Popo-Telefonie

materialien zur Meinungsbildung /// folge 174

 

Es gibt eine Redewendung, die drastisch beschreibt, wie sich Verachtung, tiefste Verachtung, ausdrückt: jemanden nicht mit dem Arsch angucken. Das ist eine korrekte Beschreibung, aber ich habe einen neuen, erweiterten, besseren Vorschlag: jemanden nicht mit dem Arsch angucken, aber durchaus noch mit dem Arsch anrufen. Wie mir meine Korrespondenten zutragen, existiert hierfür im englischen Sprachraum die Bezeichnung butt call, was man vornehm — so das in diesem Zusammenhang möglich ist — mit »Popo-Telefonie« übersetzen darf. Sicher haben auch sie schon mal gebuttcallt oder sind gebuttcallt worden, haben also selbst dieses hochnotpeinliche Delikt begangen. Falls nicht, dann haben sie es vielleicht nur noch nicht bemerkt. Denn bei einem butt call steckt das Telefon in einer hinteren Hosentaschen. Das ist nicht gut, wegen der Strahlung. Aber das Popo-Krebsrisiko ist ein vergleichbar geringes Problem, wenn Sie erfahren, dass Sie volltrunken und zu vorgerückter Stunde, auf womöglich fremden Sofas lümmelnd mehrfach ihre Mutter, ihren Anwalt, den Hausmeisternotdienst oder einen Menschen anrufen, den Sie eigentlich nie, nie, nie wieder anrufen wollten.

 

Das Problem hat viele Facetten, wir müssen das jetzt leider auswalzen. Wir, die Smartphone-Nutzer, sind von diesem vermeintlichen Helferlein zu Narzissten dressiert worden. Wir glauben, wir hätten Bedeutung: Jeder Anruf, jede SMS, jede E-Mail sei eine Bestätigung unserer Attraktivität — auch, wenn es bloß der Newsletter der »Initiative Streichelzoo-Patenschaft Niedersimten« ist. Es ist oft schmerzhaft, Selbstbetrug zu durchschauen.

 

Jedenfalls: Wenn wir morgens sehen, dass wir nachts angebimmelt wurden, kann das alles gewesen sein: ein Hilferuf in höchster Not oder bloß Popotelefonie.  

 

Man muss das als Buttcaller unbedingt klarstellen. Aber wie, verflixt noch mal? »Sorry, dass ich dich gestern Nacht so oft angerufen habe, eigentlich wollte ich dich längst aus dem Adressbuch gelöscht haben, du Trantüte« — das Schluchzen am anderen Ende der Leitung erträgt niemand, dessen Herz noch schlägt. 

 

Zu viele Einträge sind in meinem Telefon. Alles tickende Buttcall-Zeitbomben, die ich mit einer ungelenken Popobewegung zünden könnte. Brauchen wir gesetzlich vorgeschriebene Code-Sperren? Selbst Tote stehen noch in meinem Handy, ist das morbide? Ich habe mich seit Jahren nicht überwunden, die Nummer von Tante Roswitha zu löschen. Andererseits möchte ich auch nicht Gefahr laufen, sie anzurufen. Was geschähe wohl? Man will’s nicht wissen. 

 

Das popotelefonische Problem besteht auch, weil die Sitten verfallen. Immer mehr Menschen erwarten, dass sie einen Rückruf erwarten dürfen, auch wenn sie keine Nachricht zu hinterlassen haben. Rief mich die Sprecherin der Streichelzoopatenschaftsinitiative nachts an, weil sie besoffen an Toilettenwänden lehnte? Oder war ich ihre allerletzte Hoffnung, bevor sie ins Wasser ging?

 

»Warum machste das Telefon nicht aus? Oder steckst es woanders hin?«, sagt Gesine Stabroth. Danke. Das ist so, als fragte man Insassen einer Lungenheilanstalt, warum sie nicht früher mit dem Rauchen aufgehört hätten. Menschen denken nicht mit dem Kopf, sondern mit irgendetwas anderem: mit den Geschlechtsteilen, dem Bauch — oder aber dem Popo. Heißt es nicht, der Darm sei evolutionsgeschichtlich der Ursprung des Gehirns? Ist dann der Popo nicht topographisch eine Art Präfrontaler Cortex? Kann es sein, dass unser Hintern eigenmächtig telefoniert? Diese Theorie stellte ich Gesine Stabroth als Erklärung für meinen nächtlichen stummen Telefonterror vor. »Solche Entschuldigungen gehen mir am Arsch vorbei«, sagt sie darauf.