August Sander: Mutter und Sohn (Lou Straus-Ernst mit Sohn Jimmy), 1928 | © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur — August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2016

»Ein Schiff namens Optimist«

Luise Straus-Ernst ist als Frau von Max Ernst bekannt. Doch sie war mehr als eine Muse der Dadaisten. Sie arbeitete als Journalistin und veröffentlichte Romane und Kurz­ge­schichten. Eva Weissweiler hat jetzt eine aufwändig recherchierte Biografie vorgelegt

 

Lange war die Rolle der Frauen in der Dada-Bewegung in Vergessenheit geraten. Erst seit einigen Jahren rücken sie Ausstellungen und Publikationen in den Fokus. »Die Dadaisten wollten zwar die Kunst verändern und eine neue Welt schaffen, aber in einem sind sie den Traditionen treu geblieben: in ihrer Herablassung gegenüber Frauen«, sagt Eva Weissweiler. »Es gab — auch hier in Köln — viele talentierte Künstlerinnen. Doch Frauen hatten in der Bewegung vor allem zwei Rollen. Wenn sie schön waren, durften sie als Muse dienen. Und wenn sie nicht ganz so schön waren, durften sie Schnaps und Zigaretten besorgen oder gelegentlich geistreich am Gespräch teilnehmen. Aber ihre Werke wurden eigentlich nicht ernst genommen.« 

 

Eva Weissweiler hat ein Buch über eine dieser Frauen geschrieben. »Notre Dame de Dada« heißt es und es handelt von Luise Straus-Ernst, die gemeinsam mit ihrem Mann Max den Dada nach Köln brachte. 1893 wird sie als Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie in Köln geboren. 1917 promoviert sie als eine der ersten Frauen im Fach Kunstgeschichte an der Bonner Universität. Dort begegnet Luise Straus auch dem damals 23 Jahre alten Max Ernst, noch im Kriegsjahr 1918 heiraten die beiden. Nach dem Krieg wird ihre gemeinsame Wohnung am Kaiser-Wilhelm-Ring zum Anziehungspunkt für Künstler, Schrift-steller und Intellektuelle. »Da war der Dichter Johannes Theodor Kuhlemann, dem wie einer Orgel ständig neue Verse entströmten, da waren die Maler Carlo Mense, Hein-rich Hoerle, Anton Räderscheidt, Franz Wilhelm Seiwert, der Galerist Nierendorf, der Architekt Hans Hansen, der Bühnenbildner und Illustrator Peter Pfaffenholz und viele andere«, schreibt Eva Weissweiler. Auch mehrere Frauen, neben Luise Straus-Ernst etwa die Grafikerinnen und Ma-le-rinnen Marta Hegemann und Ange-lika Hoerle, sind Teil dieses Zirkels. Man gründet die »Gesellschaft der Künste«, deren Schriftführerin Luise Straus-Ernst wird und die schon nach wenigen Jahren am Konflikt zwischen einem traditionelleren Kunstverständnis und der ikono-klastischen Dada-Bewegung zerbricht. Dada Köln erfährt 1920 mit einer Ausstellung im Lichthof des Brauhauses Winter auf der Schildergasse zugleich seinen Höhepunkt und sein Finale. 

 

Auf Luise Straus-Ernst stieß Eva Weissweiler über einen Umweg. »Mein Vater war Maler, von ihm lernte ich viel über die Kölner Kunstszene. Er nahm mich mit ins Museum, zu Ausstellungen über den Surrealismus und andere interessante Strömungen. Mich faszinierten diese Künstler. Ich wollte wissen, was sie für Menschen waren, und begann mich besonders für Max Ernst zu interessieren. Bei meinen Recherchen begegnete mir Luise.«

 

Bereits in mehreren Büchern hatte Eva Weissweiler sich mit starken Frauenfiguren beschäftigt, sie verfasste unter anderem Biografien über Clara Schumann und Eleanor »Tussy« Marx. Im Zuge ihrer Recherchen zu einer Biografie über Fanny Mendelsohn begann sie zudem, sich besonders für deutsch-jüdische Familiengeschichten zu interessieren. »Das mag auch daran liegen, dass meine eigene Familie bis ins 19. Jahrhundert in Teilen jüdisch war. Als meine Eltern 1936 heirateten, konnte mein Vater nur mit Ach und Krach den ›Ariernachweis‹ erbringen. Im Zweiten Weltkrieg wurde er Offizier und war überzeugt von der ›deutschen Sache‹. Es ist immer auch dieser Widerspruch in der eigenen Familie, mit dem ich mich in meinen Büchern auseinandersetze.« 

 

Auch Luise Straus-Ernst wird schon bald auf ihr Jüdischsein zurückgeworfen. 1926 lässt sie sich von Max Ernst, der seiner Geliebten Gala Éluard nach Paris gefolgt war, scheiden. Sie bringt sich und den gemeinsamen Sohn Jimmy alleine durch, zunächst mit Sekretariats- und Assistenzarbeiten, bald kann sie sich aber als Journalistin etablieren. Sie verfasst Beiträge für den Berliner Querschnitt, die Kölner Woche, den Kölner Stadt-Anzeiger und die Dresdner Neuesten Nachrichten. Anfang der 30er Jahre werden die antisemitischen und nationalistischen Strömungen in Deutschland zuneh-mend stärker. In der Rosenmontagsnacht 1933 brennt der Reichstag, es kommt zu Massenverhaftungen. Auch die Wohnung von Luise Straus-Ernst wird durchsucht. Sie weiß, dass sie in Köln nicht mehr sicher ist und flieht nach Paris. Sohn Jimmy lässt sie bei ihren Eltern zurück. Bei aller Trauer über den Abschied ist die Flucht nach Paris für die gerade Vierzigjährige zugleich ein Aufbruch: »Sie begriff das Exil als Chance, als Zäsur. Es war ihr als ob ›die ganze Welt lockt mit tausend Verheißungen‹«, so Eva Weissweiler. 

 

Doch der Anfang in Paris ist schwer. Die unzähligen Exilanten machen Wohnraum zur Mangelware, man lebt provisorisch in Hotels, das Geld ist knapp. Schließlich gelingt es Luise Straus-Ernst für einige der neu gegründeten Emigrantenblätter zu schreiben. Sie verfasst literarische Texte, darunter Erzählungen und Fortsetzungsro-ma-ne. »Gerade die Kurzgeschichten, in denen sie dramatische Ereignisse und Bilder heraufbeschwört, haben sehr visuelle Qualitäten. Sie wirken wie Filme, die vor dem inneren Auge ablaufen. Diese Erzählungen haben auf jeden Fall ihren Platz in den obersten Annalen der Exil-literatur verdient«, schwärmt Eva Weissweiler im Ge--spräch. In »Notre Dame de Dada« verwebt die Autorin Auszüge dieser literarischen Texte und der im Exil verfassten Autobiografie »Nomadengut« mit historischen Fakten und Quellen zu einer packenden Erzählung. Dabei scheint ihr die Protagonistin zunehmend vertrauter zu wer-den, immer öfter nennt sie Luise Straus-Ernst bei ihrem Spitznamen Lou. 

 

Paris bringt Straus-Ernst zunächst privates Glück, mit dem Journalistenkollegen Fritz Neugass tritt ein neuer Mann in ihr Leben. Die beiden müssen jedoch von der Hauptstadt in den unbesetzten Süden Frankreichs ziehen, auch weil Straus-Ernst in der Résistance aktiv war. Die Lage wird zunehmend bedrohlicher. 1941 entschließen sich Fritz Neugass und auch Max Ernst — wie viele andere Exilanten — zur Flucht nach Übersee. Sohn Jimmy lebt da bereits in den USA. Luise Straus-Ernst scheint zu zögern. Soll sie wirklich als knapp Fünfzigjährige im fernen Amerika noch einmal einen Neuanfang wagen? Im Sommer 1942 schreibt sie an ihren Sohn: »Die Leute hier haben schreckliche Angst, aber du kennst mich ja. Ich habe ein Schiff namens ›Optimist‹, auf dem ich manchmal vielleicht ein bißchen nass geworden bin, aber ich weiß, es kann nicht sinken.« Schließlich kann auch sie vor der lebensbedrohlichen Situation nicht mehr die Augen verschließen, setzt alles daran, doch noch das rettende Visum zu bekommen. Diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Am 30. Juni 1944 wird Luise Straus-Ernst verhaftet und vom Auffanglager Drancy mit einem der letzten Züge nach Auschwitz deportiert.  

 

 

Eva Weissweiler: »Notre Dame de Dada. Luise Straus-Ernst — Das dramatische Leben der ersten Frau von Max Ernst«, Kiepenheuer & Witsch, 456 S., 21,99 Euro