Mülheimer Wirrungen

Mit Afrikahafenfest analysieren Peter Güllenstern und Jürgen Stollhans den Geist der postkolonialen Gesellschaft

Beim Lesen der  Programmtexte der Akademie der Künste der Welt kann einem schwindelig werden. So viel geistiger Horizont ist da auf kleinstem Raum gebündelt, dass man häufig nicht so recht weiß, wohin die thematische Reise tatsächlich gehen wird. Bei der aktuellen »Pluriversale« der Akademie, deren Herzstück die Ausstellung »Afrikahafenfest« der Kölner Künstler Peter Güllenstern und Jürgen Stollhans bildet, ist das nicht anders: Unter dem begrifflichen Motiv des Kolonialismus möchte die Akademie mit verschiedensten Veranstaltungen von Köln aus den Status quo des internationalen Machtgeflechts durchleuchten. Zur Frage, warum man hierzulande so wenig über den Postkolonialismus spreche, äußerte sich Ekaterina Degot, die künstlerische Leiterin der Akademie, jüngst in der StadtRevue in aufschlussreicher Überforderung: »Ich weiß nicht genau, warum das so ist. Es ist eben recht komplex.«

 

Im Academyspace in der Herwarthstraße haben Güllenstern und Stollhans eine Videocollage installiert, die diese Komplexität aufgreift, aber nicht vor ihr kapituliert, sondern sie thematisch instrumentalisiert. Dass ihnen dies gelingt, ist einer sehr flexiblen, multimedialen Arbeitsweise zu verdanken, die beiden Künstlern schon in ihrem bisherigen Werk eigen war. Jürgen Stollhans konnte seine stets im Fluss befindliche, spontane und ironisch-assoziative Kunst aus Zeichnung, Installationen oder Legoplastiken 2007 auf der documenta 12 zeigen. Peter Güllensterns Arbeit — 2009 mit einer Einzelausstellung in der Kölner Simultanhalle zu sehen — steht ihr in ihrer materiellen wie inhaltlichen Offenheit in nichts nach, hat aber einen inszenatorischeren Schwerpunkt. Und nun »Afrikahafenfest«, ein komisches, anspruchsvolles und nachdenkliches Werk.

 

Die Ausstellung empfängt einen im Vorraum mit ihren einzigen richtigen »Wandstücken«: Güllensterns schematische Landkarte vom römischen Köln, gewestet statt genordet, verwandelt das linksrheinische Köln in die Silhouette der nordafrikanischen Küste. Die zweite Arbeit, drei ikonische Fragmente der Krone vom Deutzer Messeturm (Zahnrad, Lorbeerkranz, Flügel), eingetüncht ins ebenso ikonische Kölner Brückengrün, zieht einen mit ihrem Verweis auf die Pressa-Ausstellung 1928 auf kurzem Weg in die Anfänge der komplexen Ortsgeschichte, die in den zwei Haupträumen auf sechs Videoprojektionen erzählt wird.

 

Die Künstler arrangierten für die Multiscreen-Collage dokumentarisches Videomaterial, Fotos, inszenierten Film und collagierte Animationen zu einem Panoptikum, dessen Einzelprojektionen sich gegenseitig rhythmisch oder inhaltlich beeinflussen. Es ergibt sich eine Episode, die nach jeweils 15 Minuten stets eine Projektionsfläche weiterwandert. Je länger man sich in den bewegten Bildern treiben lässt, umso bewusster wird einem, dass die Künstler mit der über zehn Jahre zurückliegenden Grundidee, das Spekulationsareal des Mülheimer Hafens (wo sie sich mit ihren Ateliers angesiedelt haben) als Objekt einer von außen gesteuerten Wandlung zu untersuchen, eine Büchse geöffnet hatten. In der aufmerksamen, sammelnden, verknüpfenden Recherche über mehrere Jahre tauchte vor dieser thematischen Folie die Realität auf. Hinweise auf eine Allgegenwärtigkeit übergriffigen Denkens in dieser Stadt und auf seltsamste Zusammenkünfte zwischen modernistischem und kolonialem Erbe: Mit westlicher Kunst etikettierte Stollwerck-Schokolade; der Speersche Masterplan, dessen abstrakte Visualisierungen dem russischen Suprematismus nachzueifern scheinen; gleichschaltende Reklame (»Ein Köln — ein Sender«, Radio Köln), und schon allein der Name — Colonia! Es ist verblüffend.

 

Peter Güllenstern schildert den Entstehungsprozess des Projekts als offenes räumlich-zeitliches Gefüge, das für seine finale Form von enormer Wichtigkeit war. Der Masterplan, so manche wahnwitzige Stadtreklame, nicht zuletzt die aktuelle Flüchtlingskrise füllten die Leerstellen im Nachhinein aus. Als Besucher kann man, muss man sich vielleicht sogar in dem wirren Netz aus Bedeutungsbezügen verlieren, weswegen am Ende möglicherweise weder Kolonialismus, Neoliberalismus oder Nationalismus das zentrale Thema vom »Afrikahafenfest« ist, sondern unsere unzugängliche Jetztzeit insgesamt.

 

Es ist eine Warnung vor eindimensionalen Perspektiven. Güllenstern und Stollhans bereichern die Debatte um eine wichtige Erkenntnis: Man muss nur vor die eigene Haustür treten, um zu sehen, dass etwas nicht stimmt. Nur was es ist, das ist vielleicht wirklich schwer zu sagen.

 

Academyspace der Akademie der Künste der Welt, Hertwarthstr. 3, Mi–Fr 14–19,
Sa+So 13–18 Uhr, bis 24.6. Umfangreiches Begleitprogramm auf academycologne.org