Selbstbewusste Erbsenfresser

Daniel Schüßler hievt Büchner in die Gegenwart von Trump und Putin

Am Anfang steigt der Lenz durch das Gebirge. Es ist ein ganz und gar unglückseliger Marsch, den Georg Büchner seine Figur gehen lässt — und gleichsam der Auftakt eines zwischen Dystopie und Hoffnung zerrissenen Schauspiels im Artheater. Auf der Bühne: acht Absolventen der Theaterakademie, das Stück: eine Diplominszenierung von Regisseur Daniel Schüßler vom Analogtheater.

 

Bereits 2012 war »Büchner«, so der Titel der dramaturgischen Spurensuche nach dem Dichter und Revolutionär , am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt worden. Falk Richter hatte damals den Stoff für die Collage zusammengetragen: Büchner-Texte, politische Pamphlete und Heiner Müllers kontroverse Dankesrede »Die Wunde Woyzeck«. Vier Jahre später sammelt Schüßler die Textfragmente erneut auf — und katapultiert sie in die politische Gegenwart von Donald Trump und Putin, von sinkenden Flüchtlingsbooten und postkolonialem Rassismus.

 

Doch dieser Spagat gelingt nicht immer. Woyzeck, der erbsenfressende Rechtmacher, der einfach zu viele Nebenjobs hat, wird als Sinnbild der heranwachsenden Generation Y angerufen: entfremdet, selbstoptimiert, gehetzt. Unter qualvollem Zucken winden sich die acht Schauspieler im Strob-Licht: der allesfressenden Kapitalismusmaschine. Sie können nicht aufhören im Kreis zu rennen und schlitzen sich die Kehle auf. Einige von ihnen werden an diesem Abend im permanenten Wechsel der Rollen noch untergehen. 

 

Nicht so die beiden Nachwuchsschauspieler Marius Theobald und Christine Last. In einem wie auf den Leib geschneiderten Kleidchen bringt Theobald den Gendertrouble auf die Bühne und persifliert Großmutters Gruselmärchen als groteske Popshow mit erotischen Balleteinlagen. Seine heimliche Geliebte, Christiane Last, kokettiert mit dem Ausbruch aus der Rolle der Schönheit, wenn auch mit einem Tick zu viel Sex und zu wenig Riot Grrrl.

 

Am Ende scheinen die acht Theaterabsolventen für den Umsturz der Verhältnisse bereit zu sein. Gewaltaufrufe folgen auf vergeistigte Revolutionsgebärden, alles mit ironischem Augenzwinkern. Dabei hätte gerade hier dem Stück etwas mehr Tiefgang gut getan: In einem heroisch anmutenden Standbild tragen die Schauspieler eine von Floskeln durchsetzte To-Do-Liste für das gute Leben vor, als würden sie Kalendersprüche zitieren: »einen Tag nichts kaufen«, »mal wieder sagen, was man meint«. Den erhobenen Zeigefinger haben alle erkannt, die im übervollen Theatersaal einen Platz im Gang ergatterten.

 

weitere Spieltermine Oktober 2016, Artheater