Immer noch einfach so

Seit zwei Jahren werden die Bühnen, auf denen die Kölner Band AnnenMayKantereit spielt, immer größer. Ein Ende ist nicht abzusehen. Dabei pflegen die Jungs immer noch ihre schlichte, karge Musik mit den knappen, ungeschützt emotionalen Texten

Wir schreiben das mal direkt vorneweg: Am 13. Mai, einem Freitag, spielen AnnenMayKantereit eine »Zusatzshow« im Palladium. Das ist keine beiläufige Info: Ihre Frühjahrstour ist jetzt schon ausverkauft, Karten für das Palladium-Konzert dürfte es auch bald keine mehr geben. Keine reißerische Marketing-Kampagne ist dafür verantwortlich, kein genialischer Manager zieht im Hintergrund die Strippen. Es klingt paradox, aber die erfolgreichste deutsche Pop-Band der Saison ist kein Hype. Christopher Annen (Gitarre), Henning May (Gesang, Klavier), Severin Kantereit (Schlagzeug) und Bassist Malte Huck nehmen für ihre Termine den Zug, es ist nicht anzunehmen, dass sie dabei von kreischenden Fans belagert werden.

 

Es herrscht (noch?) eine stille Übereinkunft zwischen der Band und ihren Fans: Die vier Kölner Jungs spielen ihren reduzierten, völlig unaufwändig gehaltenen, lakonischen Pop einfach so vor sich hin — ohne Pose, ohne Show; und das Publikum nutzt die Chance und taucht in die kaum gebrochene Alltäglichkeit dieser Lieder ein. Eine Alltäglichkeit, in der sich die Hörer wiedererkennen — oder wiedererkennen wollen. So schnoddrig und doch innerlich erschüttert, wie Henning May über Liebe und Trennung, übers Begegnen und Verfehlen singt, möchte man schließlich auch seine kleinen Dramen zwischen Abwasch und Sex bewältigen. Zusammen mit den Anfang 20-Jährigen blinzeln wir etwas erstaunt und verwirrt in unsere Welt der Erwachsenen.

 

 

Eure Songs bestechen dadurch, dass sie wie aus einem Guss klingen. Wie entstehen sie?

 

Malte Huck: Wir entwickeln die Stücke beim Live-Spielen, manchmal auch beim Soundcheck. Es gibt schon ein Songgerüst, aber das muss sich live unter Adrenalin bewähren, wenn sich das gut entwickelt, wird daraus ein richtiger Song.

 

Severin Kantereit: Wir spielen die Stücke im Studio live ein, da wird nicht mehr viel gebastelt. Die müssen also gut sitzen. Bis auf ein Stück, »Das Krokodil«, sind alle Stücke unseres Albums im Proberaum und auf der Bühne gewachsen.

 

Henning May: Das unterscheidet uns von vielen Bands. Da gibt’s einen Studiotermin, dann schreibt man die Songs, dann werden sie live gespielt. Bei uns ist es anders, weil wir uns sagen: Ein Lied muss gespielt werden, das muss sich gesetzt haben. 

 

 

Bringst Du einen fertigen Text mit?

 

May: Selten. Das sind mehr so Puzzlestücke, zum Beispiel einen schönen Gitarrenlauf und vier, fünf Zeilen. Damit kann es anfangen. Manchmal kommt der Impuls vom Schlagzeug, der Severin spielt einen klasse Rhythmus und dazu passen ein paar Textfetzen, von solchen Momenten entwickeln wir die Lieder weiter. Wir haben keine Schablonen und kein Erfolgsrezept.

 

 

Ihr habt den Ruf, alles selber in der Hand zu haben. Für euer Album habt ihr euch aber entschieden, mit einem der Top-Produzenten deutschsprachiger Rockmusik zusammenzuarbeiten: Moses Schneider.

 

May: Da mussten wir nicht lange nachdenken: Moses steht vor allem für Live-Aufnahmen. Bei vielen Aufnahmen werden die Instrumente nacheinander eingespielt, der Gesang kommt ganz zum Schluss. Das geht für uns nicht, wir müssen zusammen spielen. Ich muss die Jungs sehen, die müssen mich sehen. Wir brauchen den Augenkontakt, nur so entwickeln wir ein Gefühl für das Zusammenspiel und für die Songs. Moses hat über Jahre das Live-Aufnehmen perfektioniert. Als Typ ist er ultrakorrekt, der trägt keine Ringe, kein Goldkettchen, ist nicht von oben herab. Der erklärt uns nicht die Welt, aber er kann uns supergut motivieren.

 

 

Redet ihr viel über eure Musik?

 

Kantereit: Sehr viel. Wir sind sehr eng befreundet und tauschen uns viel über Gefühle aus, weil die so eine große Rolle in der Musik spielen.

 

Christopher Annen: Jeder Song wird genau durchgesprochen, aber wenn wir ein Stück im Studio achtzig Mal gehört haben, ist Schluss. Irgendwann muss es ja weitergehen. Ein Stück wie »Oft gefragt« spielen wir seit dreieinhalb Jahren, das sitzt einfach.

 

May: Man muss nicht immer wieder den Deckel heben. Wenn wir »Pocahontas« spielen, dann weiß jeder vom anderen, an welche Frau er gerade denkt. Wir kennen uns, wissen wie die anderen ticken, da ist auf der Bühne ein tiefes Vertrauen, und das fühlt sich einfach gut an.

 

Huck: Viele Sachen brauchen wir aber gar nicht auszusprechen, zum Beispiel ob ein Solo passt oder nicht. Das ist das Tolle an Musik und an einer Band, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, wo man nicht mehr reden muss und klar ist, dass jeder das Gleiche hört und das gleiche Verständnis davon hat.

 

 

Viele assoziieren mit eurer Musik Blues und Folk und hören Rio Reiser heraus. Wie geht ihr mit Einflüssen um? 

 

Annen: Einflüsse sind erst mal das, was uns umgibt, die Umstände, in denen wir stecken und die sich emotional auswirken. Wir reden auch über Musik. Mit Moses saßen wir abends oft zusammen und haben stundenlang Musik gehört und darüber geredet. Aber es gibt nicht das große Vorbild oder eine Entscheidung, dass wir in diese oder jene Richtung gehen müssen.

 

May: Mir haben zum Beispiel die frühen Tocotronic-Alben sehr gut gefallen, textlich. Weil die Texte so nahe an der gesprochenen Sprache sind. Bei denen ist das ja heute mehr »Literatur des 19. Jahrhunderts«. Aber früher waren sie direkt, ungekünstelt. Das hat mir gefallen, und da habe ich natürlich weiter gesucht, ich will mein Interesse nicht auf Tocotronic beschränken. Den größten Einfluss auf mich haben aber hier die drei Kollegen. Wenn Chrissie mir Musik vorspielt, hat das eine ganz andere Wirkung auf mich, weil ich weiß, dass sie ihm wichtig ist. 

 

 

Mir scheint, dass die eigentliche Komposition das Album selbst ist: Man hört sofort einen starken thematischen Zusammenhang zwischen den Stücken. 

 

May: Wir haben uns gefragt, welche Lieder stellen uns am besten dar? Und was ergeben sie in der Summe? Es ist nicht so irre durchkonstruiert, aber hinter jedem Stück steckt eine Geschichte. Und viele Geschichten hängen zusammen. Dadurch entsteht so ein Konzept-Feeling, ein Gespür für den dramatischen Aufbau. Das älteste Lied, »Barfuß am Klavier«, ist sieben Jahre alt, da war ich 17, das jüngste ein halbes Jahr, aber es gibt einen roten Faden. Wir werden manchmal gefragt, warum wir denn so reduziert und so pur spielen, ob wir da irgendeine Zeitgeist-Stimmung bedienen wollen. Die Wahrheit ist, wir spielen einfach das, was wir können. Nicht mehr, nicht weniger. 

 

 

Mit dem Erfolg kommen die Erwartungen. Seht ihr die Gefahr, dass ihr in Klischees gepresst werdet?

 

Huck: Die Gefahr ist da. Wenn man sich so in die Öffentlichkeit begibt, wie wir, dann wird viel auf einen projiziert. Aber das haben wir uns ja ausgesucht, damit rechnen wir schon. Wir werden noch oft auf unsere Vergangenheit als Straßenmusiker angesprochen. Das war für die Band eine wichtige Phase, aber die ist vorbei, und ehe wir in den großen Hallen gespielt haben, sind wir durch normale Clubs getingelt. Wir sind nicht von der Straße direkt ins Palladium gestürmt. Aber es bleibt einfach eine schöne Geschichte, die noch ein paar Jahre erzählt werden wird.

 

May: Wir haben anderthalb Jahre auf der Straße gespielt, andere machen das zwanzig Jahre. Wir haben überhaupt keine Berechtigung, damit
anzugeben.

 

 

Wie wichtig ist für euch Köln?

 

Annen: Hier spielen meine Geschichten, hier habe ich meine Bezugspunkte. Aber ob ein Kölner Element in unserer Musik existiert? Nein, das kann man wohl nicht sagen.

 

Kantereit: Nach einer Tour zurück nach Sülz kommen, wo alles so gediegen ist, die Nachbarn einen kennen und grüßen (lacht) … es ist nicht so hip wie in Berlin, man steht nicht unter permanenter Beobachtung, kann sich Zeit lassen, kennt fast alle anderen Bands. Trotzdem passiert hier sehr viel Musik, man kann jeden Abend ausgehen und kriegt guten Input.

 

 

Hier die Fakten: AnnenMayKantereit kommen aus Sülz, kennen sich schon von Kindheit an, sind seit 2011 eine Band und veröffentlichen am 18. März ihr erstes »richtiges« Album, »Alles Nix Konkretes« (Universal).