66 Skyscraper, Harold L. van Doren, John Gordon Rideout, Air-King Products Company, New York, 1935 Foto: Saša Fuis Photographie, Köln

Illusion der Nähe

Das MAKK feiert 120 Jahre Radiodesign und

vergisst vor lauter Glück ein paar Kernfragen

Mediennutzer sind nicht lernfähig. Wer sich in der Ausstellung »RADIO Zeit« die Beglückungsutopien anhört, die mit der Einführung dieses Massenmediums verbunden waren, tut das schnell als Phantasien aus der medientechnologischen Kindheit ab. Doch es sind dieselben Träume, die sich auch mit dem Internet verbanden — und ähnlich enttäuscht wurden.

 

Bereits 1926, drei Jahre nach der ersten offiziellen Übertragung, verfügten die Sender über eine Million Hörer. Viel schneller als das Internet zog das Radio in die Wohnzimmer ein, hielt Information, Sport und Kulturelles bereit. Für die Designer der ersten Empfänger galt es, fünf Parameter zu berücksichtigen: Die Röhren, den Lautsprecher, die Senderskala, zwei Knöpfe für Sender und Lautstärke. Lag es an der Form der Röhren oder an den Bildern der in die Höhe strebenden Funktürme: Die ersten Geräte orientieren sich neben Sarkophagen vor allem an Hochhäusern, etwa der »66 Skyscraper« der Air-King-Products Company von 1935 — mit allen architektonischen Dekors wie Gesims, Rosetten oder Pilaster. Auch der 1933 von den Nazis als Ideologisierungsmaschine auf den Markt gebrachte billige »Volksempfänger« macht da keine Ausnahme. Das Radio mit seinen internationalen Sendern trieb die mediale  Globalisierung voran. Schon damals haben Philosophen von Adorno (»Illusion der Nähe«) bis zu Heidegger (»Ent-fernung der ›Welt‹«) über das spukhafte Hier des Radios ohne face-to-face-Kontakt nachgedacht.

 

Es war dann nicht der senkrechte, sondern der waagerechte Quader, der sich als Grundform durchgesetzt hat (in Tablet und Smartphone vereinen sich beide Ausrichtungen). Als ästhetische Hochzeit des Radiodesigns macht die von Romana Breuer kuratierte Ausstellung zwei Phasen aus: Zunächst das Art Deco mit Gestaltern wie Walter Dorwin Teague, Norman Bel Geddes oder Raymond Loewy. Damals scheint alles möglich: Geräte mit einer kreisrunden Glasfront von einem Meter Durchmesser, Streamline-Design mit abgerundeten Ecken, ein lederbezogenes Kleinradio, das wie eine Clutch aussieht. Mit dem Bakelit als erstem vollsynthetischen Kunststoff eröffneten sich zudem völlig neue Möglichkeiten der Formgebung und Farbgestaltung.

 

Die Ausstellung präsentiert diese frühen Geräte irritierenderweise wie Preziosen auf anthrazitfarbenem Sockel unter (Plexi-)Glassturz, begleitet von zahlreichen Hörproben. Eine Ikonisierung, die in der Ausstellung um 1955, also mit dem Auftreten des Fernsehens, abbricht. So euphorisch kann man die Radio-Geschichte nur begreifen, wenn man deren politische, ökonomische und soziale Implikationen eher beiläufig behandelt. Und darin liegt ein Grundproblem der Ausstellung: Sie geht von einem objektzentrierten, nicht von einem kommunikativen Verständnis von Design aus. Etwas, das gerade beim Radio und dem Medium Hörfunk zu schmerzlichen Verlusten führt. So wird der ästhetische und soziale Aspekt des Hörens fast völlig ausgespart. Die Akustikschnipsel von Zarah Leander oder Sportereignissen helfen da kaum weiter. Unterbelichtet bleibt auch die gesamte Produktionsseite, die auf einen Sprechertisch samt Mikro und Hörspielrequisiten des WDR reduziert ist.


Die zweite Designhochphase beginnt in den 50er Jahren. Einerseits mit gigantischen Phonomöbeln wie dem Modell Komet der Firma Kuba Imperial oder Kofferradios wie dem Miniboy, vor allem aber durch die Designrevolution der Firma Braun und ihrer Kompaktanlage Phonosuper SK 4 — dem legendären »Schneewittchensarg«, dessen puristisches Design bis heute stilbildend blieb.

 

Verblüffend ist, wie sehr sich das Radio immer wieder an popkulturelle Trends anhängt. Ob ans Streamline-Design des Autos in den 30ern oder ans Space-Age-Design nach 1968. Nun nehmen Radios Kugelgestalt an oder die Form von raumschiffartigen Steuerungspulten  — begünstigt durch die Erfindung der Transistortechnik in den 50ern, die die Größe des Empfängers auf ein Minimum reduziert. Hier hätte man sich in der Ausstellung mehr Verbindungen zum popkulturellen Begleitsound des Radios gewünscht. Es reicht nicht, einen Ghettoblaster auf ein Podest zu stellen und von einer »Sonderform« zu sprechen. Wieso haben Jugendliche in den 80ern ein derart unhandliches Gerät mit sich herumgeschleppt? Wenn (Radio-)Design eine gesellschaftliche Dimension hat, hier wäre sie zu benennen gewesen.

 

Und schließlich macht der Ausblick auf das »formlose Radio« der Gegenwart stutzig. Das Radio mag sich in multipel nutzbare Endgeräte auflösen. Aber folgt der »Cubo« von der Firma Geneva nicht einem Trend zur Verdichtung, den schon die Kompaktanlage vorgab? Die Frage nach Form und Funktion des Radios war nie triftiger als heute. Vielleicht spiegelt sich in den neuen »formlosen« und mobilen Empfängern exakt die »Formlosigkeit« und Allgegenwart der Funkwellen. Es könnte sein, dass der Hörfunk mit der »Befreiung« aus dem Radiogerät jetzt erst wirklich zu sich selbst kommt.

 

 

»RADIO Zeit«, Museum für Angewandte Kunst Köln, An der Rechtschule, Di–So 11–17 Uhr, erster Do im Monat 11–22, erster So im Monat 10-17 Uhr, bis 5.6.