Tanz den H&M

Ein Interview mit Alexandra Dederichs und Esther Struck von der neuen Kölner Tanz- und

Performancegruppe »See!«

Kunst ist überall, man muss nur richtig hinschauen, behauptet die Performancegruppe »See!«. Derzeit tritt sie mit einer Reihe von Aktionen an öffentlichen Kölner Orten hervor, darunter ein Tanzstück in einem Designladen oder Tableaux Vivants von Fußballszenen auf dem Offenbachplatz. Die Aktionen verstehen sich als Pilotveranstaltungen für die geplante filmische Dokumentation des Projekts. Im Interview sprechen die Gründerinnen von See!, die Choreografin Alexandra Dederichs und die Performancekünstlerin Esther Struck, über die Hintergründe ihrer künstlerischen Interventionen.

StadtRevue: Bei eurer Aktion »WM-Tableaux« habe ich auf dem Opernplatz fünf Darsteller in seltsamen Posen, drei Dokumentationsmedien und zwei Regisseurinnen gesehen. Ich habe mich gewundert. Hätte ich auch etwas verstehen sollen?

Struck: Aber es gibt eine Menge zu verstehen, unsere Arbeit ist ja nicht sinnfrei! Wir haben bei dieser Aktion mit Fotografien aus der Zeitung gearbeitet, die Fußballszenarien darstellen. Diese Fotos haben wir aus ihrem Zusammenhang genommen und zu künstlerischen Posen erklärt. Im Grunde ist das nichts anderes als zu sagen: Das ist Kunst. Nimmt einen Wasserkrug. Das nehme ich aus dem Zusammenhang, stelle es woanders hin, gebe ihm einen anderen Auftrag, eine andere Farbe und schon wird er anders rezipiert.

Bei euren Performances kommt man tatsächlich schnell zu der Frage »Was ist Kunst?« Wie beantwortet Ihr sie?


Dederichs: Wir fragen uns: Wo fängt Kunst an? In unserer ersten See!-Aktion sind wir in ein Ladenlokal für Designmöbel gegangen, haben Beatles-Songs abgespielt und dazu getanzt. Demnächst werden wir in Modeläden gehen und zu der Musik tanzen, die dort läuft. Uns interessiert die Schwelle zwischen Alltag und Inszenierung, das, was passiert, wenn man in Alltagsmomente ein kleines bisschen gestaltend eingreift.

Was sicherlich stattfindet, ist eine Irritation im Augenwinkel. Was soll für den zufälligen Passanten, den Ladenbesucher daraus folgen?


Struck: Der veränderte Blick! Ich gehe ganz oft herum und sehe überall Choreografie oder Inszenierung. Ich sehe schöne Momente und denke, das ist es schon, wofür man sich als Künstler so abmüht: das zu konservieren oder nachzustellen. Wir wollen, dass der eigene Blick solche Qualitäten erkennen kann. Das ist mit »See!« unter anderem gemeint: wirklich genau hinzugucken.

Perfektion und Handwerk spielen keine Rolle mehr im Kunstbegriff?

Struck: Wir richten uns nicht nach den normalen Regeln von Dramaturgie, Inszenierung. Uns interessiert, diese Formen zu öffnen, gezielt nach einem anderen Publikum zu suchen, andere Rezeptionen zu ermöglichen.

Das klingt, als wäre See! als kleine Rebellion gegen den Theaterbetrieb entstanden. Was hat euch gestört?

Dederichs: Ich habe mich isoliert gefühlt. Ich nehme Themen aus der Welt, gesellschaftliche Themen, dann stecke ich sechs Wochen in einem Studio, einem dunklen Raum, der noch mal die Künstlichkeit erhöht – und bin einfach weg aus der Welt. Ich hatte immer ein Problem mit der Illusion im Theater und habe darin die Welt vermisst.

Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?

Dederichs: Esther und ich haben unsere Arbeiten gegenseitig beobachtet. Inhaltlich fühlte ich mich sehr verwandt mit ihr, nur die Mittel sind anders. Ich arbeite kinetisch, die pure Bewegung ist für mich sehr wichtig. Esther kommt von der bildenden Kunst. Diese ästhetischen Ansätze wollten wir verbinden zu hybrider Tanzkunst oder Performance-Art.

Wie würdet Ihr euch in der Kölner Szene verorten? Geht es euch um den anderen Akzent?

Struck: Szene – das ist immer Nische, da will ich gar nicht sein. In den so genannten Szenen vermisse ich, dass man kein Interesse an anderen Künstlern spürt. Uns geht es um Bündelung. Die Künstler, die bei uns arbeiten, machen jeweils ihren eigenen Kram. Eine Videokünstlerin macht eine Filmdokumentation ohne Instruktionen von uns, die zum Abschluss gezeigt wird. Im November kommt eine Rockband zu uns, die ihr eigenes Konzert geben wird.
Dederichs: See! bedeutet zwar einerseits das Englische to see, aber auch den deutschen »See«, weil hier viele Einzelströmungen zusammenfließen sollen. Unser Konzept ist, dass wir dies koordinieren und uns Leute suchen, die zu uns passen.

Zu euren Aktionen ladet ihr nicht speziell ein. Warum nicht?

Dederichs: Wir weisen mit Aufklebern an Laternen und Stromkästen auf unsere Webseite www.seeindeinerstadt.de hin. Dort sind auch die vorangegangenen Aktionen dokumentiert.

Struck: Solche Aufkleber sind ja Teil einer Subkultur und werben normalerweise für Klamotten oder einen Club, etwas wo man konsumiert, bezahlt, während wir in die Stadt gehen, um gerade dem Alltag, dem Geschäftemachen etwas entgegenzusetzen. Wir nutzen also diese Art der Werbung, wollen damit aber auf eine andere populäre Szene hinweisen: die Tanzszene.

Um ein tanzfremdes Publikum zu erreichen?

Dederichs: Ja, und wir bekommen positive Reaktionen, weil die Leute sehen, wie nah Tanz an ihnen dran sein kann. Für Theatergänger ist das natürlich nicht Tanz. Das irritiert, macht vielleicht sauer, weil sie das Virtuose im Tanz sehen wollen.
Struck: Aber wer darauf pocht, dem würde ich sagen: Theater versaut!

Performances: Nächste See!-Aktion am 17.9. in verschiedenen Modeläden der
Innenstadt. Weitere Aktionen im Oktober und November. Informationen kurzfristig unter www.seeindeinerstadt.de