Before Morning

Eins und eins macht viele: viele Möglichkeiten einander nah und fern zu sein. Die Choreografin Reut Shemesh, in Israel geboren, in den Niederlanden ausgebildet und vor ein paar Jahren nach Köln gezogen, nimmt sich wieder ein Duett vor. Die Tänzer wählten sie dafür aus, was in der Tanzszene ein ungewöhnliches Vorgehen ist. Diese Methode haben »Overhead Project« in den letzten Jahren in Köln erfolgreich angewandt: die beiden großartigen Artisten-Tänzer Florian Patschovsky und Tim Behren.

 

Unter ihrem Label läuft die Arbeit von Reut Shemesh nun auch. Denn Patschovsky wird die eine Hälfte des Duos sein. Die andere Marion Dieterle, Tänzerin und Choreografin und ebenfalls mit ihrem Label Dossier 3D-Poetry in den neu gegründeten Ehrenfeld-Studios beheimatet. »Before Morning« heißt das Stück, in dem es um Liebe geht, sie zu verfehlen und zu verlieren.

 

Man wähnt darin die berühmteste Liebesgeschichte der Welt: Romeo und Julia. »Ach, könnte die Nacht doch ewig dauern.« Aber Paare von heute plagen andere Sorgen als das Grauen vor dem Morgen und die Frage, ob Nachtigall oder Lerche singt. Es sind Widersprüche zwischen Autonomie und Abhängigkeit, Empathie und Work-Life-Balance, zwischen Entblößen und Mauern. All das rufen die drei mit Mitteln des Tanzes auf den Plan. Wie und was wirkt da, wenn man sich jemandem so bedingungslos hingibt, dass ohne dessen Halt der Absturz käme? Wie ist es, jemandes Gewicht zu tragen, auf Händen, auf dem Rücken oder den Schultern, festzuhalten oder loszulassen?

 

Bei Reut Shemesh kann man sich drauf verlassen, dass es kein romantisches Gesäusel oder Problempalaver geben wird. Sie ist Spezialistin für die Abgründe menschlichen Verhaltens. Shemesh zerknickt immer das, was eine gute Figur macht, schiebt Scherben ineinander wie Träume, verzahnt Hitze mit Kälte, quetscht aus der Erstarrung rettende Atemzüge. So etwa in »The Boy who cries Wolf«, ihrem ersten Stück für die beiden Overhead-Tänzer, oder ihrem starken Frauenduett »Leviah«. man muss damit rechnen, dass in »Before Morning« wohl immerzu der Wecker lärmen wird.