Foto: Dörthe Boxberg

Meine Pommes ess ich nicht!

Essen in Kitas und Schulen hat einen miesen Ruf — ­leider oft zurecht. Woran liegt das und wie könnte man es ändern? Und warum regen sich die Leute eigentlich so auf, wenn es um die Ernährung von Kindern geht? Wir berichten von politischen Initiativen für besseres Kita-Essen, befragen eine Expertin zur Geschmacksbildung bei Kindern — und besuchen einen Kinderkochkurs. Dörthe Boxberg hat Kinder bei ihren ersten Kochversuchen fotografiert und sich von jedem Kind ein besonderes Menü zusammenstellen lassen

as Thema Erziehung regt Eltern auf. Ständig fühlen sie sich beobachtet, kritisiert und haben das Gefühl, zu versagen. Beim Thema Ernährung ist es ähnlich, es hat sich ein dichtes Netz aus politischen, ethischen und stilistischen Regeln entsponnen, mit dem über Richtig und Falsch entschieden wird. Bei der Kinderernährung gibt es kein Halten mehr. Ständig prasseln neue Vorstellungen, Konzepte und wissenschaftliche Ergebnisse auf Eltern ein. 

Weil aber immer mehr Kinder kaum noch zu Hause essen, sondern bei Tagesmüttern, in Kitas und Offenen Ganztagsschulen, ist die Frage nach dem richtigen Essen keine individuelle Entscheidung mehr. Die einen fragen sich, ob es wirklich so schlimm ist, morgens zuckrigen Industrie-Kakao zu trinken. Die anderen ärgern sich, dass Kinder mit möglichst billigem Mittagessen der Aromenpalette der Lebensmittelindustrie ausgesetzt werden.

Die soziale Spaltung verläuft zwischen der Bio-Feinkosttheke und dem Regal mit den Fertiggerichten. Und während die Kinder in teuren privaten Kitas ökologisch korrekte vegetarische Menüs essen, bekommen sie anderswo frittiertes Billigfleisch vom Großcaterer. Indem wir uns für eine Kita mit oder ohne Bio-Gemüse, mit oder ohne Schweinefleisch entscheiden, entscheiden wir auch über das soziale Milieu, in dem unser Kind erzogen wird. 

Dabei sollte es ungeachtet von Herkunft und Geldbeutel der Eltern für jedes Kind möglich sein, in der Kita gutes Essen zu bekommen. »Gut« bezieht sich dabei nicht nur auf das Ausgleichen der Nährstoffbilanz. Kinder irritiert es, wenn sie nicht wissen, wo ihr Essen gekocht wird. Und wenn es dann auch noch zügig heruntergewürgt werden muss, um den straffen frühkindlichen Bildungsplan einzuhalten, werden auch die besten und vitaminreichsten Zutaten sie nicht überzeugen.

 

Der Konvektomat als Erzieher

 

Ist gute Ernährung an Kitas und Schulen eine pädagogische Aufgabe? Und wenn ja, was bedeutet das? Die Kölner Politik scheut sich, das Thema anzugehen. Sie fürchtet höhere Kosten und gestresste Erzieher. An den städtischen Kitas futtern die -Kinder derweil weiter Tiefkühlkost 

 

Früher schmierte man den Kindern ein Pausenbrot, brachte sie für ein paar Stunden in den Kindergarten und holte sie zum Mittagessen wieder ab. Ob die Kinder dann frisch gekochtes Essen oder Ravioli aus der Dose vorgesetzt bekamen, war nicht weiter der Rede wert. Doch heute, wo aus Kindergärten Kindertagesstätten geworden sind und aus Schulen Ganztagseinrichtungen, ist das Mittagessen ein großes Thema.

 

Laut einer Befragung im Auftrag der Landes-Verbraucherzentrale NRW werden 95 Prozent der Kinder in Nordrhein-Westfalen mehr als 35 Stunden pro Woche in der Kita betreut und müssen somit auch ein warmes Essen bekommen. Dessen Qualität überzeugt jedoch nicht alle Kinder und schon gar nicht alle Eltern. Da gibt es panierte Fleisch- und frittierte Kartoffelstücke, in Soße ertränkten Blumenkohl — und wer gar nach regionalen Produkten oder Bio-Qualität sucht, wird höchstens in privaten Kitas mit entsprechend höherem Essensbeitrag fündig. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gibt es nur in 12 Prozent der Kitas genügend Auswahl an Obst, und nur 19 Prozent bieten ausreichend Salat und Rohkost an. Fleisch dagegen wird im Übermaß aufgetischt. An wissenschaftlich begründeten Standards wie den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung orientiert sich nur ein Drittel aller Kitas.

 

»Essen wird im Ganztagsbetrieb als Notwendigkeit betrachtet: Es muss schnell gehen, sättigen und darf nicht viel kosten«, so Marc Schulz, Professor für Soziologie der frühen Kindheit und Familie an der Technischen Hochschule Köln. Diese Anforderungen kommen professionellen Cateringfirmen wie »Apetito« entgegen, die denn auch zwei Drittel aller Kitas in NRW mit Essen beliefern. Lediglich in 29 Prozent aller Einrichtungen wird selbst gekocht, wobei es große Unterschiede je nach Trägertyp gibt — Eltern-initiativen kochen zu 63 Prozent selbst. 

 

Laut Studie der Verbraucherzentrale bieten die Selbstkocher in der Regel bessere Qualität. Und was für Schulz beinahe genauso wichtig ist: »Die Kinder können nachvollziehen, wo ihr Essen zubereitet wird. Vielleicht können sie sogar an der Zubereitung partizipieren und sich beschweren, wenn das Essen nicht schmeckt.« All das falle weg, wenn das Essen von irgendwo angeliefert und den Kindern fertig portioniert aufgetischt werde.

 

In der städtischen Kindertagesstätte Weyertal gab es bis vor kurzem ein gemeinsames Frühstück, für das die Kinder Gemüse und Obst schnippelten und die Brote selbst schmierten. Nachdem die Kita das gemeinsame Frühstück aus dem üblichen Essensbeitrag nicht mehr bezahlen konnte, schlossen sich die Eltern zusammen. Sie sammelten zusätzliches Geld und bestellten die Zutaten fürs gemeinsame Frühstück in Eigenregie. Doch auch diesem Engagement der Eltern machte die Kita-Leiterin bald ein Ende. Begründung: den Erzieherinnen bleibe nicht mehr genug Zeit für die eigentlichen pädagogischen Aufgaben wie Sprachförderung. Das Jugendamt bestätigte den Entschluss: die Richtlinien der Stadt Köln sähen kein gemeinsames Frühstück in den städtischen Kitas vor. Seither bringen alle Kinder ihr Frühstück in eigenen Brotdosen mit.

 

»Das Argument, die Zubereitung des Frühstücks lasse nicht genug Zeit für pädagogische Aufgaben, ist so absurd wie entlarvend«, sagt Beryth Hardt, Mutter eines Kindes aus der Kita Weyertal. »Denn was wäre pädagogisch wertvoller, als gemeinsam das Essen vorzubereiten und am Tisch zu sit-zen? Dabei lernen die Kinder nicht nur Freude am Essen, sondern auch Verhalten in der Gruppe, Selbständigkeit und Verantwortung.« Gemeinsam mit Sophie von Wolff, der Mutter eines anderen Kindes, stellte sie einen Antrag im Ausschuss für Anregungen und Beschwerden. Darin fordern sie, das gemeinsame Frühstück in ihrer Kita wieder einzuführen — und darüber hinaus in allen städtischen Kitas in Köln zur Regel zu machen. 

 

Im Juni verhandelte der Ausschuss über das Ansinnen. Das Votum war einstimmig: Der Ausschuss bittet die Verwaltung, »die Einnahme des Frühstücks in den Kölner Kitas im Sinne der Elternschaft zu ändern.« Nun müssen Gesundheits- und Jugendhilfeausschuss darüber befinden, und auch der im März gegründete »Kölner Ernährungsrat« soll mitreden.

 

Initiator des Ernährungsrats ist der Kölner Dokumentarfilmer Valentin Thurn, der 2011 mit »Taste of Waste« die Verschwendung von Lebensmitteln durch die großen Konzerne aufzeigte und damit eine Debatte über den Umgang mit Lebensmitteln anstieß. Mit seinem Verein »Taste of Heimat« setzt sich Thurn für regionale und nachhaltige Landwirtschaft, faire Produktionsbedingungen und Direktvermarktung vom Bauernhof zum Verbraucher ein. 

 

Ziel des Ernährungsrats sei es, so Thurn, gemeinsam mit Bürgern, Initiativen, Landwirten, aber auch der Wirtschaft sowie Politik und Verwaltung ein ernährungspolitisches Leitbild zu formulieren. Neben Direktvermarktung und Landwirtschaft in der Stadt geht es auch um besseres Essen an Kitas und Schulen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker unterstützt die Initiative.

 

Ein Sprecher des Arbeitskreises »Ernährungsbildung und Schulverpflegung« beim Kölner Ernährungsrat ist der Ernährungswissenschaftler und Lebensmitteltechnologe Stephan Lück. Er leitet in Düsseldorf eine Fachhochschule für Hotellerie, Gaststätten und Systemgastronomie. »Mit Gemeinschaftsverpflegung kenne ich mich aus«, sagt er. »Und auch mit der Macht und den Machenschaften der Lebensmittelindustrie.« Wie Thurn tritt auch Lück für regionale Produkte, faire Preise und Ernährungsbildung ein. Kin-der sollten wissen, wo die Lebensmittel herkommen, wie sie produziert und zubereitet werden. Das zumindest ist das Ideal.

 

Momentan aber wird der weit überwiegende Teil der 230 städtischen Kitas von Apetito beliefert. Das Unternehmen mit Sitz in Rhei-ne ist Marktführer im Bereich der Massenverpflegung an Kitas und Schulen, aber auch in Kantinen. Mehr als 1,3 Millionen Menschen essen täglich Apetito-Gerichte. Die Firmengruppe hat fast 8000 Mitarbeiter und erzielte 2015 einen Umsatz von 800 Millionen Euro, ein Plus von 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Markt für Gemeinschaftsverpflegung boomt. »Ernährungsphysiologisch ist es nicht sonderlich bedenklich, dass Apetito sei-ne Mittagessen als Cook-and-chill-Produkte anbietet«, sagt Stephan Lück. Cook-and-chill bedeutet, die fertig zubereiteten Gerichte herunterzukühlen, so dass sie vor dem Essen lediglich noch aufgewärmt werden müssen. »Die Nährwerte bleiben dabei weitgehend erhalten, wenn sie fach-kundig erwärmt werden.« Allerdings gebe es in den Kitas und Schulen nicht im-mer geschultes Personal, das die Konvektomaten bediene. »Entscheidender aber ist, dass im Niedrigpreissegment die Grundprodukte problematisch sind«, sagt Lück. Weder regionale noch bio-zertifiziert Produkte seien zu dem Preis möglich. Und nicht zuletzt käme durch Großcaterer die Esskultur zu kurz, also gemeinsam eine Mahlzeit vorzubereiten und zu kochen. »Man muss aber realistisch bleiben«, sagt Lück. »In jeder Kita Köche anzustellen und täglich alles frisch zuzubereiten, würde teurer.« Und viele Eltern seien nicht bereit oder in der Lage, mehr als drei Euro täglich für das Essen ihrer Kinder zu zahlen. »Wir müs-sen einerseits gewährleisten, dass auch finanzschwache Eltern ihre Kinder in Kitas und Schulen versorgen lassen kön-nen. Andererseits müssen wir Caterern die Möglichkeit eröffnen, auch nachhaltige und regionale Produkte zu verwenden.«

 

Dass man an den Kitas schon bald auf die Anlieferung von Tiefkühlkost oder dergleichen verzichten könne, glaubt kaum jemand. Selbst Valentin Thurn sagt: »Cook-and-Chill ist nicht des Teufels, schlimm ist die Phantasielosigkeit von Anbietern wie Apetito.« Kleineren Unternehmen müsse es ermöglicht werden, gute regionale und fair bezahlte Produkte zu verwenden. Und an den Kitas und Schulen könnten ehrenamtliche »Food Scouts« des Ernährungsrats angestellt werden, um Ernährungserziehung und Ernährungsaufklärung zu vermitteln.  

 

Essen sollte fester Bestandteil des Lernalltags der Kinder werden, sagt Peter Zens, der wie Stephan Lück im Ernährungsrat Sprecher für Ernährungsbildung und Schulverpflegung ist. »Jede Schule hat einen Brandschutzbeauftragten, es gibt Standards für die Gebäudeausstattung und die Ausbildung der Erzieher. Aber für die Qualität des Essens ist niemand zuständig.« Zens ist Geschäftsführer des Gertrudenhofs, einem »Erlebnisbauernhof« in Hürth, der mit nach-haltigen und regionalen Produkten wirbt und mit Hoffesten und Streichelzoo vor allem Familien anzieht. Es wundert nicht, dass Zens vor allem Lösungen auf lokaler Ebene anstrebt, »kölsche Lösungen im besten Sinne«, und Pilotprojekte in Kitas und Schulen anstoßen will, um die Qualität des Essens zu verbessern. 

 

Doch wie will Zens sicherstellen, dass solche kölschen Lösungen nicht nur Kitas mit einer engagierten und gebildeten Elternschaft zugutekommen, die dafür offen sind? Schon jetzt gibt es private Kitas, in denen jeden Tag frisch, mit regionalen Produkten und unter Mithilfe der Kinder gekocht wird — ganz so, wie Peter Zens sich das wünscht. Doch diese Kitas verlangen einen deutlich höheren Essensbeitrag. Zahlen können oder wollen das meist nur Eltern, die ohnehin schon viel Wert auf »gutes« Essen legen und ihren Kindern das vorleben. 

 

»Ein Weg wäre, die Verbindung zwischen den Einrichtungen und den Landwirten in der Umgebung wiederherzustellen und neue Verkaufswege zu erschließen«, sagt Zens. Durch kurze Lieferwege könne man Geld sparen — und, indem man die Verluste minimiere. »Einerseits darf Essen nicht viel kosten, andererseits landet ganz viel im Müll.« Das liege an falscher Kalkulation, aber auch daran, dass die Kinder das Essen nicht mögen würden. Und wie sorgt man dafür, dass sie es mögen? »Indem man mit der Ernährungsbildung früh anfängt, die Sinne schult und den Kindern zeigt, wo das Essen herkommt«, sagt Zens.  

 

In der Kölner Politik ist die richtige Ernährung von Kindern schon länger Thema — auf dem Papier. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen ist im März dieses Jahres vereinbart worden, zu prüfen, ob an Kitas und Schulen »die Verarbeitung von Vorprodukten aus regionalem, saisonalem und biologisch zertifiziertem Anbau zur Voraussetzung gemacht werden kann«. Bereits 2009 war in der Vereinbarung der damaligen Koalition von Grünen und SPD die Rede von Kochkursen und Angeboten in Kindertagesstätten, die »das Bewusstsein für die Notwendigkeit gesunder Ernährung schärfen.« Passiert ist bisher nichts. Der Vorstoß der Eltern vom Weyertal im Ausschuss für Anregungen und Beschwerden könnte nun die Debatte befeuern. 

 

Für Thor Zimmermann, der über die Wählergruppe Deine Freunde in den Stadtrat gewählt wurde, ist die Sache klar. »Ernährung und Esskultur müssen endlich als pädagogische Aufgabe begriffen werden.« Er könne nur den Kopf schütteln über die Argumentation der Verwaltung. Das Jugendamt hatte gegen die gemeinsame Zubereitung von Frühstück an den Kitas angeführt, es dürfe »das Thema Ernährung nicht überproportional besetzt« werden. Dahinter stecke die haarsträubende Auffassung, dass gemeinsames Essen im Grunde nicht mehr sei, als alle bloß satt zu machen, sagt Zimmermann.    

 

»Ich bin erschrocken über diese Aussage der Verwaltung«, sagt auch Svenja Rabenstein von den Grünen, die auch zweite Vize-Vorsitzende des Jugendhilfe-Ausschusses ist. Auch sie unterstützt den Vorschlag der Eltern vom Weyertal. »Wenn die Verwaltung behauptet, das gemeinsame Frühstück halte Erzieherinnen von der eigentlichen Arbeit ab, zeigt das eine völlig überholte Vorstellung von Pädagogik«, sagt Rabenstein. Bei der Vorbereitung und beim Essen ließe sich sehr gut sprachliche, umweltpädagogische und auch mathematische Bildung vermitteln. Dass es teurer würde, wenn an den Kitas selbst und mit guten Lebensmitteln ge-kocht würde, weiß auch Rabenstein. Aber einmal die Woche gemeinsam frisch zu kochen und an den anderen Tagen einen guten Caterer kommen zu lassen, das müsse möglich gemacht werden, sagt sie. »Nur Apetito, das kann’s nicht sein.« Zumal der Großcaterer auch die Geschmacksbildung der Kinder negativ beeinflusse. 

 

Doch auch die Grünen sind noch zaghaft, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Seit die Partei 2013 für ihre Idee eines »Veggie Days« vor allem Häme erntete, ist man vorsichtig geworden. Essen ist ein emotionales Thema. Wer das Essverhalten regeln will, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, andere zu bevormunden. 

 

Auch für die SPD ist gesunde Ernährung durchaus ein pädagogischer Auftrag. Ralf Heinen, Bürgermeister und Vorsitzender des Jugendhilfe-Ausschusses, schlägt vor: »In einem ersten Schritt ließe sich die Situation verbessern, wenn Großcaterer nur für Kartoffeln oder Reis zuständig wären, aber Lebensmittel mit besonderem Frischewert wie Salate und Gemüse in der Kita zubereitet werden.« Wie und wann dieser Schritt getan werden kann, ist unklar. 

 

Im Juni wurde im Stadtrat wie zuvor im Jugendhilfeausschuss eine »Qualitätsoffensive in allen kommunalen Kindertageseinrichtungen der Stadt Köln« beschlossen. Bis zum Jahr 2022 soll es unter anderem systematische Fortbildungen für die Erzieher geben. 1,2 Millionen Euro sind dafür veranschlagt. Für Svenja Rabenstein von den Grünen gehört hierzu auch das Thema Ernährung. Genannt wird es im Beschluss nicht.