Unzeitgemäße Betrachtung

Der Düsseldorfer Kunstverein fragt mit einem Crossover-Projekt,

was »Das Neue« in der Kunst heute noch sein könnte

Was verbindet im Bereich der Kunst die Tradition mit dem Neuen? Zumindest so viel, dass mit beiden Begriffen momentan kein Blumentopf zu gewinnen ist. Schulterzucken und Abwinken, wenn man diese Kategorien aufruft. Genau dies hält aber Hans-Jürgen Hafner, den Leiter des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf, nicht davon ab, zum Ende seiner Amtszeit mit diesen ausgemusterten Begriffen ein wenig zu spielen. 

 

Noch bevor man den Ausstellungsraum betritt, prangt der Ausstellungstitel »Das Neue« gleich viermal in überdimensionierter Schrift auf der Wand. Was hat es mit dem Neuen auf sich, wenn es augenscheinlich der penetrant mehrmaligen Wiederholung bedarf? So neu kann es doch nicht mehr sein! Diese Vermutung bestätigt sich beim Gang in die Ausstellung. Denn dort stoßen wir auf einen Oldtimer und einige übergroße schwarzweiß-Abzüge mit Motiven aus der Düsseldorfer Nachkriegs-Moderne. Das Drei-scheibenhochhaus und die Berliner Allee, mit intakter Straßenbahn inmitten des Wiederaufbaus. Neu wären doch wohl eher die neuen U-Bahnstationen der gerade erst eröffneten Wehrhahnlinie. Hier wird also ordentlich gegen den Strich gebürstet. 

 

Wie alt darf das Neue sein? Das wäre wohl die angemessenere Frage. Eine passende Antwort lieferte seinerzeit mit einer gehörigen Portion Emphase der Schriftsteller Rainald Goetz: »Das Neue kann so alt sein, wie es will, als Idee, es bleibt EINE zentrale Kategorie für Qualität. So wie Stimmigkeit, Logik, Schönheit etc. Es gibt kein tolles nichtneues Kunstwerk. Weil Kunst von Kunst und Zeit gemacht wird, nicht von Intentionen.« Dementsprechend wirft die Ausstellung einen neuen Blick auf das alte Neue. 

 

Die Ambivalenz des Themas setzt sich in der Präsentation der Exponate fort. Neben aktuellen, genuin künstlerischen Arbeiten sind in Vitrinen ausgelegte Dokumente, Modelle oder reine Textbeiträge zu sehen. Sie rufen diverse Zeitschnitte schlaglichtartig auf, wobei der lokale Bezug zum Rheinland – oder noch enger zum Kunstverein – favorisiert wird. Zu sehen ist etwa eine Jahresgabe des ehemaligen Akademieprofessors Otto Coester: Sie wurde 1946 als Radierung unter dem Titel »Tempeltrümmer« angeboten, basiert jedoch auf einem Entwurf, der in die Nazizeit zurückreicht. Erinnert wird an das legendäre Sprachstück »Fa:m’Ah-niesgwow« aus dem Jahr 1959 von Hans G Helms aus seiner Zeit am Kölner WDR-Studio für elektronische Musik und im Atelier von Mary Bauermeister. 

 

Ein ähnliches Multitalent ist der 1940 geborene Amerikaner Henry Flynt, dem Hafner bereits eine Retrospektive widmete und damit zur Wiederentdeckung dieses Avantgardekünstlers beitrug. Flynts vielfältige Aktivitäten erstrecken sich auf Philosophie, Mathematik, Musik und Bildende Kunst im Umfeld von Fluxus und Konzeptkunst. Als eher unscheinbares Din A4-Blatt wird sein Text »Music of the Future« von 1961 gezeigt.

 

In mehreren Sparten beheimatet ist auch der an der Stuttgarter Merz-Akademie lehrende Michael Dreyer (*1953), dessen Installation mit dem erwähnten Oldtimer nahezu eine Raumhälfte dominiert. Der »Piccolo«, Baujahr 1907, scheint im Begriff, ein vor ihm platziertes Huhn zu überfahren – da der Motor jedoch ruht und das Huhn ausgestopft ist, dürfen wir das Geschehen getrost unserer Vorstellung überlassen. Dreyer hat zusammen mit Hafner auch das Konzept der Ausstellung entwickelt, die eine solche im engeren Sinne gar nicht ist und sein will. Wichtiger erscheinen die rhizomatischen Bezüge der Werke zu- und untereinander über Zeitsprünge hinweg.

 

Das regt einen Prozess der diagnostischen Interaktion an, und in diese mäandernde Recherche sind dann einige aktuelle Positionen eingespannt. Das Londoner Duo Revital Cohen & Tuur van Balen hat einen Haufen Computerschrott in den Entrée-Bereich gekippt und gemahnt an die hart umkämpften Bodenschätze, die zur PC-Herstellung benötigt werden. Auch die fragile Skulptur/Foto-Installation von Marina Pinsky (*1986) oder der Film des Dänen Martin K. Pedersen (*1987) über Bootsflüchtlinge aus Polen machen deutlich, dass das Neue mittlerweile eine Kategorie ist, die den Marktgesetzen geschuldet ist. Es entspringt einer Logik der Ökonomie. 

 

Die Forderung nach dem Neuen gehört demnach in den Bereich der ökonomischen Zwänge, die das Leben der Gesellschaft insgesamt bestimmen. Diese Arbeiten unternehmen den Versuch, ein Heute zu vermitteln, bei dem es darum geht, die in unserer Zeit stattfindende Vervielfältigung -synthetischer Wirklichkeiten zu begreifen. Es bleibt der Eindruck einer Diskursausstellung, die interessante Themen anreißt, sich in der Umsetzung jedoch gelegentlich verzettelt und ein ausgesprochen disparates Erscheinungsbild bietet.

 

 

Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, Di–So 11–18 Uhr, bis 17.7. Veranstaltungen siehe kunstverein-duesseldorf.de

 

Hans-Jürgen Hafners Amtszeit endet zum 31.8. Neue Direktorin wird die 38-jährige Kölnerin Eva Birkenstock, zuletzt Kuratorin am Kunsthaus Bregenz. Der Kunstverein Düsseldorf zählt mit über 3000 Mitgliedern zu den wichtigsten deutschlandweit.