Mein Name ist Cerem. Soll ich mal buchstabieren?

Am Kölner Schauspiel erfinden junge Migranten Stücke, die ihr Leben schreibt

Eines vorweg: Party-Bärte sind hier obligatorisch. »Schließlich sind wir in einem Männercafé«, erklärt die junge Frau mit cleveren, braunen Augen und einem Mustache à la Partyboy. Vor wenigen Minuten hat sie noch zusammen mit ihren Schau­spiel-Peers zu kurdischer Popmusik getanzt und sich dabei überschwänglich die Hände mit Kolonia, einem türkischen Parfümwasser, eingesalbt. Aber jetzt ist die Musik aus, Theatergäste und Schau­spieler sitzen zusammen an runden Tischchen mit roten Samtdecken. »Wie unhöflich«, platzt es aus der jungen Frau heraus, »ich habe vergessen mich vorzustellen. Mein Name ist Cerem. Soll ich das mal buchstabieren«

 

Der Rest geht im lauten Tumult am Nachbartisch unter. Eine andere junge Frau in schwarzem, übergroßen Sakko ist von ihrem Stuhl aufgesprungen und gestikuliert wild mit den Armen: »Mein Vater hat mich Nasi genannt. Das bedeutet süß. Aber in Deutschland kann ich diesen Namen nicht benutzen. Wissen Sie warum?« Die Theatergäste kichern betroffen in ihre Goldrand-Gläschen mit schwarzem Tee: »Na, weil alle immer nur Nazi hören.«
Das Spiel mit dem Exoten-Status und das selbstironische Augenzwinkern — all das ist Programm bei »Mein Kültürcafé«. Es ist das erste, kleine Stück, das im Rahmen des zweijährigen Projektes »Schule des Lebens« am Kölner Schauspiel entstanden ist. Ende April feierte es im Hinterzimmer der türkischen Teestube »Sabahci Kahvesi« auf der Keupstraße Premiere. Neun weitere Vorstellungen gibt es, unter anderem beim Kunst- und Kulturfest Birlikte am 5. Juni in Mülheim.

 

Unter der Leitung des Theaterpädagogen Basam Ghazi erzählen zwanzig Jugendliche zwischen 19 und 29 Jahren Anekdoten aus ihrem Leben und davon, wie es ist, sich mit einer »Bastel-Identität«, wie Ghazi es nennt, in der Gesellschaft zu bewegen. Import-Export nennen sie ihr Ensemble. Häufig entsteht dabei ein Austausch zwischen Schau­spielern und Gästen: Zwischen türkischen Musikhits und Ernst-Jandl-Zitaten entfachen die Jugendlichen Diskussionen über die AfD, den Islam und große die Frage, wie wir leben wollen. Nie weiß man, wo die Schauspieler dabei insgeheim lachen. Wo sie etwas dazu erfinden, um die Biodeutschen auf den Arm zu nehmen. So wie bei Abou, der erzählt, dass er in Liberia geboren ist und eigentlich William hieß — bis er zu der muslimi­schen Familie seiner Mutter kam, die seinen Namen in Abou änderte.

 

»Wir betreiben Import und Export mit Geschichten«, erklärt Regisseur Bassam Ghazi, der schon Theaterprojekte mit Straßenkindern in Nicaragua und Häftlingen einer Justizvollzugsanstalt gemacht hat. Für ihn ist das »Kültürcafé« ein Ort, an dem Begegnung und Austausch in einem geschützten Rahmen erprobt werden kann. Im Fokus stehen die Narrative der eigenen Biographie. Man solle sich deswegen auch nicht wundern, fügt Ghazi hinzu, wenn sich die Jugendlichen während des Stücks Notizen machen: »Es kann sein, dass sie beim nächsten Kültürcafé Geschichten, die ihnen ein Gast erzählt hat, als ihre eigenen ausgeben.«

 

Entstanden ist die Idee zur »Schule des Lebens« vor drei Jahren. Damals hatten sich Bassam Ghazi und Thomas Laue, Chef-Dramaturg am Schauspiel, bei dessen Recherche zu Nuran David Calis Stück »Die Lücke« in der Keupstraße kennengelernt. »Ghazi ist einer der wenigen Theaterpädagogen, bei dem das Theater groß geschrieben wird und nicht die Pädagogik«, findet Laue. Bis zum Ende des Projektes wollen die Jugendlichen ein größeres Stück konzipieren, das schließlich am Schauspiel aufgeführt wird. »Die Recherche hat schon angefangen«, erzählt Sabri, der von Anfang an bei dem Projekt dabei war. »Wir treffen uns regelmäßig mit Experten, unter anderem auch von der Interessensgemeinschaft Keupstraße und dem Geschichtsverein.«

 

Kooperationspartner der Initiative »Schule des Lebens« ist die Tags- und Abendschule, kurz: tas, in Mülheim. Rund die Hälfte der Schauspieler holt dort ihren Schulabschluss nach. »Mathe- und Deutschunterricht reichen nicht aus, um junge Erwachsene auf das Leben vorzubereiten«, meint Schulleiterin Gudrun Hersebrock. Seit zwanzig Jahren begleitet sie Jugendliche auf ihrem Weg in ein selbständiges Leben und weiß: Sich mit einer Identität zwischen den Kulturen, einer Bastel-Identität, in der Gesellschaft zu verorten, ist nicht immer einfach. »Im nächsten Schuljahr bieten wir deswegen auch ein neues Wahlpflicht an, in dem sich Schüler mit der Frage beschäftigen, was sie zum Leben brauchen«, erzählt Hersebrock. »Schule des Lebens« wird es folgerichtig heißen, als Pendant zum Theaterprojekt.

 

Bis dahin werden Basam Ghazi und die überwiegend Jugendlichen weiter Ge­­schichten sammeln und das Spiel mit den Identitäten weiter drehen und wenden. Für Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiels, steht das Projekt exemplarisch für den Einfluss, den der Standort Mühlheim auf das Kölner Stadttheater hat. »Ich weiß nicht, ob wir auf die Idee einer Schule des Lebens ge­kom­men wären, wenn wir nicht hier wären«, erzählt er der StadtRevue, »In diesem Projekt kommt die Verbindung zwischen dem Schauspiel und der Keupstraße zu seiner Blüte.«