Peter Güllenstern und Jürgen Stollhans: Exemplarisches »Nicht-verstanden-sein« (production still) | © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

»Liberal und weltoffen, aber auch sehr weiß«

Die Akademie der Künste der Welt widmet sich dieses Frühjahr in der »Pluriversale« dem kolonialen Erbe Kölns. Wir haben mit der künstlerischen Leiterin Ekaterina Degot über Westkunst, die »Kölner Botschaft« und die Folgen der Silvesternacht gesprochen.

 

Frau Degot, nach der Silvesternacht haben sich verschiedene Kölner Institutionen und Prominente in einer »Kölner Botschaft« zu Wort gemeldet. Sie haben diese Botschaft öffentlich kritisiert. Warum? Zunächst wurde ich ebenfalls gebeten, die »Kölner Botschaft« zu unterzeichnen. Bei mir hat der Text jedoch sofort eine gewisse Vorsicht erzeugt. Die Botschaft fußt auf einem breiten Konsens, sie ist sogar teilweise auf Kölsch verfasst, sie beginnt mit dem Wort »wir«. Wer aber soll dieses »Wir« sein? Ich hatte den Eindruck, dass dieser Konsens »die anderen«, die nicht dazu gehören, ausgrenzt und ihnen auch nicht sonderlich wohlwollend gegenüber steht. Deshalb konnte ich den Text nicht unterschreiben und wollte ihm meine eigene Haltung gegenüberstellen, die eindeutig inter-nationalistisch ist.

 

 

Das in dem Aufruf ausgedrückte Selbstverständnis als liberale und weltoffene Kölner wird aber oft als ein Grund angesehen, warum es organisierte Nazis in Köln vergleichsweise schwer haben.  Das Selbst-verständnis mag ja liberal sein, aber es ist auch sehr weiß. Es sieht auch sehr europäisch aus, sehr mono-ethnisch, auch wenn Navid Kermani die »Kölner Botschaft« unterschrieben hat. Sie repräsentiert eine westliche Gesellschaft, die sich als vielfältig und weltoffen versteht, es aber de facto dann doch nicht ist. Es geht ja darum, dass wir uns als Teil der Welt sehen und die Ursachen für Flucht verstehen. Wir mögen gute Menschen sein, die helfen wollen, aber der Westen trägt eine politische Mitverantwortung für die Situation. Der muss er sich stellen.

 

 

Im Programm zur nächsten Pluriversale erklären Sie, dass Köln »die Erinnerungen an die Kolonialherrschaft verdrängt«. Welche Erinnerungen sind das? Ich erzähle nichts Neues, wenn ich sage, dass auch Deutschland eine Kolonialmacht war. Aber es gibt auch eine Verbindung zwischen dem Kolonialismus und dem Nazismus: Die Ostgebiete waren für Hitler lukrativer als Kolonien in Afrika. In Deutschland wird aber wenig über Postkolonialismus geredet, auch nicht über die Unterschiede zu anderen postkolonialen Gesellschaften wie Südafrika. Stattdessen redet man über Multikulturalismus. Ich weiß nicht genau, warum das so ist. Es ist eben recht komplex.

 

 

Das klingt immer noch recht abstrakt, finde ich. Wie zeigt sich das denn etwa in der Eröffnungsaustellung der Pluriversale von Jürgen Stollhans und Peter Güllenstern? Die beiden Künstler schauen auf zwei Ausstellungen der späten 1920er Jahre: Die Werkbund-Ausstellung von 1927 und die Pressa-Ausstellung 1928. Dort gab es etwa einen Menschenzoo und Konrad Adenauer hat im deutschen Pavillon Pläne für die Kolonisierung Afrikas vorgestellt. Kolonialismus galt ja damals als etwas Positives. Stollhans und Güllenstern verknüpfen in ihrer Arbeit diese Ausstellungen mit der Gegenwart und streifen dabei den Kölner Zoo, Bernard Grzimek und seine Nazi-Vergangenheit und fragen, ob El Lissitzkys Wolkenkratzer von 1927 etwas mit den heutigen Kranhäusern zu tun haben könnte.

 

 

Zeigt sich denn auch in der Kölner Kunstszene heute ein verdrängtes koloniales Erbe? Wenn ich mir das Programm mancher Kunstverlage anschaue, dann habe ich schon das Gefühl, immer noch in den 1970ern zu sein. Trotzdem würde ich das nicht unbedingt als »kolonial« bezeichnen. Wir hatten letztes Jahr eine Diskussion mit Kasper König und für ihn war klar, dass die Kunst des Westens die Kunst der Welt ist. Künstler aus Afrika oder Indonesien existierten in den 1970ern dort einfach nicht. Das ändert sich, aber nur langsam und wenn, dann geht es meistens um Musik. Menschen aus der nicht-westlichen Welt dürfen in Europa singen, tanzen und kochen, weil das unterhaltsam ist. So ist das auch mit Flüchtlingen — kochen, singen und »ihre Geschichte erzählen« ist okay, aber wehe sie reden über Politik. Ein Intellektueller aus Nigeria wird nur wahrgenommen, wenn er in New York lebt. Wir alle handeln nach diesen Wahrnehmungsmustern, deshalb muss man sie bewusst brechen.

 

 

Auch nach der Silvesternacht wurden schnell Wahrnehmungsmuster aktiv, die die Verbrechen mit einem »kulturellen Hintergrund« erklären. Gehen Sie darauf auch in ihrem Programm ein? Im Vergleich zu dem, was Frauen etwa in Indien oder anderen Dritte-Welt-Ländern erfahren, war Silvester relativ harmlos. Das sage ich mit allem Respekt für die Opfer dieser Ereignisse. Mich hat überrascht, wie stark die Leute hier darauf reagierten, vor allem, wenn man diese Reaktion zu den Reaktionen auf andere, sehr viel schrecklichere Weltereignisse in Beziehung setzt. Wir veranstalten im Mai eine zweitägige Konferenz zum Thema »sexualisierter Rassismus«. Auf der wird etwa Nora Amin, eine ägyptische Feministin, sprechen, die sagt: In Ägypten ist sexualisierte Gewalt Alltag — auch wenn die deutschen Feministinnen das vermutlich nicht so gerne hören.

 

 

Manchmal hat man den Eindruck, die Akademie der Künste der Welt sei eher ein Debattierclub als eine Kunstinstitution. Warum beschäftigen Sie sich sowenig mit den klassischen Künsten wie Malerei oder Bildhauerei? Dafür gibt es eine praktische Erklärung. Es ist sehr teuer, Gemälde oder Skulpturen zu transportieren und auszustellen. Aber wir versuchen auch, reine Kunst zu vermeiden. Uns interessiert Kunst im diskursiven und politischen Feld, und wir verstehen uns auch als Forum für theoretische Diskurse. Mich interessiert etwa, wie nicht-westliche Kulturen west-liche Kunstformen neu erfinden, zum Beispiel in großen realistischen Gemälden aus Japan oder Nigeria. Das finde ich interessanter als etwa »ethnische« Yoruba-Masken auszustellen. In Köln gibt aber der Kunstmarkt häufig das Programm vor. Unser »Academyspace« soll zu allererst ein Raum für Debatten sein, auch wenn wir dort Ausstellungen machen. 

 

 

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie haben in ihrer Kritik der Kölner Botschaft betont, dass sie eine Arbeitsmigrantin aus Russland sind. Wie spüren Sie das im Kölner Alltag? Ich merke schon, dass ich als Fremde wahrgenommen werde, etwa, als ich eine Wohnung gesucht habe. Aber ich finde es auch schwierig, immer als Teil einer russischen Community wahrgenommen zu werden. Mittlerweile gibt es hier ja so etwas wie eine fünfte Kolonne Putins. Es ist gelungen, das Schlechteste in den in Deutschland lebenden Russen hervorzukitzeln: einen reaktionären Nationalismus. Damit will ich eigentlich nichts zu tun haben, aber in Deutschland wird man als Migrant immer sofort als Teil einer migrantischen Community wahrgenommen. Ich halte nichts von diesen ethnischen Unterscheidungen, selbst wenn sie gut gemeint sind. Ich finde, wir sollten über Klassenzugehörigkeit reden, über die Ökonomie. Der Kolonialismus und auch die Sklaverei sind ökonomisch bedingt gewesen, das kann man nicht nur mit ethnischen Wurzeln erklären. Man muss diese Idee ethnisch begründeter Communities überwinden, um zu einer internationalistischen Perspektive zu gelangen.

 

Ekaterina Degot ist seit 2013 künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit der post-sowjetischen Kunst in Russland und Osteuropa.

Die »Pluriversale IV« läuft noch bis zum 24.6.

 

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