Die Wurzel der Freiheit

Das diesjährige »Acht Brücken«-Festival (30.4. bis 10.5.) durchleuchtet den Zu­­sammenhang von »Musik und Glauben«. Mittendrin: der Kölner Komponist und Pianist Gregor Schwellenbach, der mit einer Interpretation von Steve Reichs »Six Pianos« Erleuchtung anstrebt.

»In den 90ern passierte in Köln unglaublich viel, was mich heute noch interessiert«, sagt Gregor Schwellenbach, man kann das vielleicht als sein Credo verstehen. Die 90er Jahre, das war die heroische Zeit von Techno und (nicht-akademischer) elektronischer Musik, der Durchbruch einer neuen, überaus produktiven Avantgarde-Generation zwischen Bassdrum und Stockhausen.

 

Der Rheinländer Gregor Schwellenbach hat diese Jah­re in Hannover verbracht, wo er Musik studierte. Erst 1999 kam der Pianist (eigentlich Multiinstrumentalist) nach Köln zurück. Seine Karriere als Theater- und Filmkomponist, Arrangeur von Liederabenden und musikalischer Entertainer lief blendend. Der ­Ein­schnitt erfolgte 2013: »Gregor Schwellenbach spielt 20 Jahre Kompakt« hieß das so bahnbrechende wie lustige Album. In seinen Händen klingt Techno wie ein Gamelan-Orchester oder Kammermusik fürs Streich­quartett. Seitdem ist Schwellenbach nicht mehr aus dem Kompakt-Uni­versum wegzudenken.

 

Für das »Acht Brücken«-Festival hat Schwellenbach die Techno-Pia­nis­ten seiner Generation, u.a. Hauschka, Daniel Brand und Paul Frick (von Brandt Brauer Frick) eingeladen, um »Six Pianos« von Steve Reich aufzuführen. Das Konzert ist bereits ausverkauft. Es wird aber einen Mitschnitt resp. eine Studio-Produktion geben, die vielleicht schon Ende des Jahres veröffentlicht werden wird.

 

Wenn von Dir die Rede ist, fällt häufig das Label »Techno meets Klassik«?...

 

Wenn es hilft, Aufmerksamkeit zu erzeugen, warum nicht?! Aber meine Musik ist tatsächlich das Gegenteil davon. Ich lege wert auf die Unterscheidung, dass sie nicht retro ist. Wenn man, bildlich gesprochen, die Musik der Gegenwart über die Musik der Vergangenheit legt, dann entstehen daraus Interferenzen, und die finde ich spannend. Ich schreibe und spiele Musik, um mir klarzumachen, dass immer wieder was Neues passiert, Musik, so wie ich sie verstehe, ist ein Aufbegehren gegen Konservatismus. Inzwischen gibt es auch in der Popmusik den Hang, die Vergangenheit zu verklären — »früher klang alles besser« —, damit wird die Musik der Vergangenheit um ihre Spitze gebracht. Ihre Botschaft ist ja, dass man sich selber auf den Weg machen muss, um seine Stimme zu finden.

 

Wie würdest Du Dein Verhältnis zur musikalischen Vergangenheit be­schreiben? 

 

Je besser man weiß, woher man kommt, desto freier und mutiger kann man sich durch die Gegenwart bewegen. Darum scheint mir die Rückwärtsgewandtheit, die mir oft zugeschrieben wird, gar nicht konservativ zu sein. Es ist eine Wurzel, die mir Halt gibt, um frei zu denken. Das ist aber auch schon das »klassischste« an meiner Musik, es ist die Ausbildung, die Technik und auch meine Herangehensweise. Komponisten, die Neue Musik schreiben, kennen sich oft extrem gut in der Vergangenheit aus, haben Beethoven oder Schönberg ganz genau studiert. Aus der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gewinnen sie ihre eigenen Ideen.

 

Und Deine Idee ist es, Kammermusik unter den Bedingungen von Techno zu spielen?

 

Natürlich ist der Kontrast reizvoll, Kammermusik auf einem Techno-Label veröffentlichen und sich vorzustellen, dass deine Musik eben nicht bei Kerzenlicht oder Kaminfeuer läuft, sondern vor übernächtigten Technoheads am Ende ihrer Party. Für mich ist das genau die richtige Mischung, wenn es nicht kitschig, aber auch nicht nerdig klingt.

 

Deine große »Kompakt«-Veröffentlichung erschien 2013, davor warst Du buchstäblich hinter den Kulissen — als Komponist für die Bühne oder die Leinwand. War das für Dich eine Pflichtaufgabe, von der Du Dich erst vor ein paar Jahren losmachen konntest?

 

Tatsächlich habe ich meine gesamte Inspiration ich aus der Auseinandersetzung mit Film und Theater gezogen, dazu wollte ich Musik beisteuern. Ich hatte nie die Phantasie, dass ich eine Sinfonie schreiben muss. Ich sehe Bilder oder lese Theatertexte und denke mir die Musik dazu. Nach meinem Zivildienst war mir klar, ich möchte Theater- und Filmkomponist werden, erst viel später, nach vielleicht zehn Jahren, habe ich daran gedacht, eigene Platten aufzunehmen und mit den Stücken auf Tour zu gehen.

 

Wenn man sich Deine Werkbiografie anschaut, ist die Bandbreite riesig: Sie reicht von streng konzeptioneller Neuer Musik bis zu Liederabenden wie »Frisch geföhnt ist halb gewonnen«.

 

Ich finde alles toll, das ist durchaus ein Problem. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich hier im Café die Klos putzen will, wäre das für mich eine spannende Herausforderung. Immer wenn man mich fragt, finde ich das super. Man kann mich schnell begeistern.

 

Das ist doch eine schöne Eigenschaft.

 

An sich schon. Aber ich werde halt ständig gefragt. Erst seit fünf Jahren gehe ich mehr und mehr dazu über, auf meine eigenen Ideen zu hören. Und eine dieser Ideen war es, »Six Pianos« zu spielen. Als Komponist hat Steve Reich eine große Bedeutung für mich. Pop ist meine Muttersprache, damit bin ich aufgewachsen, alles andere – Klassik, Neue Musik, Musik aus Afrika – musste ich erst entdecken. Zwischen dem Pop und den anderen musikalischen Welten lag bei mir der Klavierunterricht. Das Klavier war das Medium, in dem die unterschiedlichen Welten zusammentrafen. Ich habe durch das Klavierspielen entdeckt, dass zum Beispiel die Musik von Steve Reich, die ja im Wesentlichen im New York der 60er Jahre entstanden ist, ganz ähnlich strukturiert ist wie House und Techno aus den 90ern. Repetition, der dauernde Puls, minimale Verschiebungen: Das höre ich doch jedes Wochenende, wenn ich feiern gehe! Und dann entdeckst du jemanden, der schon vor fünfzig Jahren mit diesen Strukturelementen gearbeitet hat.

 

Und Du wolltest mit seiner Musik weiterarbeiten.

 

Steve Reich zu remixen fände ich aber langweilig. Das würde der Musik nichts hinzufügen. Ich finde es wichtig, sie aufzuführen und zu spielen, so wie sie ist. Wenn ich ein Warm-up-DJ-Set mache, dann kann ich durchaus auch eine unbearbeitete Platte von Reich auflegen.

 

Der nächste Schritt ist, nicht nur seine Platten aufzulegen, sondern eine eigene Interpretation seiner Kompositionen vorzulegen.

 

Man spricht ja halbironisch vom »German Classical Underground«, ich würde eher von Steve-Reich-Kids sprechen, Leute wie ich, die mit Popmusik aufwachsen, aber Klavier spielen und klassisch ausgebildet sind. Meine erste Idee war, ich spreche fünf andere Pianisten aus meiner Generation an, ob nicht jeder zu Hause eine Spur von »Six Pianos« einspielen möchte. Das waren Hauschka, Daniel Brandt, Paul Frick, Erol Sarp und John Farah, alle haben sofort zugesagt. Wir wollten das zunächst ganz autonom nur für uns realisieren. Dann kam die Idee, das Stück auf dem diesjährigen »8 Brücken Festival« aufzuführen, es passt wunderbar zu dem Motto »Musik und Glauben«. Die Idee ist so einfach und klar: Genau diese sechs Pianisten spielen dieses Stück — als hätte Reich es für uns geschrieben! Für diese Aufführung wird sich jeder von uns aus seinem musikalischen Standard heraus bewegen und sich auf die gemeinsame Aufgabe konzentrieren. Das ist eine spirituelle Erfahrung. Jeder von uns ist eine starke Solistenpersönlichkeit, wir stellen uns aber ganz in den Dienst des kollektiven Flows dieser Ensemblekomposition. Daraus entsteht ein Spirit, der für uns zentral ist, der sich aber auch auf das Publikum überträgt.

 

Was wird dieses Jahr noch von Dir zu hören sein?

 

Ich arbeite an einer Drohnen-Oper, die Im Herbst rauskommen und vom Bonner Fringe Ensemble aufgeführt werden soll. Das Stück lebt von dem Teekesselchen, dass es musikalische drones gibt, langangehaltende, liegende, eben: dröhnende Töne — und die Drohnen, die durch die Luft schwirren. Ich sammle derzeit viel Material über den Diskurs, ob militärische Drohnen-Einsätze gerechtfertigt sind. Die deutsche Waffen-Lobby schlägt einen interessanten Ton an, weil sie durchdrücken will, dass »ihre« Drohnen ja viel humaner als die amerikanischen sind. Die amerikanischen fliegen höher und töten unspezifischer, die deutschen Drohnen werden angepriesen, dass sie das Töten begrenzen. Ich finde, die Gesellschaft sollte wissen, was das für ein Diskurs ist, ich will diese Werbetexte sprechen und singen lassen zu einer bohrenden und wummernden Musik aus drones.