Unfugsgedichte im Unfugskostüm: Hugo Ball bei einer Dada-Lesung

Entwürdigtes Sprachmaterial

Dada wollte das Leben durch die Kunst revolutionieren, und revolutionierte dabei die Kunst

»Da der Bankrott der Ideen das Menschenbild bis in die innersten Schichten zerblättert hat, treten in pathologischer Weise die Triebe und Hintergründe hervor. Da keinerlei Kunst, Politik oder Bekenntnis diesem Dammbruch gewachsen scheinen, bleibt nur die Blague und die blutige Pose«, hat Hugo Ball in seinen Aufzeichnungen »Flucht aus der Zeit« den Impuls zur Initiierung von Dada 1916 zusammengefasst. Den Bankrott der Ideen sah Ball im Ersten Weltkrieg, vor dem er und seine Mitstreiter Emmy Hennings, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara und Marcel Janco in die neutrale Schweiz geflohen waren. Ab Anfang Februar 1916 starteten sie von Zürich aus ihren eigenen Feldzug gegen die Verlogenheit der Kunst, die der aus den Fugen geratenen Welt nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

 

Kunst hatte in ihren Augen die Funktion als Ort der kontemplativen Versenkung verspielt, die Dadaisten reagierten darauf mit der Entwürdigung des Materials: Gedichte wurden zu Wortsalat, der Abfall der Sprache ging in die Lyrik ein, ebenso wie in die Collagen des Hannoveraner Dadaisten Kurt Schwitters. »Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen«, forderte Ball im Manifest des ersten Dada-Abends das Publikum heraus.

 

Diesem Manifest folgten zahlreiche weitere; sie alle betonen die Kriegsgegnerschaft, den anti-bürgerlichen Impetus, die Negation und Destruktion von Herkömmlichem, die Zurückweisung konventioneller Kunstauffassungen und den internationalen Charakter von Dada. Denn von Zürich aus verbreitete sich die neue Anti-Kunst in alle Welt, bereitete in Paris den Surrealismus vor, feierte in New York Erfolge, radikalisierte sich politisch in Berlin und sorgte auch in Köln für einen handfesten Kunst-Skandal. Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld hatten hier die Zeitschrift »Der Ventilator« gegründet, die gegen Staat, Moral und Kirche wetterte und schnell wieder verboten wurde. Auch eine erste Dada-Ausstellung im Jahr 1920 wurde wegen sexuell Anrüchigem von der Polizei kurz nach Eröffnung wieder geschlossen. Dada wollte das Leben durch die Kunst revolutionieren, und revolutionierte dabei die Kunst.

 

 

Lesung: »Viel Lärm gegen das Nichts: Martin Mittelmeier und Thomas von Steinaecker im Gespräch über DADA«
Do, 11.2., 19.30 Uhr, Literaturhaus