Dada, Stunde 100

Das arp museum reinszeniert die Entstehung des Zürcher Dadaismus

»Sie sind Vorläufer, Propheten einer neuen Zeit«, so beschrieb der Dada-Mitbegründer Hugo Ball 1917 sich und seine Mitstreiter. »Man versteht sie nicht, wenn man an Gott glaubt statt an das Chaos. Die Künstler in dieser Zeit wenden sich gegen sich selbst und gegen die Kunst.« Ein Jahr zuvor, am 5. Februar 1916, hatte Ball gemeinsam mit Hans Arp, Emmy Hennings und anderen in der Zürcher Künstlerkneipe Cabaret Voltaire den Dadaismus ins Leben gerufen: eine Attacke auf die bürgerliche Kultur und ihre Glaubensätze, ein Abgesang auf die Vernunft und eine Anklage gegen die »große Schweinerei« (Max Ernst) des Ersten Weltkriegs. Zahlreiche Künstler und Intellektuelle hatten sich vor ihm in die neutrale Schweiz geflüchtet.

 

Als international vernetzte, literarisch-künstlerische Bewegung war der Dadaismus kurzlebig — Anfang der 20er Jahre wechselten viele seiner Akteure in die neue Strömung des Surrealismus über, andere politiiserten sich und schlossen sich kommunistischen Parteien an. Für die Kunst bleibt Dada folgenreich bis heute: Das Sprachverspielte, das Readymade und die Collage, die Performance und die Verknüpfung von Kunst und Alltag sind seit Dada kanonische Bestandteile der Kunstproduktion.

 

Zum hundertsten Geburtstag dieser Avantgardebewegung rekonstruiert das Arp Museum im Bahnhof Rolandseck unter dem Titel »Genese Dada« die legendären Zürcher Dada-Schauplätze: das Cabaret Voltaire, dessen Akteure sich in allabendlichen Vorstellungen verausgabten, und die Galerie Dada in der noblen Bahnhofstraße. Schnell am Rande ihrer physischen und finanziellen Möglichkeiten angekommen, stellten beide ihre Aktivitäten nach wenigen Monaten ein. Die Re-Inszenierung der Entstehung von Dada Zürich ist glücklicherweise nicht das, was man eine streng akademisch-museologische Aufarbeitung nennen würde. Sie bietet keine chronologische Aufreihung dadaistischer »Meisterstücke«. Eher kann man von einer künstlerischen Inszenierung von Denk- und Schauräumen sprechen, die die Handschrift des derzeitigen Leiters des Cabaret Voltaire trägt. Adrian Notz gliedert die Präsentation durch konzeptuelle Ein-Wort-Bilder (wie »Mystik«, »Marke«, »Psyche«, »Philosophie«), die wie Kapitelüberschriften funktionieren. Die komplexen historischen und theoretischen Dada-Zusammenhänge übersetzt er in filigrane Diagramme, in denen sich Ästhetik und Didaktik die Waage halten. Die Irritationsmomente der Ausstellung — auch angesichts vieler nichtdadaistischer Werke und Dokumente in der Schau — sind beabsichtigt. Denn es geht in »Genese Dada« darum, so Notz im aufschlussreichen Katalog, »mit klischeehaften Vorstellungen davon, was Dada ist« aufzuräumen und zu zeigen, dass »die ersten Ausstellungen im Kontext von Dada keine Dada-Ausstellungen waren«.

 

Wenn der historische Dadaismus ein Angriff auf den bürgerlichen Kunstbegriff aus dem Schützengraben der Avantgarde war — wie können ihn dann zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler legitim beerben? Vor diese Frage waren 15 Stipendiatinnen und Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral und des Landes Rheinland-Pfalz gestellt, die parallel zur »Genese Dada« neue Arbeiten entwickeln sollten. Stefanie Klingemann fand darauf eine buchstäblich subversive Antwort, indem sie den Schriftzug »arp museum« an der Fassade des Gebäudes auf den Kopf stellte. Anna Lehmann-Braun fand im Internet Fotos von kuriosen Dada-Bars in aller Welt, die sie als Modelle nachbaute und neu fotografierte. Andrea Dettmar und Ina Weber erinnern auf unterschiedliche, aber ähnlich selbstironische Weise an den Urdadaisten Marcel Duchamp und sein Readymade »Fountain« (1917), ein um neunzig Grad gedrehtes Urinoir: Weber mit einer handgefertigten Nachbildung der Keramik-Ikone, Dettmar durch eine mobile, in einen Rollkoffer integrierte Variante in Gips mit dem Titel »First thought, best thought«.

 

Hugo Balls programmatische Forderung, »gegen sich selbst und gegen die Kunst« zu sein, verlangt in jedem Fall eine unbequeme Härte als Grundhaltung — egal in welcher Epoche und unter welchem kunsthistorischen Label. Dass Dada auch hundert Jahre nach seiner Stunde Null noch zelebriert und als Vorbild aufgerufen wird, kann man optimistisch als Hinweis darauf verstehen, dass sich seine Behauptungen und Fragen keineswegs erledigt haben. Allerdings sind die Maßstäbe, die Dada gesetzt hat, hoch: Die »höchste Kunst«, verkündete das immer noch aktuell anmutende »Dadaistische Manifest« von 1918, wird die sein, »der man anmerkt, dass sie sich von den Explosionen der letzten Woche werfen ließ.«

 

Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen, Di–So 11–18 Uhr. »Genese Dada. 100 Jahre Dada Zürich« bis 10.7., Stipendiaten-Ausstellung »Seepferdchen und Flugfische« bis 22.5.; Veranstaltungsprogramm unter arpmuseum.org