Wir ersaufen

Andrea Bleikamp inszeniert in Fight or Flight eindrucksvoll die Stresslevel der Welt

 

 

»Fight or Flight«, das reimt sich. Im gleichnamigen Stück, das Regisseurin Andrea Bleikamp mit »Tanz­theater« etikettiert, reimt sich wenig. Man rätselt über die Anlehnung an die »Fight or Flight«-Reaktion, bei der es darum geht, wie Tiere auf Gefahr reagieren. Dabei erklärt einem der Nachrichtensprecher, was los ist, auf einem Flatscreenläuft die Tagesschau: »VW-Abgasskandal«, »Flüchtlingspolitik« und Politiker. Am Ende wird uns ein Entertainment-Häppchen serviert: das Kino-Highlight Dschungelbuch und als Rausschmeißer natürlich das Wetter. Was alles so seinen Weg findet von der Außenwelt in das Innere des Fernsehers! Plötzlich blinkt das Schildchen »Notausgang« auf und signalisiert »flight«. Allein, wo ist der Ausgang?

 

Eine fiese schwarze Wolke frisst sich durch das Bild. Verschwindet wieder, als sei nichts gewesen. Der Videokünstler Jens Standke sorgt wiederholt für solch comichaften Ermahnungen, für die Imagination von Bomben und Feuern an Orten irgendwo auf der Welt. Dann ruckelt und zerfließt das ganze Bild — und es glättet sich wieder. Gegen die Be­­fürchtung, das recht angestaubte Thema Medienkritik würde hier aus­gepackt, lässt sich sagen: Tanz und die Musik spielen genau dagegen an. Dominik Mahnig an der Beatmaschine lässt elektronische Töne durch den Raum hallen. Der Sound wabert, schabt, klickert, donnert auf den Instrumenten. Ob es das Weltgeschehen kommentiert, Gefühlsströme oder -ausbrüche sind, ist nicht zu erkennen. Der Musiker macht grandios sein Ding.

 

Ähnlich souverän agiert der Tänzer, André Jolles. Er faltet sich langsam aus einem großen Koffer heraus; hängt sein weißes T-Shirt an eine Stange wie eine unnütze Friedensfahne. Den Koffer stellt er als Zelt auf, vergräbt darin den Kopf, hockt sich oben drauf, steigt wieder ganz in die Box. Ständig steht er unter Spannung. Den Kopf steckt er mehrmals in einen Eimer mit Wasser. Will er sich abkühlen? Sollen wir an Folter denken? Wer denkt an Straßenkampf, wenn Jolles schließlich verspielt Pflastersteine um sich herum stapelt? In diesem Setting hätte die Interaktion von Film, Musik und Performer zum Klischee werden können: ein moralischer Katzenjammer, ein Vortrag über unser aller medialen Überforderung. Hätte! Andrea Bleikamp hat sich entschlossen, den Assoziations-Deckel nicht zu schließen. Sie zeigt, wie Informationen die Welt verflüssigen. Und der Mensch wird wohl in diesem Stress ersaufen. Das ist der Befund an diesem starken kleinen Abend.