Handelsgüter des Biotech-Zeitalters

Die Artenvielfalt des Trikont wird von Industrieländern als

beinahe unerschöpfliches Reservoir für Produkte der Pharma- und Gen-Food-Industrie geschätzt.

Doch die Zeiten, in denen sie sich dort ungestört mit biologischem Material eindecken konnten, scheinen vorbei zu sein. Die Entwicklungsländer wollen selbst an dem grünen Gold verdienen.

Raimundo lebt im brasilianischen Amazonas etwa 50 Kilometer von Manaus entfernt. Er ist Waldläufer. Wenn jemand krank ist, holt er bestimmte Blätter, Rinden oder Wurzeln aus dem Wald. Blätter der Pflanze Sipo Alho zum Beispiel helfen gegen Erkältung und Kopfschmerzen. »Abends werden die Blätter eingeweicht und bis zum Morgentau stehen gelassen,« erklärt Raimundo: »Dann wäscht man mit dem Sud Kopf und Hals.«
Das Wissen von Leuten wie Raimundo kann für Pharmafirmen wertvoll sein. Dann, wenn sich Chemikalien aus Pflanzen wie Sipo Alho als Wirkstoffe in Medikamenten einsetzen lassen. Offizielle Seiten in Brasilien schätzen, dass die biologischen Ressourcen in ihrem Land einen Wert von gut 2.000 Milliarden US-Dollar haben. Um das »grüne Gold« zu Geld machen zu können, fehlen jedoch international anerkannte Geschäftsbedingungen.
Momentan nützt das nur den »Biopiraten«. Sie sind, anders als ihre Vorgänger mit Säbel und Augenklappe, keine Outlaws, sondern meist gut bezahlte Wissenschaftler. Sie streifen durch die Wälder souveräner Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika und tragen Pflanzen, Tiere und auch Mikroorganismen nach Hause in den Norden. Dort, in den Laboren der Universitäten und der Industrie, wird das biologische Material getestet, Gene und Inhaltsstoffe werden patentiert. »Die Liste der in den USA und Europa patentierten Pflanzen und Tiere, die ursprünglich aus ganz anderen Regionen stammen, ist
bereits endlos lang. Selbst Experten haben Mühe, den Überblick zu behalten«, sagt Greenpeace-Sprecher Christoph Then. Manches scheint kurios, wie das Patent auf Krokodilurin. Doch selbst das ist nützlich, ein darin enthaltener Stoff soll die Haltbarkeit von Parfum verlängern.

Patente auf Gene

Der Neem-Baum, den Inder seit jeher für Heilzwecke und als natürliches Insektenbekämpfungsmittel nutzen, ist ein weiteres Beispiel für die Merkwürdigkeiten des Bio-Patentwesens. Europäische und amerikanische Firmen haben in Europa und in den USA Patente auf Inhaltsstoffe des Baums erhalten und besitzen damit in diesen Ländern offiziell das geistige Eigentumsrecht an diesen Stoffen. Als Konsequenz durften indische Firmen ihre Neem-Produkte nicht mehr in Europa und in die USA einführen. Ähnliches geschah mit Basmati-Reis und mexikanischen Bohnen. Zum Teil wurden die Patente nach weltweiten Kampagnen von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen wieder zurückgezogen. Noch nicht entschieden ist ein Antrag des amerikanischen Chemie- und Agrarkonzerns DuPont auf ein EU-Patent auf alle Maispflanzen, die einen bestimmten Anteil Öl und Ölsäure überschreiten. Würde der Patentantrag wirksam, hätte die Firma ein Monopol auf einen Bestandteil einer der wichtigsten Nutzpflanzen. Und das, obwohl ölhaltiger Mais bereits seit Generationen in Mittel- und Südamerika gezüchtet, verarbeitet und gegessen wird. Greenpeace und die Entwicklungsorganisation Misereor haben Einspruch eingelegt.
Der Urwald sei mit dem Kräutergarten eines Klosters vergleichbar, sagt David Hathaway von der brasilianischen Organisation AGP, die alternative Agrarprojekte fördert: »Eine Pflanze wächst oft nur deswegen an einem bestimmten Ort im Wald, weil Menschen sie hier angepflanzt und gehegt haben, sei es zur Ernährung, für Farbstoffe oder zur Heilung. All das beinhaltet intellektuelle Arbeit von einzelnen Menschen und von Gemeinschaften.« Waldläufer, Medizinmänner und Schamanen wissen viel über Nutzen und Schaden all dessen, was um sie herum wächst und lebt. Geben sie ihre Kenntnisse westlichen Wissenschaftlern preis, so ist die Chance, dass daraus ein Produkt – etwa ein neues Medikament – entsteht, sehr viel höher, als wenn die Wissenschaftler mehr oder weniger ahnungslos im Wald umherschleichen. Einen Gegenwert erhalten die Einheimischen jedoch nicht.
Zurzeit erlaubt das »trips«-Abkommen (Trade Related Intellectual Property Rights) von 1994 im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), alles patentierbar zu machen, was nach westlicher Anschauung als Erfindung gilt. Doch die Forderung der USA, dass auch Lebewesen patentierbar sein müssten, ging damals schon vielen zu weit. Auch in Europa waren Patente auf derartige Entdeckungen (denn eine Pflanze konnte wohl kaum als Erfindung definiert werden) damals nicht erlaubt. Das trips-Abkommen beinhaltet denn auch einen Kompromiss: Einzelne Staaten können Pflanzen und Tiere von der Patentfähigkeit ausnehmen. Doch der Streit wird im November auf dem WTO-Gipfel im arabischen Quatar wieder aufleben. Während die USA die Ausnahmeregelung im trips-Abkommen tilgen wollen, fordern viele Entwicklungsländer, den Patentschutz ganz zu streichen. Die Organisation Afrikanische Einheit (OAU) hat bereits ein Modellgesetz erarbeitet. Das schließt Patente auf Pflanzen und Tiere nachdrücklich aus. Afrikanische Staaten wollen die Regelung jetzt in nationales Recht umsetzen.

Schutz des geistigen Eigentums

Die Regierungen des Trikont sehen in der Artenvielfalt ihrer Länder die Ressourcen der Zukunft. »Wir mögen die Ärmsten sein im heutigen monitären Sinn,« erklärte unlängst Clement Rohee, der Minister für Außenhandel und Internationale Kooperation aus dem kleinen Land Guyana in Südamerika, anlässlich einer Konferenz »Die Rolle des Schutzes des geistigen Eigentums im Bereich der Biodiversität und des traditionellen Wissens« im September in Manaus, »aber unsere unberührte Biodiversität wird uns zu den Reichsten im Sinne des morgigen biotechnologischen Zeitalters machen. Nun geht es darum, Wege zu finden, unseren morgigen Reichtum vor dem Raub der heutigen Biopiraten zu schützen.«
Wie ein fairer Ausgleich zwischen Indigenen und Industrie aussehen kann, ist zurzeit unter Fachleuten eine viel diskutierte Frage im Rahmen des UN-Abkommens über die Biologische Vielfalt. Fairer Ausgleich könne vieles bedeuten: Technologie- und Wissenstransfer wie die Bereitstellung von Laboren, aber auch Geld zur Armutsbekämpfung, oder einfach taxonomisches Wissen. Letzteres hält Michael von Websky vom deutschen Umweltministerium für besonders wichtig, um Biopiraterie zu unterbinden: »Entwicklungsländer können oft nicht den Wert dessen einschätzen, was Wissenschaftler auf ihrem Territorium finden und mitnehmen.«
Wer am zukünftigen Reichtum teilhaben wird, ist noch offen. Während der Austausch zwischen Wissenschaftlern des Nordens und des Südens bereits heute häufig zu beidseitigem Nutzen führt, sind die indigenen Experten meist außen vor. Zu der gemeinsamen Konferenz von EU-Kommission und brasilianischem Entwicklungs-, Industrie- und Handelsministerium »Die Rolle des Schutzes des geistigen Eigentums im Bereich der Biodiversität und des traditionellen Wissens« in Manaus war ebenfalls kein einziger Vertreter derjenigen geladen, die traditionelles Wissen besitzen. Der Häuptling eines brasilianischen Indianervolkes, der zufällig in der Stadt war, durfte dennoch auf der Konferenz eine dreiminütige Rede aus dem Stegreif halten – aber erst, nachdem Umweltverbände dies durchgesetzt hatten.
Der Streit um Verwertungsrechte von Genen endet nicht bei Flora und Fauna. Immer öfter wollen Pharmafirmen Gene von Menschen für sich reservieren. In Island erhielt die US-Firma DeCode im Januar 2000 eine zwölfjährige Lizenz, die Gesundheitsdaten der Bevölkerung und die genetischen Informationen kommerziell zu verwerten. Die Isländer müssen noch nicht mal zustimmen, haben aber die Möglichkeit, den Zugriff auf ihre Daten zu verbieten. Ziel der Erhebung ist es, den genetischen Ursachen von zwölf verbreiteten Krankheiten auf die Spur zu kommen. DeCode hat einen millionenschweren Deal mit dem Pharma-Multi Hoffmann-La Roche abgeschlossen. Während DeCode Gentherapien entwickeln will, bleiben die Rechte an Diagnostika und Medikamenten bei La Roche. Island erhält für die Lizenz umgerechnet 25 Millionen Mark und eine Gewinnbeteiligung an DeCode-Produkten.

Verwertung des humanen Genpools

Eine Gendatenbank der Bevölkerung wird auch in Estland aufgebaut. In sämtlichen Einrichtungen des Gesundheitssystems werden Patienten seit Anfang 2001 gefragt, ob mit ihrem Blut DNA-Analysen vorgenommen und die gewonnenen Daten in einer zentralen Datenbank gespeichert werden können. Kritik gab es nur von der estnischen Wissenschaftsakademie: Sie klagt, dass auch Steuermittel für Aufbau und Betrieb der Datenbank eingesetzt werden, obwohl die medizinische Grundversorgung mangelhaft ist und Krankenschwestern und Ärzte unzureichend entlohnt werden.
Die australische Firma Autogen glaubt, dass die Menschen des Inselreiches Tonga im Südpazifik einen einzigartigen Genpool bilden, der es erlaubt, chronische Krankheiten wie Fettsucht und Diabetes zu erforschen. Autogen verhandelt mit der Regierung von Tonga über den Aufbau einer Gen-Datenbank. Die Firma gibt sich altruistisch: Medikamente, die auf Grund der Daten entwickelt werden, sollen Menschen auf Tonga umsonst erhalten. An diesem Projekt beteiligt sich auch die Pharmafirma Merck, die 15 Prozent der Autogen-Aktien aufgekauft hat. »Für uns ist das Risikokapital«, erklärt Pressesprecher Hartmut Vennen. Zwar sei wissenschaftlich nicht bewiesen, ob Gene überhaupt eine wichtige Rolle spielen, »wenn aber bei den Forschungen etwas herauskommt, wollen wir mit dabei sein.«
Auf Tonga organisieren kirchliche Gruppen, Entwicklungs- und Umweltorganisationen Widerstand. »Die Menschen von Tonga werden zum kommerziellen Objekt, menschliche Gene zum Betriebskapital erklärt«, kritisiert stellvertretend Greenpeace-Experte Christoph Then. Die Regierung in Tonga hat wie die Regierungen in vielen Entwicklungsländern jedoch eine ganz andere Sicht der Dinge. Für sie sind Erbinformationen ein nationales Gut, dessen Verwertung der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Länder zu Gute kommen soll. Die Konturen des Biotech-Zeitalters werden schärfer – die Konflikte auch.