Schreibtischtäter

Globalisierungskritiker schmeißen nicht nur Scheiben ein, manche schreiben auch Bücher. Von Viviane Forrester bis Naomi Klein.

Als Ende November 1999 DemonstrantInnen überraschend ein wichtiges Treffen der World Trade Organisation verhindern konnten, war der »Seattle Man«, der Mensch von Seattle, geboren: ein hochmobiler Weltbürger, der einen Großteil seiner Identität aus der Zugehörigkeit zur bunten internationalen Koalition gegen Neoliberalismus und Globalisierung schöpft. Davos, Göteborg, Genua: Der Seattle Man tauchte nun beharrlich überall dort auf, wo Wirtschaftsbosse und PolitikerInnen konferierten, und obwohl oder: weil seine Aktionen von den westlichen Medien absichtsvoll auf Streetfighting und Randale reduziert wurden, wurde er immer prominenter. Der Buchmarkt reagierte auf die wachsende Globalisierungsskepsis recht offensiv und präsentierte eine ganze Palette von Erzeugnissen, die die aktuelle Variante der Marktwirtschaft kritisch reflektieren.
Die französische Essayistin Viviane Forrester etwa hat, nachdem sie vor fünf Jahren mit »Der Terror der Ökonomie« zur »Symbolfigur einer neuen Protestbewegung« (Die Zeit) wurde, nun 200 Seiten über die »Diktatur des Profits« vollgeschrieben. Forresters Anklageschrift basiert auf der strengen Unterscheidung zwischen »Globalisierung« und »Ultraliberalismus«. Die Globalisierung kennzeichnet sie als sachlichen, technologisch basierten Prozess, den Ultraliberalismus hingegen als perfide Ideologie, die diesem Prozess eine zerstörerische Richtung verleiht. Das zentrale Postulat der Ultraliberalen sei der »Vorrang des Profits; dessen Vormachtstellung scheint sich derart von selbst zu verstehen, dass er, der stets maßgebliche, niemals erwähnt wird.« Eine Tarnung ihrer wahren Absichten unterstellt Forrester den Neoliberalen insgesamt, und so lauten ihre Vorwürfe an deren Adresse fast zwangsläufig »Betrug«, »Manipulation«, »Hochstapelei« und »Propaganda«.
Die unhaltbare These, die Marktradikalen hätten sich die Dominanz über den »passiven und neutralen« Prozess der Globalisierung mit verlogenen Versprechungen an die Allgemeinheit erschlichen, führt zu einer Reihe von analytischen Absurditäten. Unter konsequenter Missachtung des engen inneren Zusammenhanges von Kapitalverwertung, herrschender Ideologie und Politik beklagt Forrester einen übrigens traditionell antisemitisch angehauchten Verlust des Authentischen: An die Stelle der »wahren Wirtschaft« sei die Spekulation getreten, die »wahre Politik« sei durch die zum Absolutismus tendierenden Ultraliberalen sabotiert worden. Wer Deregulierung, Flexibilisierung und Massenarbeitslosigkeit als Terror gegen ein prästabilisiertes Allgemeinwohl betrachtet, der versteigt sich, wie Forrester, auch zu der Forderung, die angeblich antiliberal gepolte »öffentliche Meinung« müsse die verängstigte »politische Klasse« nur energisch genug zum Widerstand gegen die »Dikatur des Profits« ermuntern, um »eine wahre Gesellschaft zu begründen oder wiederzubegründen«.
Nichts von Forresters Hysterie, dafür ebenfalls einen Überschuss an Moral präsentiert George Soros in seinem Buch »Die offene Gesellschaft. Für eine Reform des globalen Kapitalismus«. Das Werk des demonstrativ nachdenklichen »Finanzgurus« und »Devisenspekulanten« (Umschlagtext) spannt jeden Leser, der im Sozialkundeunterricht halbwegs aufgepasst hat, auf eine harte Probe. Ungefähr 200 Seiten lang erläutert Soros, dass die »offene Gesellschaft«, also kapitalistisch verfasste und mit demokratischer Repräsentation ausgestattete Gesellschaften wie die der westlichen Wertegemeinschaft, die einzig praktikable Form des modernen menschlichen Zusammenlebens darstellen. Im zweiten Teil des Buches erfährt man ein paar interessante Details aus der jüngeren russischen und asiatischen Wirtschaftsgeschichte sowie über die Notwendigkeit, »Exzesse« des Neoliberalismus im Interesse der Systemstabilität zu verhindern. In diesem Sinne würde Soros sogar einige Reformen billigen, die den Terror des Profits bändigen und ein wenig »Gemeinwohl« retten. Da Soros zudem ständig damit angibt, dass er einen Teil seiner Milliarden in »philantropische Stiftungen« zur Beförderung »offener Gesellschaften«, also zur Verallgemeinerung abendländischer Herrschaftskunst, steckt, ist das Werk nicht nur als Konzentrat marktwirtschaftlicher Mythologie, sondern auch ansonsten ärgerlich.
Weitaus anspruchsvoller liest sich die Skizze »Globalisierung von unten«, die die emeritierte Kölner Soziologieprofessorin Maria Mies vorgelegt hat. Verfasst als eine Art Tagebuch der globalisierungskritischen Bewegung wird dort nachgezeichnet, wie sich die inhaltlichen und strategischen Positionen der AktivistInnen vor und vor allem nach dem Erfolg von Seattle entwickelt haben. Seattle, so Mies, »war die erste globale Manifestation eines massiven Abfalls vom Glauben an das neoliberale Credo« der Privatisierung und des universalisierten Wettbewerbs. Von hier aus rekapituliert die Autorin exemplarisch, etwa am Beispiel der Saatgutindustrie und des industriellen Lohndumpings, welche sozialen Zumutungen in den glänzenden Bilanzen der Konzerne verborgen sind und auf welche Weise abseits der etablierten politischen Institutionen eine wehrhafte internationale Allianz gegen diese Zumutungen zu Stande kam. Angesprochen werden auch die durchaus brisanten Widersprüche und Interessensgegensätze innerhalb dieser Koalition, die westliche Industriearbeiter, Zapatisten aus Mexiko, indische Agraroppostionelle, asiatische Sweatshop-Insassen und europäische Studenten vereint.
Vernachlässigt man das rührselige Pathos, mit dem Mies bisweilen die Manifestationen der Bewegung zitiert oder beschreibt, deckt das Buch ungewollt auch den großen Schwachpunkt der gegenwärtigen Globalisierungskritik auf. Während der weltweite Freihandel auf der sozialen Ebene als Synonym für Entwurzelung steht und insofern fragwürdigerweise gleich auch für den zunehmenden Rechtsradikalismus verantwortlich gemacht wird, ist die Debatte über Alternativen offensichtlich seit Beginn der 80er kaum fortgeschritten. Mies und andere plädieren noch immer für eine lokal basierte Kleinkrämer-marktwirtschaft mit vielen Tante-Emma-Läden plus Internet, der durch internationale Solidarität gezügelt wird und durch arbeitsintensive Produktion Beschäftigung schaffen soll. Das klingt nach Bärbel Höhn und nach wenig Verständnis für die Eigendynamik kapitalistischer (Re-)Produktion.
Auf prinzipielles Nachdenken über die warentauschende Gesellschaft verzichtet auch die kanadische Journalistin Naomi Klein. Genau das macht aber die Stärke ihrer Studie »No Logo!« aus. Ohne pompösen theoretischen Anspruch untersucht sie für den Bereich der Konsumgüterindustrie detailliert, auf welche Weise Firmen wie Nike, McDonalds, Wal Mart oder Microsoft den schnöden Erwerb von Gebrauchsgütern ersetzt und an dessen Stelle das Leben im Zeichen der Marke etabliert haben. Von der Privatisierung des öffentlichen Raumes über die Indienstnahme jugendlicher Subkulturen bis zur Verlagerung der Produktion in die Sweatshops der Dritten Welt werden das Marketing und das Marktverhalten der Großkonzerne seziert. Popkulturell angetriebene Gegenwehr, etwa die britische Reclaim the Streets-Kampagne oder das Culture-Jamming, bei dem die Botschaft von Werbetafeln auf ironisierend künstlerische Art umgedreht wird, referiert Klein allerdings mit etwas übertriebener Emphase. Der von einigen KritikerInnen aufgedeckte und zutreffende Widerspruch, der markenkritische Bestseller habe seinerseits das Zeug zur coolen Pop-marke, wirft zweifellos interessante Fragen auf, entwertet aber weder das Material noch den unangestrengten Stil des Buches.
Insgesamt ist also festzuhalten, dass das Niveau der kritischen Auseinandersetzung um die Globalisierung ebenso dereguliert ist wie ihr Gegenstand. Gleichzeitig spiegelt es auch die verschiedenen Horizonte der Bewegung. Dem Seattle Man machen die Differenzen nichts aus. Er ist ob Theorie oder Praxis ans Improvisieren gewöhnt. Und deshalb wird er erstmal weitermachen.
Viviane Forrester: Die Diktatur des Profits. Hanser Verlag, München 2001, 210 S., 35 DM.
Naomi Klein: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Riemann Verlag/Bertelsmann, München 2001, 512 S., 48 DM.
Maria Mies: Globalisierung von unten. Der Kampf gegen die Herrschaft der Konzerne. Rotbuch Verlag, Hamburg 2001, 255 S., 26 DM.
George Soros: Die Offene Gesellschaft. Für eine Reform des globalen Kapitalismus. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 400 S., 39,80 DM.