Raus zum Rhein

Es ist Sommer! Endlich! Raus aus der Stadt! Wir haben uns aufs Fahrrad geschwun­gen und am Kölner Rheinufer zwischen Kilometer 671 und 711 völlig verschiedene Menschen getroffen, deren Leben eng mit dem Rhein verknüpft ist. Dörthe Boxberg hat sie an ihren Lieblingsorten in Szene gesetzt. Und auch wir verraten euch unsere Lieblingsorte, die wir auf unserer Tour ausfindig gemacht haben.

Das Mississippi-Gefühl

 

Heiko Dietrich pendelt mit seiner Fähre zwischen Weiß und Zündorf

 

Wasser war schon immer meine Leidenschaft. Mein ganzes Leben habe ich am oder auf dem Wasser verbracht: Aufgewachsen bin ich am Dümmer See in Norddeutschland. Die älteren Mädels vom Bauernhof mochten mich irgendwie und  hatten mich als kleinen Stöpsel auf ihrem Segelboot mitgenommen. Das war eine Wucht! Dann kam ich als 12-Jähriger nach Köln. Nach der Ausbildung zum Maschinenschlosser habe ich an der Kölner Werkschule Industriedesign studiert. Danach bin ich nach Holland, Belgien und Frankreich gegangen und war dort auf sämtlichen Flüssen unterwegs.  

 

Mitte der 80er Jahre, ich war gerade in Holland, habe ich gelesen, dass sie einen Fährmann in Weiß suchen. Den Fährbetrieb gestartet habe ich mit der »Frika«, sie ist mein altes Schätzchen und stammt aus dem Jahr 1904. Ursprünglich war sie ein alter Kohlefrachter, der mal 38 Meter lang war. Wir haben sie auf 25 Meter eingedampft. Zwei Jahre später habe ich meine erste Fähre geplant und gebaut: das »Krokolino«, das auch heute noch im Einsatz ist. Heute leben wir auf der »Frika«, sie ist sozusagen ein Hausboot mit ordentlichem Motor. Wir haben Werkstätten an Bord, für die Instandhaltung der Schiffe geht echt viel Zeit drauf, aber Frickeln macht auch Spaß. 

 

Man erlebt hier schon seltsame Geschich-ten. Was so alles den Rhein runterkommt: Neulich habe ich eine Rotte Wildschweine gesehen, die sich fein säuberlich hintereinander ans andere Ufer haben treiben lassen. Beim letzten Hochwasser kam ein Wohnwagen den Rhein runter gebrettert. Der hatte ordentlich Tempo. Den hat es vermutlich von einem Campingplatz an der Sieg weggespült. 

 

Tatsächlich kann es wackelig werden auf dem Kölner Meer. Wenn ein großes Passagierschiff flott fährt, gibt es ordentliche Wellen. Die Wellen laufen quer zum Strom, wir fahren dann längs zu den Wellen, damit es nicht ganz so turbulent zugeht. Grundsätzlich ist dann immer eine aufgeregte Stimmung an Bord, so ein Mississippi-Gefühl. Ich selbst kann nur leidlich schwimmen. Ohne Hilfsmittel würde ich nicht rüberkommen. Das sollte man auch nicht versuchen. Meine Tochter ist eine exzellente Schwimmerin, die braucht acht Minuten. Wichtig ist, dass man im Wasser mit der Strömung geht und rechtwinklig zum anderen Ufer durchs Wasser schwimmt. Das ist dann am Ende zwar länger, aber anders kommt man nicht an. Man muss damit rechnen, etwa einen Kilometer flussabwärts abgetrieben zu werden. 

 

In meiner Zeit als Fährmann habe ich über zwei Millionen Menschen transportiert, darunter auch Promis. Der Architekt Gottfried Böhm kam zum Beispiel regelmäßig vorbei, dann habe ich mich zu ihm auf die Bank gesetzt, und wir haben Weltanschauungen ausgetauscht. Aber mir geht es vor allem um die kleinen Leute. Wenn die alte Frau Schmitz im Regen steht und rüber möchte, muss ich sie schnell abholen, auch wenn sie die einzige ist. Kein Bock geht nicht, die Menschen verlassen sich auf mich. Wenn man immer dieselbe Strecke fährt, dann sind die Menschen das Interessante. Heute war eine Dame ganz verheult, die hatte ihren Job verloren. Da habe ich mich mit ihr auf eine Bank gesetzt und wir haben erzählt. Die meisten Leute unter der Woche kenne ich, die haben eine feste Destination: Verwandte, Krankenhaus, Arzt, Job. 

 

Ich würde mich nicht als Aussteiger bezeichnen. Ich führe eine ordentliche Buchhaltung, mache Statistiken, organisiere mein Material. Wenn man so will: Ich führe ein unorthodoxes Leben, und bin ziemlich unabhängig. Der Rhein ist die Konstante, die alles bestimmt.

 

 

Protokoll: Anja Albert 

 

 

Gleiten und schweigen

 

Die Kölner Ruderer sind weit weg von der Hektik des Rheinufers

 

»Das ist der schönste Blick«, sagt Knut Kellerhoff bei Rhein-Kilometer 682,5. Wir stehen auf der Terrasse des Kölner Rudervereins 1877 e.V. in Rodenkirchen und blicken auf den Fluß. Das Wasser ist über die Ufer getreten, das ist gut für die Ruderer. Sie müssen die Kribben, ins Wasser ragende Stege, nicht umfahren, weil diese überflutet sind. »Dort bildet sich sonst eine Zwischenströmung zum Rest des Flusses«, sagt Kellerhoff. Er ist ein erfahrener Ruderer — er hat Mosel, Neckar und Donau berudert, an Pfingsten war er mit dem Ruderclub bei der »Vogalonga«, einem 30 Kilometer langen Ruderwettbewerb mit 6500 Teilnehmern in Venedig. Gibt es etwas, was den Rhein besonders interessant für Ruderer macht? »Die Strömungsgeschwindigkeit«, antwortet Kellerhoff. »Der Fluss ist groß, man kann bequem eine Tagesetappe von 50 Kilometern rudern.« 

 

Rund 600 Mitglieder hat der Kölner Ruderverein. Die Leistungs-sportabteilung sitzt am Fühlinger See, die Freizeit-ruderer in Rodenkirchen. Wer rudern lernen will, muss erst einmal im Ruder-keller die Technik erlernen: Wie halte ich die Paddel, die »Skulls«, richtig? Wann ziehe ich den Körper nach vorne, um den Schwung des Boots nicht auszubremsen? Erst dann darf man auf den Rhein. Sechsmal in der Woche werden in Rodenkirchen die Boote aufs Wasser gelassen, etwa 25 bis 40 Menschen kommen zu einem Termin. Ein Volkssport ist Rudern trotzdem nicht. Ein Dreier-Boot kostet rund 14.000 Euro, ein einzelnes Skull um die 400. Für ein Jahr Mitgliedschaft im Kölner Ruderverein muss man deshalb 420 Euro bezahlen. »Für Familien ist das schon viel«, sagt Dörthe Kellerhoff. Sie und ihr Bruder haben in der Schule mit dem Rudern begonnen und sind dabeigeblieben. »Rudern ist ein angenehmer Sport«, sagt Dörte Kellerhoff. »Man sitzt nicht alleine im Boot, und trotzdem ist es ruhig.« Wegen des Fahrtwinds ist es müßig, sich zu unterhalten. »Nach dem Rudern habe ich das Gefühl, ich habe einen Tag Urlaub gemacht«, ergänzt ihr Bruder Knut. »Man blendet die Umwelt aus.«

 

Kurz darauf gleiten wir in der »Loreley«, einem Dreier, rheinaufwärts in Richtung Sürth. Ich bin Anfänger und habe Probleme, den richtigen Takt zu finden. Oft bremse ich unser Boot aus, weil meine Skulls zu früh eintauchen. Aber wenn wir einen gemeinsamen Rhythmus finden, verstehe ich, was die Geschwister meinen. Wir gleiten, die Hektik des Rheinufers ist weit entfernt, auch die Wellen eines vorbeifahrenden Passagierschiffes können uns nicht aus der Ruhe bringen. Nach einer Dreiviertelstunde kehren wir um – der Regen wird zu stark.

 

Später im Ruderkeller, einer Art Schwimmbecken mit Skulls in der Mitte, sehe ich vorm Spiegel, was ich falsch gemacht habe. Rudern besteht aus einer Reihe komplexer Bewegungsabläufe: Arme und Beine zu koordinieren ist leicht, aber die Skulls so durch die Hände gleiten zu lassen, dass man sich dabei nicht die Fingerknöchel stößt, ist für einen unsportlichen Journalisten eine harte Übung.

 

»Der Ruderkeller ist Hochwassergebiet«, erzählt Knut Kellerhoff und führt mich weiter in den Fitnessraum. Dank eines neu installierten Hochwasserschutzes stehen hier heute Gewichte und Ruderbänke, obwohl der Rheinpegel bei fünfeinhalb Metern liegt. »Früher mussten wir bei Hochwasser alles ausräumen«, sagt Kellerhoff. »Wenn das Wasser wieder weg war, war alles voller Schlamm.« Denn auch das ist der Rhein: Arbeit statt Entspannung.

 

 

Text: Christian Werthschulte

 

 

Krabbe mit Migrationshintergrund

 

Biologe Georg Becker erforscht auf einem schwimmenden Labor der Universität zu Köln das Leben der Wassertiere

 

Die Chinesische Wollhandkrabbe ist Georg Beckers Lieblingstier. Eine Augenweide ist sie indes nicht: gepanzerter Körper, zwei große behaarte Scheren, sechs spinnenartige Beine, skeptisch blickende Augen auf langen Stielen. »Gespenstisch! Bedrohlich! Mächtig!«, jubelt Georg Becker und blickt auf das Schalentier in seiner Hand, das ausgestreckt bis zu 30 Zentimeter groß wird. »Für einen Wissenschaftler ein unglaublich spannendes Tier mit phänomenaler Bio- und Ökologie!«, erläutert Becker. Vor rund hundert Jahren mit Frachtschiffen aus Asien eingeschleppt, wandern die Jungtiere nach dem Schlüpfen im salzhaltigen Wasser den Rhein aufwärts — Migration wegen fehlender Nahrung an der Küste. Zur Fortpflanzung startet einige Jahre später eine erneute Wanderungsbewegung zurück zur Meermündung, die Männchen vorweg, die Weibchen hinterher. »Die Männchen warten dann schon und bilden ein richtiges Spalier für die Weibchen«, sagt Becker und kichert in seinen grauen Bart. 

 

Georg Becker ist stellvertretender Leiter der Ökologischen Rheinstation der Universität Köln, die in Höhe des Bayenthal-gürtels vor Anker liegt. 2002 funktionierte die Uni einen alten Frachter zum Forschungsschiff um, Becker ist seit 2005 dabei. Hier erkunden nun Wissenschaftler und Studenten das Öko-system Rhein. Schon als Doktorand hat Becker am Rhein gearbeitet: Für seine Promotion untersuchte er die Massenentwicklung einer netzbauenden Köcherfliege. Während seiner Diplomarbeit über Stechmücken ist er in den Abendstunden mit einem Kescher auf dem Autodach durch Merheim und Brück gefahren. »Manchmal habe ich mich auch als Lebendfalle aufgestellt und dann die Mücken abgesammelt«, sagt Becker und kichert wieder in seinen grauen Bart. 

 

Auch im Inneren des Forschungsschiffes plätschert es ununterbrochen. »Der Rhein fließt mitten durch unser Labor, das ist einmalig in Deutschland«, sagt der 63-jährige Biologe stolz. Wasser aus dem Rhein wird mithilfe eines ausgetüftelten Röhrensystems direkt in das »Fließwasserlabor« gepumpt, auch die Fließgeschwindigkeit kann exakt an den Rhein angepasst werden. 

 

Aus einer Rinne fischt Becker Muscheln, in einem bemoosten Bottich beobachtet er Krebse, Fliegen und Würmer. Das Labor ist aber nicht nur ein idealer Arbeitsort, um Tiere und Organismen unter natürlichen Bedingungen zu erkunden, sondern hier wurde auch ein biologisches Frühwarnsystem entwickelt: »Muscheln öffnen sich nur, wenn die Wasserqualität gut ist«, sagt Becker. Zuletzt ist ein neues Problem in den Fokus der Wissenschaftler gerückt: multiresistente Bakterien und Viren im Rhein. Mit Studenten arbeiten die Wissenschaftler an einem Projekt, um mit sogenannten Pflanzenflößen das Wasser zu filtern und Bakterien und kritische Viren zu eliminieren. Insgesamt sei die Wasserqualität aber in den vergangenen drei Jahrzehnten durch den Bau von Kläranlagen stetig besser geworden. »1900 lebten hundert Insektenarten im Rhein, in den 70ern haben wir noch fünf gezählt.« Mittlerweile sind wieder viele Tiere und Organismen zurückgekehrt, und auch zahlreiche Einwanderer haben sich angesiedelt. Zum Beispiel die Chinesische Wollhandkrabbe.

 

Text: Anja Albert

 

 

Randerholung mit Discokugel

 

Matthias Knopp findet am Rhein die Weitläufigkeit, die er in Köln sonst vermisst 

 

Ich wohnte lange draußen in Ehrenfeld, viel zu weit weg vom Rhein. Aber für mich hat der Rhein immer eine große Bedeutung gehabt. Dabei komme ich noch nicht einmal aus Köln, sondern aus Hückeswagen im Bergischen — also dem Rechtsrheinischen. Dort liegt die Bevertalsperre, als Kind war ich ständig dort. Ich paddelte als 10-Jähriger mit einem Faltboot herum, die Segelboote beeindruckten mich. Heute bin ich selbst Segler, habe alle wichtigen Scheine. Begonnen habe ich bei der Segelschule »Häcker« an der Bevertalsperre. Der Chef war cholerisch und einige Segelschüler hatten Angst vor ihm — mit denen musste ich dann immer segeln gehen. So wurde ich mit zwölf Jahren Segellehrer. 

 

Den Rhein entdeckte ich dann als Kind auf den Radtouren, die meine Eltern mit meiner Schwester und mir machten. Er war für mich ein Meer. Da war Weite und Freiheit. Ich habe Schiffe gezählt — drei Stunden dauerte das manchmal.

 

Später bin ich viel mit meinem Rennrad am Rhein gefahren, auch nach Bonn und Düsseldorf. Und ich habe die Sandstrände für mich entdeckt. Durch meine vielen Zugänge zum Rhein ist er etwas Besonderes für mich geworden. Angeblich auch für die Kölner, sie besingen ihn ja oft. Aber von der Stadtspitze wird er ignoriert. Deshalb beschäftigt mich der Rhein auch politisch, ich bin Mitglied der Wählergruppe »Deine Freunde«. Wir finden, wie in Köln der Zugang zum Rhein geschaffen, vielmehr: nicht geschaffen wird, ist provinziell. Nur auf den Brücken bekommt man ein Gefühl von Weitläufigkeit, etwas, das ich in Köln sonst vermisse. Der Zugang zum Rhein und zu den Brücken müsste für Radfahrer und Fußgänger verbessert werden — und es ist ein Unding, dass entlang des Ufers eine Autoschnellstraße alles abriegelt.

 

Auch kulturell könnte der Rhein genutzt werden: Im Sommer 2011 habe ich mit Freunden die »Randerholung 695« in Niehl veranstaltet. Man sitzt dort ja wie vor einem Urlaubspanorama: Schiffe ziehen vorbei, man schaut aufs Wasser und auf den Wald am Ufer gegenüber ... In dieses Panorama haben wir Leinwände gestellt, auf die Urlaubsdias von anderen Orten und aus anderen Zeiten — alle aus Haushaltsauflösungen — projiziert wurden; natürlich mit Musik unterlegt. Und es gab eine Discokugel, die an einer Seilkonstruktion über dem Strand schwebte!

 

Bei unserer »Elektronischen Datscha« in Niehl feierten wir sogar im Rhein. Das Wasser war die Tanzfläche, in der man knietief watete. Auf einem Schiff, mit dem wir dort vor Anker lagen, habe ich — aka »ponk« — mit Freunden aufgelegt, Erfrischungsgetränke gab es am Schiff. Das war ein kleiner Kutter, Eigner sind die Leute vom Hostel »Weltempfänger« in Ehrenfeld. Die habe ich über Deine Freunde kennengelernt, und da ich ja den Schein habe, um das Schiff zu steuern, war das ein schöner Zufall. Und die Discokugel mit ihren dahinschwindenden Spiegelchen war wieder dabei.

 

Heute hab ich nur wenig Zeit für so etwas, ich lehre Sprachdidaktik an der Uni Köln und habilitiere gerade. Immerhin ist noch Zeit, am Uni-Rudern teilzunehmen. Man rudert vom Bootshaus in Rodenkirchen aus rheinaufwärts bis zum Weißer Bogen, um sich dann vom Strom in wenigen Minuten abwärts zurück zum Bootshaus mitreißen zu lassen. Das ist noch mal etwas ganz anderes als das Wasserskifahren, das ich manchmal auf einem Kitesurfbrett mache — Rudern ist viel ruhiger. Ein bisschen wie damals beim Paddeln auf der Bevertalsperre.

 

 

Protokoll: Bernd Wilberg

 

 

Die Hafenromantiker

 

Martin Henning und Willi Reuter koordinieren den Alltag im Niehler Hafen

»Wenn man den Fluss nicht liebt, ist man in diesem Job fehl am Platz«, sagt Martin Henning in seinem Büro im Niehler Hafen. Auf seinem Schreibtisch steht ein leicht angegilbter Computerbildschirm, eine orangefarbige Warnweste liegt auf dem Stuhl daneben. Gegenüber sitzt sein Kollege Willi Reuter und stimmt zu: »Für mich ist das wie am ersten Tag. An der romantischen Haltung zum Rhein hat sich durch die Arbeit nichts geändert.« 

 

Der Job der beiden Männer ist wenig romantisch — Reuter und Henning sind »Hafendisponenten«. Sie koordinieren den Alltag in Kölns größtem Hafen. »Wir teilen die Schichten der Kranführer ein, machen Abrechnungen, und zweimal im Jahr kontrollieren wir die Kaimauer«, beschreibt Willi Reuter seine Arbeit. »Jeden Morgen machen wir eine Hafenrundfahrt, um zu schauen, welche neuen Schiffe angelegt haben.«

 

Nicht nur die Köln-Düsseldorfer parkt ihre Passagierschiffe im Hafen Niehl, zusätzlich werden dort jedes Jahr etwa 2000 Schiffe be- und entladen. BP und Petrotank bekommen Öl, Ford bezieht über den Container-Hafen seine Bleche und Motoren. Die daraus hergestellten Autos werden dann im Hafen Niehl II in Merkenich verschifft. Insgesamt 30 Kranführer verladen die Container vom Schiff auf die Straße und Schiene. »Die Krananlagen laufen 24 Stunden täglich«, berichtet Willi Reuter. »Nur am Samstagabend machen wir ab 21 Uhr Pause, sonntags geht es dann um 6 Uhr morgens weiter.« Reuter hat früher selbst drei Jahre als Kranführer gearbeitet, das ist rund 30 Jahre her. Wegen der Stahlkrise in den 80er Jahren konnte er nicht mehr in seinem angelernten Beruf als Dreher arbeiten und heuerte beim Hafen an. »Ich war gerne auf dem Kran«, sagt er. »Besonders schön war es, wenn die Sonne auf- oder unterging.« Nach drei Jahren wechselte Reuter dann in die Hafenverwaltung. »Eigentlich hat man dafür immer Leute vom Schiff genommen«, berichtet er. »Ich hab ja mit der Schifffahrt selbst nichts zu tun gehabt.«

 

Martin Henning dagegen war auf dem Schiff — mehr als 25 Jahre lang. 1985 hat er als Schiffsjunge begonnen, später sein Kapitänspatent erworben. Er hat Binnengewässer befahren und die Küsten der Ostsee, den Großteil seines Schifffahrtslebens hat er aber auf dem Rhein verbracht. Zuletzt war er Kapitän der MS Stadt Köln, dem ehemaligen Ratsschiff, das nach seiner Stilllegung 2009 im Niehler Hafen vor sich hin rostet. »Man muss wissen, wie die Schiffer ticken«, sagt er über seinen Job. Denn die Hafendisponenten sind auf die Mithilfe der Rheinschiffer angewiesen. Sollen sie etwa ein Schiff eichen, um das Gewicht der Ladung zu bestimmen, müssen sie an Bord kommen. »Die meisten freuen sich, mal ein anderes Gesicht zu sehen, aber das Miteinander hat sich verändert«, sagt Martin Henning. »Man redet nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Vielleicht liegt es am stärkeren wirtschaftlichen Druck.« Die Rheinschifffahrt hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Die Schiffer müssen größere Schiffe fahren, um im Wettbewerb zu bestehen, und auf dem Rhein selbst drängeln sich Passagier- und Frachtschiffe um den knappen Platz in der Fahrrinne. Und wie sieht es an Land aus? In großen Häfen wie Rotterdam sind automatisierte Containerterminals längst der Regelfall. »Unsere Jobs kann man nicht automatisieren«, meint Willi Reuter. »Wir sind vereidigte Sachverständige, und elektronische Eichmarken sind nicht anerkannt.« Und Martin Henning fügt hinzu: »Letztlich muss das alles von menschlicher Hand überwacht und geführt werden.«

 

 

Text: Christian Werthschulte

 

 

 

Die Ordnung der Kunst

 

Hans Metzmacher führt durch den Stammheimer Schlosspark

 

»Wir wollen hier keine Absperrungen«, sagt Hans Metzmacher, »Die Leute können herumlaufen, wo sie wollen. Die Kunstwerke halten auch Kinder raus.« Metzmacher ist Mitglied der »Initiative Kultur Raum Rechtsrhein«, die seit 2001 den städtischen Schlosspark Stammheim bespielt und zu einem Skulpturenpark umge-widmet hat. Die Initiative besteht aus Künstlern, Kunsthistorikern und engagierten Bürgern aus Stammheim und Flittard. Metz-macher ist eigentlich Vermessungsingenieur, er kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit. Eine Schulklasse zieht vorbei, die Kinder lärmen fröhlich, aus dem Stimmengewirr hört man die Frage »Und hier stand wirklich mal ein Schloss?« Ja, und zwar direkt am Rhein, am Ende der Schlossallee mit einem wunderbaren Blick auf den Strom und Mülheim. Es war ein Rokokoschloss, um 1780 erbaut, 1944 durch einen gezielten Bombenangriff zerstört, der Reichs-arbeitsdienst hatte hier seine Dependance. Es wurde nicht wieder aufgebaut.

 

Wie ein Keil schiebt sich der Skulpturenpark zwischen Stammheim und die Kläranlage Flittard, die größte der Stadt. Die Sichtachsen und der stolze alte Baumbestand harmonieren perfekt, alles hat seine Ordnung, und trotzdem wuchert und blüht die Natur. Über uns zwitschern die wilden Wellensittiche, zwischen den Bäumen und auf der Wiese ragen die Skulpturen in die Landschaft. Am eindringlichsten wirken wuchtig-klobige Stahlklötze, die, mitten im Grünen platziert, ihre industrielle Wucht verloren haben und nun als Monolithen, die ein Riese nach einem Würfelspiel vergessen hat, Rost ansetzen. Wir laufen die Schloss-allee zum Rhein hinunter und biegen dann nach links, auf der einen Seite der Rhein, auf der anderen die Skulpturen, es ist eine angenehme Schwingung, die durch den Kontrast aus Wasserstraße, dem gegenüberliegenden Hafen und den zweckfrei platzierten Skulpturen entsteht. »Es gibt sogar eine Stelle, von der aus man den Dom sieht«, erzählt Metzmacher. Wir sind immer noch in Köln.

 

80.000 Quadratmeter groß ist der Park, 74 Kunstwerke beherbergt er, von denen jährlich dreißig bis vierzig wechseln, immer zu Pfingsten wird die neue Ausstellung eröffnet. »Wir haben mit regionalen Künstlern angefangen. Aber mittlerweile kommen auch Bewerbungen aus New York«, erzählt Metzmacher stolz. Die Entwicklung dieses Kulturraums ist gelungen (nahezu ohne jede öffentliche Förderung), aber unvollendet — und durchaus bedroht. Vor acht Jahren startete die Initiative das Vorhaben, sieben Rheinparks zwischen Bonn und Leverkusen mit einem Wassertaxi zu verbinden: »Die Rheinperlen« sollte das Label lauten. Eine dauerhafte Unterstützung durch die Kommunen blieb aus, das Projekt liegt auf Eis.

 

Die, wenn man so will, Bedrohung hat mit dem Klärwerk nebenan zu tun. Seit Jahren ist sein Ausbau geplant, zum Opfer fiele ihr das Ulrich-Haberland-Haus, das auf einem Teil des ehemaligen Schlossgrundstücks steht. Einst war es eine Seniorenresidenz für ehemalige Bayer-Angestellte, in den 80er und 90er Jahren fungierte es als Studentenwohnheim. Seit 2001 steht das Gebäude leer — und ist seitdem geplündert worden: »Rohre und Kabel finden Sie in diesem Haus nicht mehr«, sagt Metzmacher. Geht es nach dem Bürgerverein von Stammheim und Flittard, soll daraus wieder eine Seniorenresidenz werden. Dass eine so große Immobilie in einer Stadt, die unter eklatantem Mangel an Wohnraum ächzt, leersteht, ist jedenfalls irritierend.

 

 

Text: Felix Klopotek