Schrecklich nette Familie

In Umbettung gestaltet Jens Albinus Sinnbilder eines kaputten Europas

Ein Friedhof soll einer Zufahrtsstraße weichen, das Grab der Tochter Alma muss umziehen. Ein Anlass, der die verstreute Familie zusammenbringt. Verzweifelt strampelt sich die jüngste Tochter Liv für das Bild einer heilen Familie ab. Soweit der klassische Dramenbeginn vom dänischen Regisseur und Autor Jens Albinus, der vor allem als Schauspieler in Filmen Lars von Triers bekannt ist und auch in deutschen Krimis immer häufiger auftaucht.

 

Nach und nach öffnen sich in »Umbettung« die Abgründe einer Familie, die nie eine war, obwohl sie nach außen perfekt das europäische, weltoffene Bildungsbürgertum verkörpert. Eine einst berühmte Fotografin, ein Schriftsteller, heute mit Geldmangel und Schreibhemmung, die älteste Tochter (Melanie Kretschmann) ritzt sich selbstzerstörerisch. Warum hat die Mutter ihre Töchter von drei verschiedenen Männern verlassen und ließ sie die verstorbene Alma bei ihrem Ex-Mann, der sie mutmaßlich missbraucht hat?

 

Auf der Bühne köcheln die alten Konflikte vor in einem gediegenen Interieur, riesiger Holztisch unter Designerlampen, edles Parkett: Insignien der erfolgreichen Kreativen (Bühne: Rikke Juellund). Familienvater und Exmann Jørgen, vielschichtig gespielt von Ronald Kukulies, ist der gemütlich geerdete Teddybär in Holzfällerhemd, der sich zunehmend als schmerbäuchiges, pädophiles und brandstifterisches Monster entpuppt. Auch Birgit Walter changiert als Lili gekonnt zwischen eiliger Karrierefrau und emotionalem Eisblock. Ein kleiner, harmloser Lichtblick ist Toby (Sean Mac Donagh), der naive Freund der Jüngsten, der meist verleugnet oder geschlagen wird. Über all dem hängt latent die Bedrohung der vermeintlichen europäischen Unversehrtheit, des Flüchtlingsstroms in die benachbarten Baracken.

 

Die Reaktionen des Vaters sind ein Abbild der gesellschaftlichen Ratlosigkeit: mal wüster Gegner, dann Willkommenshelfer bis zur Selbstaufgabe. Und auch wenn gewaltige Themen wie Flüchtlingskrise, sexueller Missbrauch, Selbstzerstörung und Sinnkrisen ganz schön viel sind für knappe zwei Stunden, ist Albinus zweite Uraufführung am Schauspiel Köln zum intensiven, düsteren und psychologisch genau gespielten Kammerspiel geworden. Es erzählt von einer typisch westlichen Familie, mit all ihrer Luxussehnsucht, die verlogen schon am Kleinsten scheitert. Ein trauriges Sinnbild für Europa.