Zwischen Uni-Bürokratie und Anarchismus: David Graeber

Marktkonforme Bürokratie

Für David Graeber führt der Kapitalismus nicht zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie

David Graeber trägt ziemlich verwaschene Jeans — ungewöhnlich für einen Bestsellerautor, in Yale promovierten Anthropologen und Lehrstuhlinhaber an der London School of Economics, einer der angesehensten Universitäten Großbritanniens. Dabei sind die verwaschenen Jeans nur eine Spur von Graebers zweiter Rolle als politischer Aktivist. In eben dieser stieß er auf das Thema seines neuen Buches »Bürokratie«. In den 1990ern war Graeber, Kind linker Intellektueller, im globalisierungskritischen Global Justice Movement aktiv. Durch ihre Protestaktionen bei den Treffen des Internationalen Währungsfonds oder dem Weltwirtschaftsforum machten sie die hierarchische, bürokratische Struktur der Globalisierung sichtbar, die damals zumeist noch als horizontales, naturwüchsiges Netzwerk begriffen wurde.

 

Für Graeber ist dies eine der grundlegenden Eigenschaften des zeitgenössischen Kapitalismus. Linke wie Rechte sprechen vom »deregulierten« oder »freien« Markt. Dabei zeichnet er sich durch das Gegenteil aus. Die Kulturindustrie oder auch die IT-Konzerne, sie alle benötigen eine Vielzahl legaler und bürokratisierter Vorgänge etwa im Patent- oder Urheberrecht, um funktionieren zu können. Für Graeber ist dies das »eherne Gesetz des Liberalismus«: Zielt staatliche Politik darauf ab, die Einmischung des Staates in die Wirtschaft zu verringern, führe dies zu mehr Regulierung, mehr Bürokratie und mehr Polizei.

 

Anders als sein ökonomischer Counterpart Thomas Piketty benötigt Graeber für diese Feststellung keine Excel-Tabellen und Statistiken, sondern zeigt sie an signifikanten Details: Menschen, die ihren Studienkredit oder ihre Hypothek nicht bedienen, haben nicht nur mit den Bonitätsapparaten der Banken zu tun, sondern mit der Polizeigewalt und dem Justizapparat.

 

Dem Lamento über die Bürokratisierung folgt bei Graeber jedoch die Ursachenforschung. Warum glaubt niemand mehr an eine Utopie, in der Technologie unser Leben leichter macht? Weil ihr der tendenzielle Fall der Profitrate im Weg steht. Aber auch, weil unsere Kinder von Harry Potter gelernt haben, dass ein Internat von vorvorgestern der schönste Ort der Welt sein soll.