Essen auf immer mehr Rädern

Gebrechliche Menschen können sich Mahlzeiten nach Hause liefern lassen — ein hilfreiches, aber auch ein berüchtigtes Angebot. Das Essen schmeckt fade und nach Einsamkeit. Lieferservices hatten bislang zurecht einen schlechten Ruf. Schon Mitte der 90er Jahre galt es als Beleg für Bequemlichkeit und kulinarische Verwahrlosung, sich eine Quattro stagioni von unterbezahlten Moped-Kurieren in der Pappschachtel bringen zu lassen. Jetzt aber florieren neue Internetportale, die Lieferungen aus Imbissen und einfachen Lokalen anbieten. Was sagt das über unsere Esskultur, wenn immer mehr Hamburger, Wok-Gemüse und Burritos durch die Straßen knattern?

 

Ist es womöglich wirklich die Morgenröte eines neuen Biedermeier? Weil immer mehr Menschen es sich mit Pulled Pork und Pommes daheim bequem machen? Weil sie die pulsierende Großstadt mit ihren Restaurants meiden würden? Schon liest man Nachrufe auf das Restaurant alten Stils. Und tatsächlich eröffnen ja im Zuge der neuen Imbiss-Welle nur noch selten Lokale mit Anspruch.

 

Allerdings: Wer jetzt meint, mit den Restaurants stürbe zugleich auch die Geselligkeit aus, der irrt sich. Denn Restaurants waren nie utopische Versammlungsorte, an denen Begegnung und Austausch kultiviert worden wären. Es ging dort um Genuss und kulinarische — auch habituelle — Verfeinerung, nie aber um jene Geselligkeit, wie wir sie heute so anziehend finden; spät erst verschwanden die Chambres séparées, die den Gästen Privatheit ermöglichten. Das ständige Kommen und Gehen, heute Chiffre großstädtischer Gastlichkeit, die Lautstärke, der Trubel, all das ist ein Phänomen unserer Gegenwart. Deshalb sind die Imbisse gut besucht — trotz Lieferdiensten. Und auch, weil wir so unbändig erpicht sind auf Fastfood. Deshalb essen wir es auswärts und zu Hause, wir verschlingen es im Stehen, im Gehen, vor dem Bildschirm. 

 

Die Geselligkeit ist durch Lieferservices keineswegs bedroht, die Imbisse sind voll. Bedroht ist Essen, das Aufmerksamkeit erfordert. Und die Fähigkeit, es selbst zubereiten zu können. Kochbücher zu kaufen, ist die eine Sache. Sie bloß dekorativ in der Küche zu platzieren, ist aber immer seltener eine andere Sache. Der Hamburger-Lieferservice ersetzt bloß die Tiefkühlpizza.