Wir müssen reden!

Nuran David Calis inszeniert in Glaubens­kämpfer Glück und Horror der Weltreligionen

Es kreischt, wütet, zuckt auf der Leinwand. Der Kölner Dom, IS-Fahnen, Muslime werfen sich auf Teppiche, Pegida-Anhänger stampfen, Schlagzeilen donnern. Dann: Bilderstopp. Vor uns sitzen vier Schauspieler auf Stühlen, schweigen. Schöner kann man den Sinn eines Theaterabends wohl nicht zusammenfassen: eine Oase von Ruhe und Denken in Zeiten medialer Durchhysterisierung.

 

In Nuran David Calis »Glaubenskämpfer« stellen sich ein Jude, eine Nonne und vier Muslime– darunter der Ex-Salafist Dominic Schmitz — den Fragen der Schauspieler, berichten von Glücksgefühlen der Geborgenheit. »Warum fühle ich das nicht?«, fragt Annika Schilling und läuft als leicht überforderte Moderatorin hin und her.

 

Man erfährt manchmal zu viel an diesem Abend, der oft wirkt wie eine Mischung aus privater Diskussion und religionswissenschaftlichem Proseminar. Ist Toleranz immer schwächer als Glaube? Welche Religion hat ein Neugeborenes? Wie konvertiert man? Dass es zwischen zwei und zwanzig Jahren dauern kann, ein Jude zu werden, löst bei den Muslimen inszenierte Tumulte aus.

 

Man muss man Calis hoch anrechnen, tief in die Komplexität des Themas einzudringen. Wie kann der liebende Gott, den alle drei Religionen beschwören, nur so schnell missbraucht werden? Die Einspieler auf dem drehbaren Bühnenbuch (Anne Ehlich) zeigen bald muslimische Hassprediger wie Bernhard Falk; ein IS-Rekrutierungsvideo führt die Welt als lustiges Ballerspiel vor. Auch die rechten Aktivistinnen Melanie Dittmer und Ester Seitz berufen sich auf das Christentum und schwadronieren vom gegen sie gerichteten linken Guerillakrieg. Krieg, hält Applestein dagegen, sei etwas ganz anderes, und erzählt die Geschichte seines in Auschwitz getöteten Großvaters. Das letzte überlieferte Foto zeigt dessen Zwangsrasur bei der Ankunft im Lager. Nichts könnte die Dampfplauderei der Pegida-Luxustussis stärker entkräften.

 

Ein starker Augenblick ist auch, als Dominic Seitz seinen Weg vom Kiffer zum radikalen Salafisten zurück zum sozialpädagogisch aktiven Aussteiger beschreibt. Als die während der Probenzeit aufgelaufenen Hasskommentare gegen ihn einblendet werden, wünscht man ihm Polizeischutz.

 

Und so steht auf einmal das ganze Spektrum vom Glück bis zum Horror des Glaubens im Raum. Undenkbar heute, dass Muslime zu jüdischen Metzgern gehen, um Fleisch zu kaufen oder das Ramadan-Gebet im Dom sprechen, so wie es vor fünfzig Jahren geschah, erzählt Kutlu Yurtseven von der Keupstraße. Was ist passiert? Calis gibt keine Antworten, aber er kreist die Fragen klug ein.

 

»Glaubenskämpfer«, R: Nuran David Calis,
1., 3., 16.4., Schauspiel Köln im Depot 1, 19.30 Uhr