Foto: Manfred Wegener

»Das schöne Grauen der Liebe«

Das Festival Sommerblut feiert sein Fünfzehnjähriges. Mehr denn je

stellt es Anderssein in der Kunst ins Zentrum und das mit Liebe

Es ist im besten Sinne das vielleicht kölschste Festival Kölns, wenn es diesen Komparativ gäbe. Dieses Jahr (29.4.–16.5.) zeigt Sommerblut wieder, was Vielfalt in der Kunst kann: egal ob sie von Heimischen, Gästen, Homo- und Heteros und all diesen und anderen kommt.

 

Von Anfang an dabei ist Gerda König mit ihrer mixed-abled Gruppe DIN A13. Die Choreografin hat im Laufe der Jahre Kämpfe inszeniert, Liebesannäherungen, Einsamkeit. Jede Menge Gefühle, auch widersprüchliche. So wie ihre Gruppe auch Widerspruch ist und Bejahung. Wer will schon normal sein? Niemand. Alle. Die Frage führt zu nichts, lernen wir auf der Probe, hier geht es um Wichtigeres: die Kunst. 

 

Gerda König, studierte Psychologin, macht seit zwanzig Jahren Tanztheater und hat sich das Norm verrückende Label DIN A 13 geschaffen, für das sie, die sich selbst im Rollstuhl bewegt, ihr Ensemble stets aus behinderten und nicht-behinderten Tänzerinnen und Tänzern neu zusammensetzt. König ist weltweit unterwegs, für das Sommerblut, das sein Jubiläum unter dem Motto »Liebe« feiert, umkreist die Choreographin nun das Thema Internet. In »Updating you« geht es darum, wie das Netz das Anbahnen von Beziehungen möglich macht und die Kommuni-kation verändert. Entwickelt hat sie das Stück mit dem Filmemacher Ralf Jesse. Ihre Tänzer kommen aus den Niederlanden, Kuba, Argentinien, Köln und Dortmund. 

 

König hat Interviews geführt, aber auch die Tänzer nach ihren Erfahrungen mit Tinder & Co befragt und ihnen die Aufgabe gestellt, daraus Szenen und Tanzphrasen zu erfinden. Für die Recherche waren die Künstler viel im Netz unterwegs. Dabei ging es nicht darum, die »enormen Möglichkeiten« und zugleich das »Erschreckende, Gruselige« wie sie sagt, zu fokussieren. Vielmehr sollen Formen und Durchlässigkeiten von Körper- und Räumlichkeit ausgelotet werden. Die Entscheidung fiel deshalb auch recht schnell, mit der künstlerischen Arbeit online zu gehen. Bei der Probe öffnet sich denn auch gleich der Live-Stream in den Social Media Kanälen. »Interaktion« wollen die Tänzer, »eine Community aufbauen«, wie sie erklären, um Stoff für ihre Erzählung zu generieren. Aber auch, um ansatzweise die Barriere zu überwinden, die das Tanztheater umzäunt, weil manchen seine verfremdende Körpersprache verstörend scheint. »Dazugehören und ausschließen«, nennt die Choreographin das Beziehungsprinzip. Während der Vorstellung sollen die Smartphones auf Empfang bleiben, sie spielen mit. »Es geht uns um Durchlässigkeit. Wir wollen das Bühne-Zuschauer-Gefühl, die vierte Wand verfremden«, erklärt die Choreografin weiter. 

 

Hinzu kommt der Grundgedanke, dass wir uns alle im Netz zeitmäßig verfransen und die Umrisse von Identität verschwinden lassen können. Filmemacher Ralf Jesse projiziert dazu Videos auf Gazewände, die zu Mitspielern oder Ablenkern werden. Sie bilden den zweidimensionalen Kontrast zu den dreidimensionalen Körpern der Tänzer im Raum, zu ihrem Kampf um Aufmerksamkeit, um Balancen, um Kontrolle, Timing, Perfektion auf der Bühne, den wir unmittelbar erleben — und ihre Lust daran. Das ist Tanz!

 

Er übersetzt, welch seltsame Formen die Körperlichkeit annehmen kann. Das eine tun und das andere nicht lassen: Zwei grotesk verbogene Männer, die, eng beieinander liegen, jeder für sich am herausgestreckten Smartphone fummeln oder von ihm offensichtlich beherrscht und in Verrenkungen gezwungen werden. Ein weiterer Mann und eine Frau stützen und halten einander, langsam wie in Seligkeit, mal Rücken an Rücken, mal hakt sein Arm in ihren Kniekehlen, so dass sie sich weit nach hinten beugen kann. Harmonie spricht aus dem Duett, doch die Augen wandern immerzu woanders hin. Dann drückt sich die Gruppe auf den einen Rollstuhl in der Bühnenmitte, als würden alle nur genau da in das Gruppenbild passen. Oder ein Paar läuft auf einer Art Catwalk, doch es scheint sich in zwei Welten zu befinden: Er produziert Gelächter, bis er heult, sie trotzt ihrem Körper eine Sexy-Show ab, stakst, grinst, wirft Kussmünder, stöhnt, wirft ihr Haar. »Wo es schon weh tut«, beschreibt Gerda König den Moment. Ambivalenzen reizen sie, dass etwas weder gut noch schlecht ist. Gut so! Das Tanztheater in der Tradition Pina Bauschs hat sich als Kunstform genial bewährt: für das schöne Grauen der Liebe.

 

StadtRevue präsentiert

»Updatung you« Ch: Gerda König, 13. (UA), 14. (20 Uhr), 15.5. (18 Uhr), Wachsfabrik 

Sommerblut-Festival 29.4.–16.5.,

alle Termine sommerblut.de