»In der Innenstadt beginnt das Kämpferdasein«

Eigentlich müsste die Stadt bei allen Verkehrsplanungen auch an Radfahrer denken. Tut sie aber nicht, sagt Volker Kunstmann vom Kölner Kreisverband des Verkehrsclubs Deutschland. Thomas Goebel befragte ihn zu

Chancen und Risiken der Fahrradstadt Köln

StadtRevue: Herr Kunstmann, fangen wir mal mit einer These an: Köln ist die ideale Radfahrerstadt. Es gibt viele Radwege, schöne Strecken durch den Stadtwald oder den Grüngürtel, und die Stadt ist klein genug, um fast alle Ziele bequem mit dem Rad zu erreichen. Einverstanden?

Volker Kunstmann: In den Außenbereichen und in vielen Stadtteilen gibt es wirklich eine Menge Angebote. Aber die Radwegachsen enden in der Regel am Grüngürtel und werden in der Innenstadt nicht fortgesetzt. Dort beginnt dann das Kämpferdasein.

Welche Strecken meinen Sie?

Die nördliche Innenstadt, der Hauptbahnhof und die dortige neu eröffnete Fahrradstation zum Beispiel sind von den Stadtteilen aus auf sicheren Wegen überhaupt nicht erreichbar: Die Trasse Subbelrather Straße, die vor ein paar Jahren erst ausgebaut worden ist, endet am Inneren Grüngürtel, am Mediapark. Auf der Christophstraße gibt es dann zwar viel Verkehrsfläche, aber keine Radfahrstreifen auf der Fahrbahn, die Autos fahren auf vier Spuren in hoher Geschwindigkeit. Oder man kommt von der Venloer Straße – dann endet die Trasse Richtung Dom für Radfahrer in der Magnusstraße, an dieser ganz gefährlichen Stelle am Römerturm.

Wie lässt sich das ändern?

Um ein gefahrloses Durchqueren der Innenstadt zu ermöglichen, müssen noch mehr Einbahnstraßen für Radfahrer geöffnet werden. An den großen Straßen, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden, müssen außerdem Markierungen für Radfahrer auf der Straße angelegt werden. Das hätte auch eine Verengung der Fahrbahn oder das Wegfallen von Fahrspuren zur Folge, was den Verkehr verlangsamen und mehr Sicherheit schaffen würde.

Ich bin verwundert: Sie wollen die Radfahrer wirklich auf die Straße holen? Ist ein Radweg auf dem Bürgersteig nicht viel sicherer?

Letztlich ist der Radfahrer auf der Fahrbahn eher geschützt, obwohl es unsicherer aussieht, weil er mehr in den Verkehr einbezogen ist. Auf der Straße sieht der Autofahrer den Radfahrer, das heißt, er nietet ihn nicht beim Abbiegevorgang um. Bei parkenden Fahrzeugen sind die Fahrer gewohnt, nach hinten zu schauen, bevor sie auf der Straßenseite aussteigen. Sie nehmen Radfahrer eher wahr – während Beifahrer die Türen zum Bürgersteig hin häufig so öffnen, dass Radfahrer zumindest ausweichen müssen oder eben in der Tür landen. Davon abgesehen sind die Radfahrstreifen auf der Fahrbahn die einzige Maßnahme, die noch finanzierbar ist.

Bei Radwegen auf dem Bürgersteig sind die Kurven oft so eng, dass man sie nur im Schritttempo fahren kann, zum Beispiel an der Venloer Straße. Wie kommt so etwas zustande?

Das macht sich auf dem Plan schön. Der Ring-Radweg zum Beispiel ist ein Designer-Radweg: Achtzig Zentimeter breit, rot gepflastert, mit Marmorsteinen eingefasst. Praktikabel ist das nicht.
Und die roten Steine werden bei Nässe glatt …
Das ist sehr gefährlich. Außerdem lösen die Steine sich jetzt, weil man nicht beachtet hat, dass unter den Bäumen auch Leben ist, dass dort Wurzeln sind. Das alles ist nicht durchdacht. Oft wird das Fahrrad gar nicht als Verkehrsmittel wahrgenommen. Die Planer sind froh, die Räder von der normalen Fahrbahn wegzubekommen. Wenn es irgendwo eine Fläche gibt, dann reicht das oft schon.

Und die von Ihnen vorgeschlagenen Radfahrstreifen auf der Fahrbahn wären die Patentlösung?

Eine Patentlösung gibt es nicht. Es ist natürlich ideal, wenn man viele verkehrsberuhigte Zonen hat, wo ein gemischter Verkehr mit langsamer Geschwindigkeit stattfindet. Dafür eignen sich aber nur bestimmte Bereiche. Die Stadtteile Sülz und Klettenberg zum Beispiel haben überhaupt keine vernünftige Verbindung zur Innenstadt. Da gibt es zwischen Grüngürtel und Ring keinerlei Angebote für Radfahrer. In diesem Fall bleibt nur, an der Luxemburger Straße einen eigenen Streifen anzulegen. Denn da ist kein langsamer, gemischter Verkehr möglich.

Ein besonderes Kölner Problem sind die Plätze. Wie könnte man ein Straßengewirr wie am Barbarossaplatz für Radfahrer nutzbar machen?

Eigentlich müsste man für jeden Platz eine spezifische Lösung finden. Es gilt ins Bewusstsein der Stadtverwaltung zu bringen, dass auf jedem Platz Raum für den Fahrradverkehr sein muss, für den Fußverkehr genauso. Bei einem Straßenplatz wie dem Barbarossaplatz müsste für den Radverkehr wenigstens vorgesehen werden, dass er sicher in alle Richtungen fahren kann. Ihm sollten also auch Abbiegemöglichkeiten offen stehen, die man dem Autoverkehr versagt. Wenn der Radweg auf der Fahrbahn geführt ist, kann man es mit Markierungen und Aufstellflächen relativ leicht und kostengünstig erreichen. Die spezifischen Bedürfnisse der Radfahrer sind anders als die der Autofahrer.

Weiß das auch die Kölner Stadtverwaltung?

Es gibt einen Fahrradbeauftragten, dessen Aufgabe es ist, jede Planung danach durchzuchecken, ob der Radfahrer berücksichtigt ist. Es gibt ja im Moment eine ganze Reihe von Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Nord-Süd-U-Bahn. Es wäre wichtig, bei der Wiederherstellung der oberirdischen Fläche konsequent die Bedürfnisse der Radfahrer zu berücksichtigen. Wir sind aber skeptisch, ob das passiert – obwohl da eine ganze Menge zu leisten wäre, auch ohne zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen.

Immerhin gibt es einen städtischen Radverkehrsplan.

Den gibt es seit 1992, wir stellen aber immer wieder fest, dass er nicht beachtet wird. Ein aktuelles Beispiel ist die Umgestaltung einer kleinen Kreuzung An den Dominikanern, wo früher die Hauptpost war. Dort ist im Radverkehrsplan ein Radfahrstreifen vorgesehen, in der konkreten Planung, die vorgelegt wird, finden wir das aber nicht wieder.

Woran liegt das?

Das möchten wir auch gerne wissen. Die Pläne müssten eigentlich in der ganzen Verwaltung bekannt sein und von jedem einzelnen Mitarbeiter zu beachten sein…

Was ist denn das Besondere an der Kölner Situation für Radfahrer?

Da ist einmal das Problem der Rhein-Brücken. Sie zu queren ist oft nicht leicht. Radfahrer aus den nördlichen und südlichen Stadtteilen zum Beispiel werden heute über den Rheinuferweg unter den Brücken hindurch geführt. Auf die Brücken hinauf gelangt man nur mühsam über Treppen oder erhebliche Umwege. Deshalb fordern wir eine fahrradfreundliche Nord-Süd-Verbindung, die über höheres Gelände direkt zu den Brückenrampen führt und zusätzlich die Ziele in der östlichen Innenstadt erschließt. Für die Hohenzollernbrücke ist es außerdem notwendig, die Treppe zur Nordseite durch eine am Breslauer Platz beginnende Fahrrad-Rampe zu ergänzen.

Die Einbahnstraßen als Kölner Spezialität haben Sie schon angesprochen.

In Köln gibt es Unmengen davon. Deren Öffnung ist für Radfahrer ganz wichtig: Wer mit eigener Muskelkraft vorankommt, will möglichst kurze Wege benutzen – und keine Umwege fahren. Typisch für Köln sind auch die Mischflächen, dass heißt, Radwege führen häufig durch Fußgängerbereiche und über Plätze. Es ist erfreulich, dass hier eine große kölsche Toleranz herrscht. In anderen Städten wäre es unmöglich, dort so wie in Köln langzufahren, ohne von Leuten angemotzt oder vom Rad gerissen zu werden.

Obwohl es ja auch Kritik an »Rad-Rowdys« gibt, die Bürgersteige als Erlebnisparcours nutzen …

Meine These dazu ist: Wenn man die Regelung auf der Straße so gestaltet, dass man die Bedürfnisse des Radfahrers nicht berücksichtigt, dann führt das oft zwangsläufig dazu, dass die Radfahrer aus reiner Überlebensstrategie anfangen, sich illegal zu verhalten. Beispiel Riehler Straße. Da ist Tempo siebzig erlaubt, die Radler fahren alle auf dem Bürgersteig, weil sich keiner auf die Straße traut – außer ein paar Kämpfer-Radfahrern, für die das eine Herausforderung ist. Es gibt natürlich auch Typen, die sich als Helden des Straßenverkehrs fühlen und meinen, sie seien grundsätzlich die besseren Verkehrsteilnehmer, ihnen sei alles erlaubt. An Hauseingängen mit hohem Tempo vorbeizufahren, wo jederzeit Leute aus dem Haus kommen können, ist natürlich zu verurteilen. Aber wenn es für den Radfahrer Alternativen gibt und der merkt, dass er im Straßenraum fahren kann, dann muss er erst gar nicht auf den Bürgersteig.

Wieviele Radfahrer gibt es in Köln eigentlich?

16 Prozent der Verkehrswege, die in Köln stattfinden, werden von den Radfahrern gemacht. Das ist ein relativ großer Anteil für eine Großstadt, aber ein relativ kleiner Anteil für eine Stadt wie Köln – angesichts der Vorteile, die diese Stadt hat. Die Potenziale sind um einiges höher.

Köln ist potenziell also doch die ideale Radfahrerstadt …

Sie könnte es sein. Köln hat gegenüber anderen Metropolen den Vorteil, dass sehr viele Leute in der Innenstadt wohnen, wo sie viele Wege mit dem Fahrrad erledigt werden können. Das Fahrrad ist einerseits sehr flexibel, andererseits auch platzsparend. In der Innenstadt, wo sich so viele Menschen drängen, ist es ganz wichtig, dass jemand keine Riesen-Parkflächen und Riesen-Verkehrsflächen braucht. Das ist für Köln eine große Chance.

Zur Person:
Volker Kunstmann ist Stadtplaner. Als KVB-Kunde und Fahrradfahrer engagiert er sich seit über zehn Jahren verkehrspolitisch beim Kölner VCD. Zum innerstädtischen Radverkehr arbeitet dort eine Projektgruppe, Kontakt unter info@vcd-koeln.de.