Philine Velhagen: Ist für Anarchie, nicht für Geschichten im Theater, Foto: Dörthe Boxberg

Durchs Kaninchenloch in die Welt

In »Weltproben — eine Versammlung« zeigt Drama Köln den Alltag als große Verschwörung

Drama Köln wagt sich an sein bislang größtes Projekt. Unsere: Realität soll als gigantische Verschwörung entlarvt werden. Gewohntes kann man sich bei ihrer Arbeit abschminken. Hier, auf den Straßen und in den Häusern Kölns, kommt alles anders, als man denkt. Wir sprachen mit der Regisseurin Philine Velhagen über das Spiel mit dem Fake. 

 


Ist Drama Köln jetzt unter die Verschwörungstheoretiker gegangen und glaubt, die Welt wird von einer kleinen Gruppe Auserwählter aus einem Hotel in Holland gesteuert?

 

 

Philine Velhagen: (lacht) Wir treiben uns wirklich in solchen Foren im Netz herum, aber für die Recherche. Es ist schon sehr exotisch, was einem da begegnet. Wir lesen gerade sehr viel. 

 

 

Was ist denn euer Ansatz?

 

Wir glauben, dass Verschwörungstheorien immer dann Konjunktur haben, wenn die Welt zu komplex wird. In Zeiten von Krisen, wenn sich Menschen Ereignisse nicht erklären können, aber nach möglichen Erklärungen suchen, weil sie Widersprüche in der Welt nicht aushalten können. Dann wird meist gefragt: »Wem nützt das Ereignis?« Und dann kommt der Umkehrschluss: »Wem es nützt, der muss dahinterstecken.« Und dafür gibt es dann eine scheinbar einfache Erklärung. Das ist der Punkt, an dem wir einsetzen, nachfragen.

 

 

Verlieren sich Menschen in solchen Gedankenspielchen?

 

Nur wenn die Menschen desillusioniert sind und keine Visionen haben. Die Reduktion der Wirklichkeit auf ein Muster von Ausgeliefertsein verrät eine postdemokratische Haltung. Sie dokumentiert sehr viel Distanz zu einer Gesellschaft.

 

 

Michel Houellebecq hat das in »Die Unterwerfung« als Groteske inszeniert: die Flucht einer westlichen Gesellschaft in den islamischen Staat, um so der Bedrohung durch die dunkle Seite des eigenen Selbst zu entgehen.

 

Ja, die Literatur steckt voll solcher Themen. Ebenso das Kino: »Truman-Show«, Fassbinders »Welt am Draht« oder »Matrix« . Aber wir laborieren am Gegenteil. Wie können wir eine Nähe zu unserem Leben finden? Wir wollen den Alltag ganz genau betrachten und uns die Mechanismen der Inszenierung darin aneignen. Jean Baudrillard hat mal beschrieben, dass unsere Welt von der Simulation beherrscht ist, und dass das, was wir in der Welt für das Reale halten, nicht mehr das Reale ist. Zizek wiederum geht einen Schritt weiter und verweist darauf, dass hinter jeder Simulation gleich die nächste lauert und es keinen Ausweg geben kann. Das hat uns sehr inspiriert.

 

 

Wie wollt ihr die Erkenntnis jetzt in der Welt enttarnen?

 

Wir haben ein Stück entwickelt, dessen Handlung sich aus der Tatsache ergibt, dass das, was wir für Realität, die Wirklichkeit halten, eben eine »Simulation« ist. Allerdings wollen wir nicht wie im Kino Gut gegen Böse spielen, sondern mit den Zuschauern in einen anderen Zustand geraten.

 

 

Was erwartet die Zuschauer konkret?

 

Pforten und Kaninchenlöcher. Wir haben einen Parcours entwickelt, der einen Weg durch die vorliegende Hyperrealität weist und Tools an die Hand gibt, sich in der Inszenierung zu bewegen. Der Zuschauer nimmt an einem performativen Trainingsprogramm teil, in dem er die Welt probt. Vielleicht kann man sagen, wir inszenieren das ein bisschen wie ein Trojanisches Pferd an verschiedenen Stationen in Köln-Mülheim und anschließend in Düsseldorf. Geleitet werden die Zuschauer von unseren Coaches vom Stadtraumkommando.

 

 

Es geht also raus auf die Straße?

 

Eigentlich nur, das ist der Hauptort der öffentlichen Begegnung. Am Straßengeschehen lässt sich sehr viel aufzeigen wie dieses Theaterstück namens Alltag funktioniert. Nimm dir die willkürlichsten Momente und beobachte einen Platz für drei Minuten und du wirst einen ganzen Kosmos des alltäglichen Lebens darin erkennen und verstehen können. Das ist eine Gemeinschaftserfahrung, die wir unternehmen. Kein Zuschauer ist allein unterwegs, sondern immer in Begleitung und verbunden mit den anderen. Nur den Einstieg in unsere Welt muss man alleine finden. 

 

 

Und den Ausstieg?

 

Auch. Wir wollen keine Geschichte bis zum Ende erzählen. Das passt auch nicht zur Arbeitsweise von Drama Köln. Ich benutze Geschichten nur als Transportmittel, als Absprung. Am Theater sind es auch nicht die Geschichten, die mich interessieren. Das können Kino und Literatur besser. Mich reizt immer die Anarchie, die Unberechenbarkeit des Außens. 

 

 

Euer Projekt ist eine Kooperation mit dem Schauspiel Köln. Es läuft in der Reihe »Die Stadt von der anderen Seite sehen. Wie wollen wir in Zukunft leben und welche Stadt brauchen wir dafür?«

 

Verschiedene Projekte sollen uns Mülheim näher bringen. Euer »Weltproben« ist die erste Theaterveranstaltung in der Reihe. Da wir in unserer Arbeiten meist versuchen, die Welt als Utopie zu inszenieren und dazu den öffentlichen Raum performativ bespielen, passen wir sehr gut in diesen Rahmen. In Mülheim und dann auch beim Asphalt Festival in Düsseldorf, mit dem wir ebenfalls kooperieren, werden wir gemeinsam mit den Zuschauern versuchen, in Interaktion mit dem Urbanen zu gelangen. 

 

 

 

11. (UA)–13.7., geheimer Ort in Köln-Mülheim, 18 Uhr, 15., 16.7., Düsseldorf,

 

Anmeldung: info@drama-koeln.de