Selbstkontroll-Freak

Regisseur Gerhardt Roiß versucht eine tosende Umsetzung von Franz Kafkas Prozess

Im Schlafanzug wird Josef K. am Morgen seines 30. Geburtstages nach dem Erwachen von zwei Bütteln der Obrigkeit über seine Lage unterrichtet. Gegen ihn laufe eine anonyme Anklage, wegen der er sich im Bälde vor Gericht zu verantworten habe. Den Schlafanzug wird Josef K. fortan anbehalten, er wird zum Anzug und im späteren Verlauf zur Sträflingskluft, zum Symbol eines Schicksals, das ihn von Beginn an fest im Griff hält.

 

Regisseur Gerhard Roiß und die Dramaturgin Kerstin Ortmeier konzentrieren sich in ihren klugen Verknappung des Textes auf den Kern von Kafkas Parabel und den doppelten Skandal von Willkür und Willfährigkeit, den der Autor in seinem Romanfragment beschreibt. Zum ersten hat Josef K, obwohl nach allen verfügbaren Informationen unschuldig, keine Chance der Verurteilung zu entgehen. Und zweitens fügt er sich mit zunehmendem Gleichmut und einer lakonischen Geschmeidigkeit den Gang der Dinge, der hier zur aberwitzigen Odyssee durch die Instanzen ausartet.

 

Sascha Tschorn, mit eindrucksvoller Präsenz, wirkt als K. anfangs noch angriffslustig und gewillt, sich über die Situation lustig zu machen, bis er sich unmerklich in den Prozess fügt, zermürbt in einem Wechselbad von Bedrohung und Verführung. Für letztere tragen lasziv lockende Frauen die Verantwortung. Taly Journo gibt gleich in mehreren Rollen, wie der animalisch-attraktiven Leni und der forschen Nachbarin Fräulein Bürstner, das reichlich grell gespielte Objekt der Begierde.

 

Wie überhaupt die dichte und virtuose Inszenierung mitunter Gefahr läuft, Kafkas Text unter zu viel Theatergetöse zu begraben, etwa wenn die von Laurenz Gemmer stimmig komponierte und live eingespielte Musik sich in einigen Szenen zu laut über die Dialoge der Schauspieler setzt. Grandios gelungen ist dafür das dynamisch, variable Bühnenbild von Cordula Körber. Gleich mehrere Türen auf Rädern werden von dem glänzend aufspielenden Ensemble wiederholt in furiose Choreographien verwandelt, die ständig neue Perspektiven und Räume eröffnen und gleichzeitig deutlich machen, dass K. gegen einen anonymen Gegner anrennt.

 

Die Bedrohung des Individuums, die von einem nichtgreifbaren Außen auf einen selbstkontrollierenden und selbstzerstörerischen Mechanismus wechselt, ist unmittelbar zu spüren. So vollzieht sich auch die Hinrichtung als fast schon suizidaler Akt. Schlusspunkt einer Irrfahrt, in der sich der Mensch im Labyrinth der undurchschaubaren Gesetze und Gesetzmäßigkeiten verliert.

 

»Der Prozess«, A: Franz Kafka,
R: Gerhardt Roiß, 21., 22. (20 Uhr),
23. (19 Uhr), 24. (18 Uhr) 4.,
Theater im Bauturm