Foto: Stefanie Pörschke

Ein hartes Geschäft

Rotorblätter für Windräder oder auch das Reiterdenkmal vom Heumarkt: Kapitän Eberhard Butenhof transportiert Güter auf seinem Frachter — jeden Tag im Jahr. Stefanie Pörschke hat ihn eine Woche lang begleitet

Ohrenbetäubender Lärm dröhnt aus dem Maschinenraum, wo Ma-trosin Lisa Nolting umherläuft und Ölstände misst, Maschinenteile schmiert und die Schiffsmotoren anwirft. Oben im Steuerhaus sitzt Schiffsführer Eberhard Butenhof und lenkt den Frachter durch die Dunkelheit. Es ist fünf Uhr morgens auf der »MS Bayerischer Wald«. 

 

Butenhof ist seit mehr als 40 Jahren unterwegs auf Flüssen und Kanälen in Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Schon seine Kindheit hat er an Bord verbracht, sein Vater war ebenfalls Binnenschiffer. Butenhof besuchte das Schifferkinderheim und verbrachte die Schulferien auf dem Schiff seiner Eltern, im Sommer schipperte er auf der Luftmatraze durchs Duisburger Hafenbecken. Er hat Aufschwung und Krisen der Schifffahrt erlebt, war in den 70er Jahren als Matrose auf zahlreichen Frachtern unterwegs. Dann kaufte er sich ein eigenes Schiff. »Wir waren das Partyschiff«, erinnert sich Butenhof und grinst. »Wo wir anlegten, war was los.« Heute führt er das Schiff gemeinsam mit seiner Frau -Kerstin, die noch einen Teilzeitjob an Land hat.

 

Die MS Bayerischer Wald ist ein beeindruckender Anblick: Der Frachtraum fasst 2000 Tonnen und eignet sich für besonders sperrige Güter wie etwa Rotorblätter für Windkraftanlagen. Einen sehr speziellen Auftrag erhielt Butenhof im September 1990 von der Stadt Köln: Er transportierte das restaurierte Reiterstandbild des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. den Rhein hinunter zum Heumarkt. Die Ankunft wurde als Medienspektakel inszeniert. Mit Vertretern von Politik, Kultur und Medien an Bord lenkte Butenhof das Reiterstandbild um exakt 11 Uhr 11 unter der Hohenzollernbrücke hindurch.

 

Jetzt liegen im Frachtraum 900 Tonnen Walzdraht, der über Mosel und Rhein nach Ostwestfalen transportiert werden soll. In Trier hatte ein Kranführer die tonnenschweren Drahtrollen akkurat aufeinandergestapelt. Als Schiffer braucht man vor allem Geduld: Die Beladung dauerte gut einen halben Tag, nach dem Ablegen geht es im Zeitlupentempo weiter: Mit 14 km/h lenkt Butenhof sein Schiff »zu Tal«, also stromabwärts, die engen Windungen der Mosel entlang. Weinberge, Burgen und Fachwerkhäuser ziehen vorüber. Butenhof schenkt starken Kaffee ein. Am Amaturenbrett hat er ein Schild befestigt: »Navigation ist, wenn man trotzdem ankommt.« 

 

Die Schifffahrt ist ein hartes Geschäft. Seitdem die Reedereien den Schiffern keine Tagessätze mehr zahlen, wird die Fracht allein nach Gewicht abgerechnet — egal, wie lange der Schiffer für den Auftrag unterwegs ist. Die Preise pro Tonne sinken, und damit es sich überhaupt noch lohnt, fährt Butenhof inzwischen an 365 Tagen im Jahr. Auf das Tempo hat er nur wenig Einfluss: Wenn Schleusen defekt sind oder es beim Laden stundenlang nicht weitergeht, bricht jeder Zeitplan zusammen. Als Schiffseigner fährt Butenhof außerdem auf eigenes Risiko: Hat das Schiff eine Panne und muss zur Werft, bekommt er den Verdienstausfall von niemandem erstattet. Erfahrung mit bösen Überraschungen hat er zu Genüge gemacht. Zuletzt wurde eine neue Ölpumpe falsch eingebaut, 500 Liter Öl legten die Maschine lahm.  »Für den nächsten Tag hatten wir einen Schwertransport in Auftrag. Den konnten wir vergessen«, erzählt Butenhof gleichgültig.

 

Draußen zieht das Deutsche Eck vorbei, der Frachter verlässt die Mosel und gelangt auf die »Autobahn Rhein«. Trotz breiterer Fahrrinne geht es kaum schneller voran, denn der Verkehr nimmt zu. Viele Frachter fahren mit geringer Auslastung, und das ist nicht nur dem niedrigem Wasserstand geschuldet. Die Schiffer konkurrieren um immer weniger Fracht: Güter wie Kohle oder Sand werden seltener, neue Frachter haben ein größeres Volumen, so dass immer weniger Schiffe gebraucht werden. In Deutschland werden nur knapp zwölf Prozent aller Waren per Schiff transportiert, zudem müssten Kanäle ausgebaut und Schleusen erneuert werden. Obwohl ein Schiff mit 1000 Tonnen Tragfähigkeit soviel transportieren kann wie 40 LKW, ist die Schadstoffbilanz kaum besser. Zwar fahren Binnenschiffe mit Schiffsdiesel anstelle des giftigen Schweröls, das in der Seeschifffahrt verwendet wird. Aber Studien belegen, dass gerade Schiffsdiesel eine hohe Konzentration ultrafeiner Rußpartikel enthält, die nicht nur zu Lungenkrebs führen, sondern auch Herzinfarkte auslösen können. Rußfilter, wie sie auch für Autos vorgeschrieben sind, sind in der Schifffahrt bisher keine Pflicht.

 

Eine Fülle von Vorschriften und Verordnungen gibt es dennoch. Jedes Jahr werden sie im Weska veröffentlicht, einer Art Schiffer-Bibel mit mehreren hundert Seiten, die neben der »Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung« Informationen über Liegegeld, Kanalabgaben und Kleinwasserzuschlag enthält. »Mit der Schifffahrt kann man kein Geld mehr verdienen«, meint Butenhof. »Geld verdient man heute an der Schifffahrt«.

 

Früher hat Butenhof einige Male Alternativen gesucht, nur um danach doch wieder zurück an Bord zu gehen: »Geldtransporte hab‘ ich gemacht, Dessous habe ich auch mal verkauft, das war nicht so erfolgreich. Dann habe ich mal als städtischer Angestellter auf einer Fähre gearbeitet, ein sicherer Job, aber der ständige Querverkehr war nichts für mich.« Inzwischen hat er viel Arbeit in sein Schiff gesteckt und möchte trotz schlechter Auftragslage weiterfahren. Er hofft, dass seine Mitarbeiterin Lisa Nolting das Schiff einmal übernehmen wird: »Ich hab schon immer ausgebildet, aber dass jemand so schiffig ist, das hab’ ich noch nicht erlebt«. 

 

Viele Auszubildende in der Schifffahrt gibt es nicht. Dabei ist das Gehalt mit bis zu 1.000 Euro während der Lehre vergleichsweise hoch. Aber danach gibt es kaum mehr Geld, weiß Lisa Nolting. »Die meisten machen das ein paar Jahre und gehen dann wieder an Land.« Auch Freundschaften zu pflegen oder eine Beziehung zu führen sei schwer. Nolting ist 24 Jahre alt und seit sechs Jahren auf der MS Bayerischer Wald. Meist ist sie für sechs Wochen an Bord, dann hat sie zwei Wochen frei. »Das sind zwei Welten«, sagt Nolting. »Dass ich mir an Land meine Zeit frei einteilen und hingehen kann, wohin ich will, daran muss ich mich jedes Mal wieder gewöhnen.« Für Schiffer kann der fehlende Kontakt zu Familie und Angehörigen zum Problem werden. Daher sind auch Seelsorgeboote mit Sozialarbeitern auf Wasserstraßen und in Häfen unterwegs; auf Kirchenbooten sind Taufen und Trauungen möglich.

 

Am späten Abend erreicht die MS Bayerischer Wald die Kölner Südstadt. Der Rheinauhafen ist unter Binnenschiffern berüchtigt: Seit dem Umbau des Hafengeländes gibt es dort kaum noch Liegeplätze. Die Hafenwände sind marode. Nach langwierigem Manövrieren legt Butenhof an. Dann lädt er in seine geräumige Schiffswohnung ein: Wohn- und Schlafzimmer, ein Bad, eine voll ausgestattete Küche — die Zeiten, in der die Privatssphäre an Bord sich auf eine schmale Koje beschränkte, sind lange vorbei. Butenhof zeigt auf DVD die Folge einer bekannten Krimiserie, für die sein Schiff vor Jahren als Drehort diente. Beim Showdown lenkt eine hysterische Beamtin das Schiff direkt auf einen Pfeiler der Deutzer Brücke zu. Solche Fernsehdrehs sind für Butenhof ein guter Nebenverdienst, wenn es in der Schifffahrt gerade wieder einmal nicht so läuft. Trotzdem sei er zufrieden, sagt Butenhof. »Die Partys sind weniger geworden, aber jede Zeit an Bord ist eine schöne Zeit.«