Bad Men

Mit dem ultrabrutalen haben Robert Rodriguez und Frank Miller das erste lebende Comicbuch der Filmgeschichte erschaffen

Es sollte die Vorgeschichte des dunklen Ritters sein, doch jetzt sieht »Batman Begins« eher wie seine eigene Ouvertüre aus. Nicht Christopher Nolans Seelenzergliederung eines Superhelden ist die düsterste Batman-Verfilmung der Saison, sondern »Sin City« von Robert Rodriguez und Frank Miller. Bruce Wayne und sein Alter Ego sind zwar nicht mit von der Partie – seine Vorstellungswelt ist dafür umso präsenter. Wie Gotham City ist die Stadt der Sünde die alptraumhafte Fantasie eines verängstigten Jungen, in dessen Kopf die Geister von Mördern und Psychopathen spuken. Der Unterschied liegt allein darin, dass alles noch gewalttätiger und aussichtsloser geworden ist, und selbst moralisches Zwielicht ein Hoffnungsschimmer in der undurchdringlichen Welt der Schatten wäre.

Polizist und Detektiv als Antiheld

»Sin City» beginnt mit einem beinahe zärtlich zelebrierten Mord und wiegt sein Publikum damit für wenige Momente in Sicherheit. Eine Frau im roten Kleid stirbt einen Tod, der nach allem, was dann folgt, nur als Gnadenakt bezeichnet werden kann. Schon die nächste Fabel des aus drei ineinander verzahnten Geschichten komponierten Films führt ein menschliches Ungetüm von einem Racheengel ein, der den Mord an einer Edelhure mit unerbittlicher Brutalität vergelten wird. Auch die beiden anderen Antihelden der folgenden Episoden, ein aufrechter Polizist und ein steckbrieflich gesuchter Detektiv, pflastern ihren Weg mit bestialisch entstellten Leichen. Gelegentliche Gewissensbisse werden durch die Natur der Widersacher weggewischt: »Sin City« ist die Heimstatt von gedungenen Killern und mörderischen Perversionen aller Art, und wer in dieser sich selbst kannibalisierenden Metropole eine ehrliche Haut ist, bekommt sie über die Ohren gezogen. Kein Wunder, dass auch die Ritterlichkeit der hartgesottenen Burschen hier keinen karthartischen Effekt erzeugt. Selbst die Rettung eines kleinen Mädchens erweist sich als Geste ohne Nachhall.

Was wird aus Gotham City

»Sin City« ist der Nekrolog zur Batman-Saga, und wer wäre berufener ihn zu schreiben, als der Mann, der den Mythos wieder zum Leben erweckte? Mitte der 80er Jahre nahm sich der Comic-Autor Frank Miller der in Berufsroutine erstarrten Heldenfigur an und gab ihr die gleichwohl noch zusätzlich verdüsterten Charakterzüge ihrer Anfangszeit zurück. Der Serientitel »The Dark Knight Returns« erwies sich als prophetisch, insofern er die beiden Verfilmungen Tim Burtons und die ihnen nachfolgende Welle der Leinwandcomics vorwegnahm – beides wäre ohne Millers Neudefinition des Genres kaum möglich gewesen. Die eine Dekade später entstandene Comic-Serie »Sin City« wirkt wie ein Gedankenexperiment des Autors mit seinem berühmtesten Sujet: Was wird aus Gotham City ohne seinen Beschützer? Die Antwort lässt auch auf der Leinwand an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dort ist ein Hort des Amoralischen zu sehen, in dem Motive des Film Noir so lange mit einer holzschnittartigen Technik zugespitzt werden, bis sich der ungezügelte Sadismus eine Bahn bricht.

Das erste lebende Comicbuch der Filmgeschichte

Lange hat sich Frank Miller geziert, sein Einverständnis für eine Verfilmung von »Sin City« zu geben. Erst als sich Robert Rodriguez mit einem auf eigene Kosten gedrehten Kurzfilm bei ihm bewarb, ließ er sich von dessen ästhetischer Umsetzung überzeugen. Tatsächlich gibt es wohl keinen anderen Film, der so getreu die Ästhetik seines Vorbilds nachahmt. Die Palette aus harten Schwarzweiß-Kontrasten wird nur um wenige strategisch gesetzte Farbtupfer ergänzt, und die Bildvorlagen wirken eher animiert als mit Schauspielern nachgestellt; ein steter stream of consciousness adaptiert die überbordenden Gedankenkästen für das neue Medium und macht aus dem illustren Ensemble (u.a. Bruce Willis, Mickey Rourke, Clive Owen und Benicio del Toro) Interpreten ihres eigenen Voice-Overs. Mit »Sin City« haben Rodriguez und Miller das erste lebende Comicbuch der Filmgeschichte vorgelegt.

Der Look ist alles

Man sieht den suggestiven Bildern an, dass der Film für Robert Rodriguez eine Liebhabersache war. Schon immer hat der Desperado des Hollywood-Kinos aus der Gesetzlosigkeit einer Blut- und Racheorgie sein kreatives Potenzial geschöpft und dank Frank Miller jetzt selbst sein bisher blutigstes Werk, das ebenso formvollendete wie sinnlose Vampirgemetzel »From Dusk Till
Dawn«, in der Anhäufung von Greueltaten übertroffen: Körper werden durchsiebt, Gesichter zu Klump geschlagen, Köpfe abgetrennt und Gliedmaßen verfüttert. Das Irritierende daran ist nicht so sehr die nochmals gesteigerte Brutalität, sondern das völlige Desinteresse am menschlichen Rest in einer entmenschlichten Gesellschaft. Der Look ist alles in diesem Film, und das ist trotz der virtuosen Umsetzung von Millers Zeichenkosmos nicht genug. Bezeichnenderweise hat Quentin Tarantino als Gastregisseur die einzige Sequenz gedreht, in der die Gewalt über sich hinausweist und eine surreale Qualität gewinnt. Selbst die Persiflage bietet in »Sin City« jedoch auf Dauer keinen Ausweg. Robert Rodriguez, der sonst stets sein Genre als Geisel nimmt, ist diesmal zum Gefangenen seiner Werktreue geworden.


Sin City (dto) USA 05, R: Robert Rodriguez, Frank Miller, D: Bruce Willis, Josh Hartnett, Mickey Rourke, 124 Min. Start: 11.8.