Schwarzlicht

Krimijunkies sind literarische Kokainschnupfer. Sie suchen den schnellen Kick, den eruptiven Höhepunkt, die krasse Wendung. Eine packende Grundidee ist für sie das A und O für jeden halbwegs befriedigenden Trip. Nur ist es so, dass der Stoff, den sie in der Regel geliefert bekommen, meist gestreckt ist. Die Story-konstituierende Idee ist – sofern überhaupt vorhanden – nicht richtig ausgearbeitet, nicht konsequent zu Ende gedacht. Doch Krimijunkies sind weitgehend therapieresistent, sie lesen hier, surfen da, suchen dort Beratung und stoßen einmal im Jahr auf den einen Roman, der auf brillante Weise in einer dynamischen Idee ganze Welten spiegelt, auch noch genial geschrieben ist und für alle Beschaffungsmühseligkeiten entschädigt.

So war das, und plötzlich ist alles anders und der Junkie reibt sich überrascht die Augen: ein regelrechter Boom an solch brillianten Storys! »Paraiso Travel« etwa, geschrieben von dem Kolumbianer Jorge Franco, der ein junges Paar als illegale Einwanderer nach New York schickt, wo sie sich am ersten Tag verlieren, weil er das Hotel nicht wieder findet und zum Detektiv in eigener Sache werden muss. Oder »Des Todes dunkler Bruder« von Jeff Lindsay, ein tragikomischer Exkurs über die dunkle Seite des amerikanischen Traums: Ein »guter« Serienkiller im Polizeidienst jagt einen dunklen Bruder, der seine Methode kopiert. Oder natürlich Harlan Coben (Neuerscheinungen im September), den angehenden Krimisuperstar, mit dem der Goldmann-Verlag gerade Erfolge feiert, oder, zusammengefasst: Krimijunkies freuen sich zurzeit des Lebens, denn reiner Stoff überschwemmt den Markt. Für die Gesellschaft eine gefährliche Entwicklung: Literarische Kokainisten laufen Gefahr, an einer Überdosis Kriminalkreativität zu verzücken.