Stress Alaaf II

Die Stadt ist nervös. Während man noch über neue Sicherheitskonzepte, Polizeipräsenz und Videoüberwachung streitet, kündigt sich im Stadtbild schon der Straßenkarneval mit den ersten Kostümierten und Kölsch-Wracks an. Der kölsche Karneval ist anstrengend — aber nicht nur für uns, die mit der dicken Trommel durch die Stadt ziehen. Auch die Karnevalisten haben Stress, und vor allem all diejenigen, die das kollektive Durchdrehen erst möglich machen. Wir haben mit diesen Möglichmachern gesprochen. Kann man selbst noch feiern, wenn man für die Müllabfuhr oder einen Rettungsdienst arbeitet? Wie schafft man es als Wirtin in einer Karnevalskneipe oder als Verkäuferin in einem Kostümgeschäft die Nerven zu behalten? Und wie kommen die Karnevalisten selbst eigentlich mit dem Dauerfrohsinn klar?

»Da muss man durch — egal wie«

 

Ich arbeite von Weiberfastnacht bis Veilchendienstag  rund um die Uhr. Der erste Tag ist der Anstrengendste. Mittwochs haben wir noch normal auf, in der Nacht räumen wir aus und am Donnerstag um 6 Uhr morgens kommt der Möbelwagen und nimmt alles mit. Alles wird eine Woche eingelagert. Die Wände werden verbrettert und mit Motto-Plakaten überklebt. 

 

Seit ich das Backes mache, hat sich der Kneipenkarneval verändert. Früher hat man einen »Kneipenzoch« gemacht. Man hat bei uns ein paar Bier getrunken, ist dann ins Chlodwigeck, in die Opera oder die Ubierschänke. Aber Kneipen-Hopping, das Wort gab es damals noch gar nicht, das geht heute nicht mehr. Das finde ich sehr schade. Denn neue Gesichter bringen neue Stimmung und gute Laune. Wir machen am Donnerstag um 11.11 Uhr auf, gegen 12 Uhr ist der Laden voll. Die drin sind, gehen erst um 20 Uhr. Die können dann nicht mehr. Seit einigen Jahren ist Karneval zum Megaevent geworden, gerade in der Südstadt. Auch der 11.11. wird immer mehr gefeiert. Bis vor zehn Jahren habe ich mich geweigert, da mit zu machen. Da habe ich gesagt: Am 11. November ist St. Martin, da sollen die Kinder kommen und singen. Aber wer sich über den Stress als Gastronom beschwert, der hat seinen Beruf verfehlt. 

 

Ich habe schon mit Fieber hier gestanden. Mir ist auch mal ein Bierfass auf den Fuß gefallen, da habe ich die Zehen einfach getapet. Die fünf Tage muss man durch, egal wie. Auch nach all den Jahren bin ich immer noch aufgeregt und schlafe die Nacht von Mittwoch auf Weiberfastnacht nicht. Ich grüble: Kommt überhaupt jemand? Wie sind die Leute drauf? Was ist für Wetter? Schnee ist egal, Regen ist ganz blöd. Dann stinken auch die Kostüme mehr. Kellergeruch, Moder, das Bier vom Vorjahr. Bei uns auf der Toilette steht immer Textil-Erfrischer zum Einsprühen. 

 

Barbara Petry ist seit 1983 Besitzerin des »Backes« in der Südstadt

 

 

Come in and burn out?

 

Bühnenmenschen sind immer gefährdet. Borwin Bandelow hat das in -seinem Buch »Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein« beschrieben. Sie haben eine große Fantasie und Einfühlungsfähigkeit, aber auch ein dünnes Fell. Es wäre deshalb unfair, dem Karneval den Schwarzen Peter für meine Depression zuzuschieben. Natürlich ist das ein unglaublicher, auf wenige Wochen komprimierter Stress. Den gleichen Stress hat aber mit Sicherheit auch eine Nachtschwester, wenn da Hochbetrieb ist. Und die wird schlechter bezahlt.  

 

Bei den Auftritten selbst hat man einen Adrenalinschub. Das Problem fängt erst danach und dazwischen an. Aber man kann lernen, damit umzugehen. »Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?« Das ist aus der Bibel, obwohl es nachweislich in Galiläa keinen Karneval gab. 

 

Meine Depresson ist eine innere Veranlagung, sagen meine Ärzte. Vor 20 Jahren hatte ich einen hässlichen Schub, habe mich da aber ein Jahr durchgequält. Vor drei Jahren hat mir mein guter Freund Manfred Lütz gesagt: »Such dir endlich Hilfe.« Er hat mir dann eine Klinik in Neuss empfohlen. Und weil ja schon Neil Diamond »What a beautiful noise« gesungen hat, bin ich da hingegangen. Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

 

In meiner aktiven Zeit als Karnevalist waren meine Termine zwei Jahre im Voraus ausgebucht — ein Hammer! Meine Agentur hat sich aber ganz hervorrragend verhalten, als meine Depression auftrat. Ich denke oft an meine Kollegen, die in dieser Mühle sind. Denen rate ich: Ehrlich zu sich sein, auf den Körper hören! Mein Arzt hat gesagt, ich darf die Bühne nicht meiden, das ist ja mein Talent. Mittlerweile mache ich drei bis fünf Auftritte pro Monat, hauptsächlich Kabarett. Trotzdem fehlt mir der Karneval: der Backstage, die Atmosphäre und die Kollegen.

 

Willibert Pauels ist als »’ne bergische Jung« im Karneval bekannt geworden. 

Seit 2013 tritt er wegen einer Depression nur noch sporadisch auf. Im vergangenen 

 

Jahr hat Pauels das Buch »Wenn dir das Lachen vergeht« veröffentlicht

 

 

 

»Die meisten schlafen den Rausch aus«

 

Der Sanitätsdienst soll an Karneval die Krankenhäuser und den Rettungsdienst entlasten. Unsere Klientel muss versorgt, aber nicht unbedingt mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Entweder kommen die Leute noch zu uns gewankt oder sie hängen über den Schultern anderer. In unseren beheizten Zelten könnten Patienten intensivmedizinisch betreut werden. Der karnevalistische Einheitsbrei sieht aber anders aus: Die meisten schlafen bei uns ihren Rausch aus und bekommen eine Elektrolytlösung, dann können sie nach Hause.

 

Für die Freunde ist die Situation meist sehr dramatisch. Die rufen völlig aufgeregt: »Hey, hier müsst sofort helfen, der stirbt gleich.« Wir sagen dann: »So schlimm ist es nicht, der braucht Ruhe, holt ihn in ein paar Stunden wieder ab.«  Die jungen Kraftprotze spielen dann den Beschützer und wollen oft ins Zelt mit rein. Wir müssen sie dann ruhig und freundlich zurückweisen. Manchmal kommt es auch zu Auseinandersetzungen. Denn der blödst aussehende Hase kann der schlimmste Pöbel sein. Und die toughste L.A.-Police-Lady kann rotzvoll und heulend in der Ecke hängen, etwa weil der Freund eine andere gebützt hat. Wir erleben viele Dramen, meist aber keines, das lange anhält. Aber es gibt natürlich die ganze Bandbreite: Leute werden mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gefahren, weil sie schon zu weit weggetreten sind. Und vor ein paar Jahren haben wir einen Mann aus dem Rhein geholt. Der stand auf einem Steg und hat beim Pinkeln das Gleichgewicht verloren. Er konnte sich noch an einer Eisenkette festhalten und wir haben ihn mit einer Menschenkette rausgezogen. Er war schon eiskalt, das war haarscharf. 

 

Grundsätzlich ist Aggression ein großes Thema, unsere Leute gehen sehr zurückhaltend vor. Sobald eine Eigengefährdung vorliegt, ziehen wir uns zurück. Wir behandeln auch Jugendliche unter 18 Jahren, aber es sind viel weniger als es medial hochgespielt wird. Seit dem Glasverbot müssen wir weniger kleine Verletzungen versorgen. 

 

 

Dieter Hellingrath leitet an Weiberfastnacht den Einsatz der Johanniter in der Altstadt