbarer Wohnraum und faire Beschäftigungsverhältnisse in der vereinseigenen Baufirma. Es gibt einen Nutzgarten, Tierhaltung, eine Recyclingstelle. Und es werden weitere Angebote gemacht: Krabbelgruppe, Hausaufgabenhilfe, Schuldnerberatung. Finanziert wurde das Projekt aus Mitteln des NRW-Bauministeriums, einem Bankdarlehen und einer Bürgschaft der Wohnungsbauförderungsgesellschaft.
Breuer ist gelernter Baufacharbeiter und Künstler. Anfang der 90er Jahre kam er mit anderen auf die Projektidee, als er sich künstlerisch mit Obdachlosigkeit auseinandersetze. »Als vor zehn Jahren Obdachlose aus der Innenstadt immer stärker vertrieben wurden, habe ich mir überlegt, wie man trotzdem sinnvoll weiter arbeiten kann. Mittlerweile kommen schon Anfragen aus anderen Städten, wie man so was macht«, erzählt Breuer. Es sei wichtig, dass alle zusammenarbeiten: Banken müssen überzeugt werden, Kredite zu gewähren; Architekten müssen idealistisch das Projekt begleiten; sozialarbeiterisches als auch handwerkliches Know-how müssen gebündelt werden. Und schließlich sollten alle wissen, so Breuer, »dass es anstrengend wird und dass man nicht viel verdient.«

Von der Straße in geschlossene Räume

»Und natürlich gibt es hier auch ganz normale Probleme«, ergänzt seine Kollegin Judith Knabe. Freitags sitzen ein Dutzend Bewohner zur »Meckerrunde« um den langen Tisch. Jeder sagt, was ihm nicht passt oder wo Hilfe benötigt wird: die Gemeinschafts-Waschmaschine ist defekt; in der Küche fehlen Kaffeetassen; bald kommt der Sperrmüll und es müssen noch kaputte Möbel rausgetragen werden. Nicht immer ist man einer Meinung. Aber Breuer und Knabe sind routinierte Diskussionsleiter.
Etwa zwanzig Obdachlose wohnen während der Bauphase in Wohn- und Bauwagen rund um die Häuser. Später können sie dann in die Wohnungen ziehen. Aber nach einem Leben auf der Straße, ist es nicht immer leicht, wieder in geschlossenen Räumen zu leben. »Auf der Straße bist du jeden Tag draußen. Ich kenne einige, die in der Wohnung gar nicht mehr klar kamen«, sagt die junge Frau, die sich Hexe nennt. Sie wohnt seit einem Jahr hier, aber nur zu Besuch. Chantal Wohlgemuth hingegen ist seit 1998 dabei. Momentan ist sie mit dem Fliesen von Bädern beschäftigt: »Ich habe hier mittlerweile schon so ziemlich alles gemacht, von Mauern bis Gartenarbeit. All das habe ich hier gelernt.« Wohlgemuth hat 15 Jahre auf der Straße gelebt, dann vier Jahre im Bauwagen. Seit zwei Jahren hat sie eine Wohnung hier. Bei ihr hat die Umstellung gut geklappt: »Klar, ich kannte hier ja schon alle. Allein in einem Hochhaus – das hätte ich nicht geschafft.«
Breuer wohnt selbst auch hier, mit seiner Familie. »Meine Frau ist auch Sozialarbeiterin und arbeitet mit«, sagt er. »Und die Kinder kennen es gar nicht anders.« Und so viel anders als in den benachbarten bürgerlichen Reihenhäusern ist es hier auch nicht. Ans Treppenhaus hat jemand einen Zettel gehängt: Wenn draußen gefeiert würde, steht dort, möchten diejenigen bitte auch Tische und Stühle zurückstellen. Es stehen sehr viele Ausrufezeichen dahinter.