Laut und dennoch nur am Rande erwähnt: Frauen bei einem Flashmob gegen sexuelle Gewalt | Foto: Irene Franken

Die ausgeschlossenen Dritten

Die Silvesternacht in Köln war auch ein Medienereignis. Aber die Debatte wird bestimmt von alten Mustern

 

Es klingt paradox: Wenn ein Journalist am Hauptbahnhof gewesen wäre, wäre die Berichterstattung über die sexualisierte Gewalt der Silvesternacht weniger hysterisch verlaufen. Denn dann hätte ein ritualisierter Ablauf der Nachrichtenproduktion eingesetzt. Reporter vor Ort notieren Beobachtungen und nehmen Stimmen auf, schließlich wenden sie sich für weitere Hintergrundinformationen  an die Polizei. Für die Silvesternacht war eine verharmlosende Polizeimeldung jedoch die einzige Quelle. Erst als sich im Laufe des Neujahrstags Augenzeugen per Facebook melden oder sich direkt an die Redaktionen wenden, wird das Ausmaß der sexualisierten Gewalt deutlich, was zuerst der Express aufgreift.

 

Die Polizei dagegen, die Journalisten gewöhnlich als faktenfeste Autorität zitieren, stellt sich als unzuverlässig heraus, also suchen die Medien nach anderen Quellen aus dem Polizeiapparat. Bild und Spiegel Online bekommen das Gedächtnisprotokoll eines Bundespolizisten zur Lage vor dem Hauptbahnhof zugespielt: Böllerwürfe, massenhafte sexuelle Belästigung durch Asylbewerber und eine Polizei, die nicht mehr Herr der Lage war. Zwar melden die FAZ und Georg Restle vom WDR-Magazin »Monitor« Zweifel an der Gedächtnisleistung des Beamten an, weil die von ihm zitierten, tatverdächtigen Flüchtlinge aus Syrien etwas zu gut Deutsch sprechen. Aber das Protokoll etabliert den dominanten Narrativ über die Silvesternacht: Die Polizei hat gelogen, es waren doch Flüchtlinge unter den Tätern.  

 

Der Kölner Stadt-Anzeiger fügte ein entscheidendes Detail hinzu. Am Morgen des 8. Januar veröffentlicht das Blatt anonyme Stimmen aus dem Polizeiapparat, die behaupten, dass tatverdächtige Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan aus politischen Gründen nicht im internen Polizeibericht auftauchen durften. Stattdessen stehe dort wider besseres Wissen die Formulierung »nordafrikanisch und arabisch aussehende Männer«.  Am Nachmittag des 8. Januar wird Polizeipräsident Wolfgang Albers entlassen. Die beiden Chefredakteure Carsten Fiedler (Express) und Peter Pauls (KStA) beglückwünschen sich im Gespräch mit dem Mediendienst Kress dann auch für die investigativen Leistungen ihrer Reporter. »Wir haben gearbeitet, bis wir schwarz wurden. Das sind die Tage, für die ich Journalist geworden bin«, sagt Pauls über die Recherchen. 

 

Das Problem dabei ist, dass die erste Einschätzung der Polizei über die Verdächtigen im Wesentlichen korrekt zu sein scheint. Alle 21 Verdächtigen, gegen die bei Redaktionsschluss der aktuellen StadtRevue ermittelt wurde, stammen aus Nordafrika. Der WDR-Polizeireporter Oliver Köhler erläutert, dass viele nordafrikanische Migranten sich bei der Einreise als Syrer ausgeben, weil sie sich davon bessere Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung versprechen.

 

Fehleinschätzungen von Fakten sind durch die Tagesaktualität  bedingt und in der Regel kaum vermeidbar. Nach Silvester überformte das Narrativ — Politik und Polizei lügen, arabische Männer sind gefährlich —  jedoch häufig die Tatsachen. Die Welt meldet am 17. Januar, dass die Landesregierung Probleme mit nordafrikanischen Flüchtlingen geheim halten wollte, obwohl das Protokoll der betreffenden Innenausschusssitzung das Gegenteil beweist.  Mehrere Medien melden, dass ein »Sex-Spickzettel« (Die Welt), der am Kölner Hauptbahnhof gefunden wird, die Formulierung »Ich töte sie« enthält. Auf dem Zettel selbst steht allerdings »Ich töte sie ficken«. Und das WDR-Magazin »Westpol« folgt drei dunkelhäutigen jungen Männern mit verdeckter Kamera in den Kölner Hauptbahnhof, kann aber kein Verbrechen aufzeichnen. Trotzdem werden sie im Beitrag als »Antänzer« bezeichnet.  

 

Die ausgeschlossenen Dritten bei dieser Debatte sind die betroffenen Frauen. Ihre Stimmen dienen zur emotionalisierten Ausschmückung der Ereignisse der Silvesternacht, ansonsten werden sie ignoriert. Als am dritten Januarwochenende 300 Migranten und Biodeutsche vor dem Bahnhof »gegen Sexismus« demonstrieren, ist es ein Thema für die bundesweiten Medien. Ein mehr als doppelt so starker »Womanwalk« am nächsten Tag wird jedoch weitgehend ignoriert.