Pop in Köln – die besten Jahrgänge

Nie wieder Kölschrock, Electric Cologne forever! Etwa zwischen 1994 und 2004 existierte das Goldene Jahrzehnt des Kölner Pop. Die popmusikalisch bis dahin nahezu bedeutungslose Stadt schnellte in allen Musik-Rankings nach oben. Aber nach dem Ende der Popkomm und der endgültigen Etablierung von Techno sind die Karten neu gemischt. Felix Klopotek wagt eine erste Bilanz, Manfred Wegener fing Studioatmosphäre ein.

Es war 1993, das Jahr, in dem die Popkomm sich endgültig etablierte und VIVA an den Start ging.
Nein, es hat 1994 angefangen, 1994 erschien das erste Album von Mouse on Mars. Zwanzig Jahre nach dem letzten guten Album von Can gibt es wieder eine in Köln verwurzelte Band, die international wahrgenommen wird, die einen neuen Sound wagt: Elektronische Avantgarde trifft coolen Pop. Dass die zeitgenössische elektronische Popmusik nicht nur die Clubs bedient, sondern Autoren-Musik sein kann, Musik, die man im Wohnzimmer hört, zu der man Karlheinz Stockhausen oder den frühen Industrial der 70er Jahre assoziiert, dafür sorgen legendäre Typen wie Aphex Twin oder Richie Hawtin und: die Produzenten der Kölner Szene.

Das Ende ist auch ein Neuanfang

Oder hat es 1995 angefangen? Der Laden a-Musik eröffnet (siehe Portrait auf Seite 31), damit gibt es die Plattform für moderne, post-avantgardistische Elektronik. EinsLive geht auf Sendung, ein Jahr später folgt VIVA 2, der Independent- und Elektronikableger von VIVA. Whirlpool Productions veröffentlichen ihr erstes Album.
Es fällt schwer, das goldene Kölner Popjahrzehnt klar einzugrenzen. Es gibt keinen eindeutigen Auftakt – und das Ende ist gleichzeitig auch ein Neuanfang. Dieses Jahrzehnt ist nicht durch eine homogene lineare Entwicklung gekennzeichnet. Vielmehr ist es eine Zusammenballung unterschiedlicher Faktoren, eine Verschränkung von Makro- und Mikro-Ebenen: Was haben denn Popkomm, EinsLive, ein öffentlicher Diskurs über New Economy und Medienstandort und die beeindruckende Anzahl an herausragenden Veröffentlichungen von in Köln arbeitenden Musikproduzenten gemeinsam?

Köln will Medienmetropole werden

Wie viele Städte hat Köln in den 90er Jahren (und schon davor) einen tiefgreifenden Wandel durchlebt, der sich zunächst in einem Prozess der Deindustrialisierung ausdrückt. Die große Industrie zieht sich aus dem Stadtbild zurück, in traditionellen Arbeitervierteln schnellt die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Welches sind die Modelle, die die zerfallende Struktur einer durch Industrie geprägten Stadt wieder herstellen? Die Medienwelt scheint ungeahntes Potenzial zu besitzen – sie ist ultramodern, technisch immer auf dem neuesten Stand, rasant in der Entwicklung. Der professionelle Umgang mit Medien erfordert von den Medienarbeitern hochflexiblen Einsatz, der sich oft nur prekär sozial absichern lässt. Dennoch, die Medien sind das strahlende Gegenbild zum verblassenden Industriestandort. Köln arbeitet seit Anfang der 90er Jahre verstärkt daran, Medienmetropole zu werden: Es soll die Stadt der Fernseh- und Radiosender sein, der Produktionsfirmen, Werbeagenturen, Musikverlage, der Kreativen aus allen Sparten: Grafiker, Techniker, Musiker.

Förderung durch das Kulturamt

Es wird eine Kunsthochschule für Medien gegründet, ein Mediapark gebaut und ein künstlerisches Subjekt geschaffen: Es ist der Produzent elektronischer Musik. Er braucht keine Band, macht seine Musik im Alleingang oder in kleinen, flexiblen Einheiten, verfügt über wenig, dafür technisch ausgefeiltes Equipment, kann schnell reagieren, zeichnet sich durch ein hohes Produktionspensum aus. Und er ist Geschäftstüchtig, bedient seine Zielgruppe perfekt, tritt selber als Labelmacher, Plattenladenbesitzer, Vertriebsleiter oder Booker auf. Dabei ist er skeptisch gegenüber der Presse, braucht keinen schnelllebigen Hype, sondern setzt auf gute Kontakte, etwa zu städtischen Ämtern. Elektronik-Festivals wie Battery Park oder Electric Trick werden vom Kulturamt gefördert. Das Kulturamt selbst gibt CDs heraus, die den »Sound of Cologne« vorstellen.
Die große Stärke der elektronischen Musik ist aber, dass sie sich nicht im Zeitgeist erschöpft. Wäre sie nur ein Image-Tool einer sich wandelnden Metropole, hätte sie nicht die andauernde Aufmerksamkeit erringen können. Die Autonomie dieser Musik, ihre Eigenlogik, ist das eigentlich Beeindruckende: Die Maxis, die Wolfgang Voigt unter dem Projektnamen »Studio 1« veröffentlicht hat, passen in die Zeit – keine Rockstar-Pose, kein Rebellionsgeste, stattdessen maximale Nüchternheit, die an die Funktionalität und Perfektion eines modernen Großraumbüros erinnert. Aber man wird diese Musik noch in zehn, zwanzig Jahren hören können und immer noch über die Kühnheit dieses Techno-Minimalismus erstaunt sein (und vielleicht gar nicht mehr an eine Büro-Ästhetik denken).

Urbaner Raum als moderne Partyzone

Das ist die Ambivalenz dieser Musik, und es macht die Substanz dieses goldenen Jahrzehnts aus: dass die verschiedenen Makro- und Mikro-Faktoren einander durchdringen ohne deckungsgleich zu sein. Der Sound of Cologne ist Zeitgeist und gleichzeitig Ausdruck einer eigenständigen Entwicklung, die bereits Ende der 80er Jahre begonnen hat und die heute, wo gute Elektronikplatten aus Köln eine Alltäglichkeit sind, noch nicht abgeschlossen ist. Es ist diese Vielschichtigkeit, die die unterschiedlichen elektronischen Musiken auszeichnet: Mouse On Mars gehen als Pop durch und haben doch die Tiefe, die es ermöglicht, sie als Erben der elektronischen Avantgarde der 50 er und 60er Jahre zu rezipieren; Minimal-Techno mag im Wohnzimmer gehört nüchtern und unterkühlt klingen, im Club war dieser Sound für lange Jahre Grundlage euphorischer Partys.
Auch die Kölner Popkomm ist in diesen Zusammenhang einzuordnen: Sie ist kein Schaufenster der hiesigen Szene, sie setzt ganz auf internationalen Rock, zeigt sich mitunter recht ignorant gegenüber der Lebendigkeit der verschiedenen Elektronik-Szenen. Aber sie gilt als bedeutendes Element des gewünschten Strukturwandels und soll die Zukunftsperspektive der Medien- und Kulturindustrie gegenüber der Old Economy repräsentieren. Bezeichnenderweise drücken die Stadt und ihr Ordnungsamt, das sonst gegen Partyveranstalter einen harten Kurs fährt, beide Augen zu. Während des dritten August-Wochenendes, dem angestammten Popkomm-Termin, kann sich der urbane Raum unreglementiert als moderne Partyzone präsentieren. Obwohl zwischen Popkomm und Elektronik-Szene kein direkter Zusammenhang besteht, werden sie doch zusammen wahrgenommen: als zwei Elemente des medien- und kulturindustriellen Hegemonie in Köln.

Ende des goldenen Jahrzehnts

So markiert das hiesige Ende der Popkomm vor zwei Jahren zusammen mit der VIVA-Demontage das Ende des goldenen Jahrzehnts. Die Versprechen der neuen Industrie haben sich in viele Fällen als Behauptung, als schöner Schein herausgestellt. Selbst in den vielleicht besten Jahren der »Medienmetropole Köln«, 1999 und 2000, haben wenig mehr als 10.000 Menschen in der Branche gearbeitet. Seitdem sind die Zahlen rückläufig. Es ist – nicht nur in Köln – offensichtlich, dass der Wandel zum Medienstandort die Wucht der Deindustrialisierung nicht auffangen kann. Das dürfte der eigentliche Grund der tief gehenden Entzauberung und öffentlichen Abwertung sein, die die Popkultur in den letzten fünf Jahren erlebt hat. Diese Profanisierung findet ihre musikalische Entsprechung in der massiven Rückkehr von Retro-Rock. The Strokes oder Franz Ferdinand sind wertkonservative Bands mit, gemessen an dem Futurismus der Elektronik-Szene, bescheidenden Ansprüchen. Dennoch wirkt der Retro-Rock lebendiger und frischer, ungestümer und großmäuliger. Selbst an den kühnsten Minimal-Techno und dem ausgefreaktesten Avant-Groove hat man sich irgendwann gewöhnt.

Leistungsschau der Kölner Elektronik-Szene

Die Popkomm wurde letztes Jahr durch die c/o pop abgelöst (das Ende ist auch ein Anfang), eine internationale Musikmesse mit großer Bedeutung für die Stadt durch eine Leistungsschau der Kölner Elektronik-Szene, die überregionale Ausstrahlung zeitigen soll. Der Anspruch, Trends in der Popkultur zu präsentieren, legitimiert sich nicht mehr durch ein schier unerschöpfliches Zukunftspotenzial, sondern will hart erarbeitet sein. Pragmatik, die Konzentration auf kleinere Festival-Formate und überschaubare Messe-Elemente, eine enge Zusammenarbeit mit städtischen Gremien und Ämtern, die mittlerweile selbstverständlich ist und nicht mehr als politischer Wandel verkauft wird – die c/o pop ist ein Produkt der Ernüchterung. Und damit ein gutes Mittel, erst gar keinen Kater nach dem Rausch der goldenen Jahre aufkommen zu lassen.
Das Erfreulichste aber ist: Die Liste von Kölner Pop- und Rockbands, die nichts mit Kölschrock zu tun, aber einiges von dem Sound of Cologne für sich gewonnen haben, ist lang. Wenn hiesige Bands wie Von Spar und Timid Tiger auf dem angesagten Hamburger Label L’Age d’Or veröffentlichen, ist das nicht mehr so spektakulär wie vor zehn Jahren der Schachzug des Major-Lables EMI, das eigens für einen Teil der Kölner Elektronik-Szene ihr Sublabel Harvest reaktivierte. Aber es zeigt, dass niemand das Ende des goldenen Jahrzehnts beweinen muss.