Macht »Pain in the ass«-Theater: Regisseur Nuran David Calis

»Mit Theater die Monster abkochen«

Nuran David Calis zeigt am Schauspiel Köln »Glaubenskämpfer«

zwischen Kirche, Synagoge und Moschee

Gott ist tot. Nein, wohl eher nicht. Oder irren all diese vielen Menschen, die in Gottes Namen überall auf der Welt in den Krieg ziehen? Nach »Die Lücke« über das Nagelbombenattentat in der Keupstraße setzt der Regisseur Nuran David Calis am Schauspiel Köln seine Sondierungen des deutschen Alltags fort. »Glaubenskämpfer« heißt sein neues Stück. Es geht um den Glauben als sinnstiftende Ressource.

 

Sie nennen Ihr Stück »Glaubenskämpfer«, damit assoziiere ich sofort den Begriff Ideologie. Wie verstehen Sie Glauben?

 

Die Aufklärung hat uns, der westlichen Welt beigebracht, dass wir glauben sollen, was wir wollen: »Ihr habt die Freiheit dazu.« Diese Verheißung müssen wir dringend hinterfragen. Hat dieser Gedanke die Welt wirklich gerechter gemacht? Sind wir uns darüber sicher? Auf diesem seltsam leeren unbeantworteten Feld lasse ich die Glaubenskämpfer antreten. Bei den Proben habe ich gesagt, dass sich jeder seinem Dämon stellen muss. Das heißt nicht nur Angehörigen anderer Glaubensrichtungen oder den Fanatikern. Der Glaubenskampf hat immer auch mit uns selbst zu tun.

 

Begegnet uns Glauben an dem Abend also eher in säkularisierter Gestalt als Wissen?

 

An dem Abend geht es viel um Spiritualität, um Menschen, die unmittelbar Gotteserfahrungen hatten. Es wird natürlich auch darum gehen, was es bedeutet, wenn Menschen wie wir, verankert im säkularen Wissen, das zu verstehen versuchen. Der Konflikt ist vorprogrammiert.

 

Wie kann ich mir das vorstellen?

 

Versuchen Sie, die drei Utopien der Weltreligionen auf die Bühne zu bringen? Oder sind es Stellvertreter bestimmter Überzeugungen? Es geht um Biografien, um Verwerfungen und Brüche, die zu Schlüsselerlebnissen geführt haben. Die drei Religionen werden dabei einander auch konfrontativ gegenüber stehen. In dieses Drama, was wir erzeugen, wollen wir den Zuschauer mit hineinziehen und daran teilhaben lassen. Es kommen bittere Wahrheiten zutage, die unser Selbstverständnis von Religion hinterfragen.

 

Wie stellen Sie das an?

 

Wir möchten die säkulare Welt ins Schwanken bringen. Das heißt, wir fordern alle auf, daran zu glauben, dass es einen Gott gibt und überzeugt sind, dass dieser Gott alles so will, wie unsere Protagonisten es denken. Wir werden nicht mit Religionsphilosophen verhandeln oder mit starken Autoren auffahren. Es geht uns um den Alltag, Wir reagieren wir? Warum dringt der Glaube gerade jetzt über äußere Erscheinungen so stark in unser Leben? Wohin haben wir uns als säkulare Welt zurückgezogen? Haben wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht, dass Religionen überhaupt wieder so aufeinanderprallen können?

 

Sie haben es schon angesprochen. Sie haben sich Vertreter aus Christentum, Islam und Judentum gesucht. Ihr ›Cast‹ klingt, gelinde gesagt, krass.

 

Für das Material, dass wir auf der Bühne benutzen, haben wir Interviews geführt und zwar mit allen Seiten: Wir haben zum Beispiele mit der Lohberger Brigade gesprochen, dem Al-Quaida-Sympathisanten Bernhard Falk und der rechtsextremen Melanie Dittmer. Wir gehen in die dunkelsten Ecken von christlichen, jüdischen und islamistischen Gruppen. Es sind aber auch Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße dabei und der Salafisten-Aussteiger Dominic Schmitz. Wie gesagt, jeder wird auf der Bühne seinen Dämon treffen.

 

Wollen Sie die Provokation?

 

Ich weiß, ich steche in ein richtiges Wespennest. Theater muss aber den Mut haben, die größtmögliche Gegenposition auszuhalten. Alles andere ist nicht bar bezahlt. Wir brauchen eine Haltung. Auch wenn wir mittlerweile sogar bedroht werden, kommt es für mich nicht infrage, das Stück abzusagen.

 

Spielen Sie auf Alvis Hermanis an, der seine Inszenierung »Russland.Endspiele« am Thalia abgesagt und das mit seiner Angst vor islamistischen Anschlägen begründet hat?

 

Alvis Hermanis hat überspitzt gesagt, den IS darüber siegen lassen, ob er Theater macht oder nicht. Er hätte ja seine Befürchtungen zum Thema machen können. Stattdessen hat er überall Verunsicherung gestiftet. Damit spielt er das Spiel der Faschisten. Das ist das, was die AfD macht. Im Moment ist unsere Gesellschaft mit Angst und Panik aufgeladen. Im Theater kannst du aber über die Reflexion diese Monster abkochen. Das ist die Chance.

 

Daran glauben Sie?

 

Ich glaube an die Kraft der Verwandlung und deswegen mache ich vielleicht auch Theater. In diesem Raum kann ich Gewissheiten auf den Kopf stellen. Wir verschweigen nichts, wir können in die übelste Ecke vordringen und darüber einen Diskurs auslösen. Als vor 2500 Jahren in Griechenland das Theater auf die Beine gestellt wurde, wurden auch rundherum Kriege geführt. Aischylos etwa hat im Theater die verfeindeten Parteien reden lassen, weil er auf Veränderung hoffte.

 

Was ist denn für Sie überhaupt das Beste am Theater?

 

Das beste Moment ist, wenn Theater ein richtiger pain in the ass ist. Wir befinden uns derzeit in einem Wertekrieg. Wenn das Theater sich jetzt darum drückt, heiße Eisen anzupacken, wenn wir klein beigeben, dann können wir Theaterleute einpacken. Dann geht der Masterplan der Fanatiker, egal ob AfD oder IS, Angst einzujagen auf. Ich halte mit meinem Stück dagegen und kämpfe für diese Welt. Fertig.

 

 

»Glaubenskämpfer«, A+R: Nuran David Calis, 27.2. (UA), 11., 23.3., 1.4.,Depot 1, 19.30 Uhr