Tiefer Schmerz

Jonathan Safran Foer leistet in »Extrem laut und unglaublich nah« erfolgreich Trauerarbeit

Ein Buch über Verlust. Über Schmerz. Aber auch über Wege, wie man mit Schmerz umgehen kann, der sich tief in den Eingeweiden eingenistet hat. Der Schmerz geht nicht weg. Aber man kann seinen ganz eigenen Weg finden, mit diesem Schmerz zu leben – zu erleben am Beispiel eines Neunjährigen.

Oskar Schell hat Depressionen, leidet unter Schlafmangel und Panikattacken. Er hat seinen Vater am 11. September in den brennenden Türmen verloren. Und dieser Verlust ist für ihn einfach nicht zu bewältigen. Wie weiterleben? Warum vergnügt sich seine Mutter mit einem neuen Mann? Warum leidet sie nicht so wie er? So wie sie eigentlich leiden müsste? Warum ist ihm seine Großmutter keine Hilfe? Warum geht das Leben eben doch einfach so weiter?

Verzweifelte Suche nach Trost

»Extrem laut und unglaublich nah« begleitet Oskar bei dem Versuch, mit einer Katastrophe umzugehen, mit der im Grunde nicht umzugehen ist. Doch Oskar findet seinen Weg. Er macht sich auf die Suche nach seinem Vater in den Straßen von Manhattan, immer ganz in Weiß gekleidet, immer sein Tamburin in der Hand (was nicht die einzige Reminiszenz an den Blechtrommler Oskar Matzerath ist). Er versucht, die Kontrolle über seine Welt zurückzuerlangen. Auf dem Weg begegnet er verzweifelten Hausfrauen, einsamen Kriegsberichterstattern, schrillen Neureichen, seelenwunden Taxifahrern. Und er tritt auf der verzweifelten Suche nach Trost und Seelenlinderung in Verbindung zu ihnen, durch Fragen, Gespräche, Briefe, Telefonate.

Es gibt Hoffnung

Wenn Oskar wieder und wieder die letzten Anrufbeantwortersprüche seines verängstigten Vaters aus dem World Trade Center abhört; wenn Oskars deutschstämmiger Großvater von einer längst vergangenen Liebe erzählt und von den Bombennächten in Dresden berichtet, zeigt Foer, der in den USA als literarisches Wunderkind gilt, sein Talent, den Schmerz ganz nah an den Leser heranzuführen. Immer auf der Gratwanderung zum seufzend Sentimentalen. Aber selbst tiefste Verzweiflung, in der sich das Unbehagen wie eine schwarze Kralle um das Herz legt, federt Foer durch leichte ironische Bemerkungen ab. Und Oskar redet und redet und redet.

Am Ende hat Oskar seinen ganz eigenen Weg gefunden, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Er ordnet die ikonographischen Bilder eines Mannes, der sich aus den brennenden Türmen gestürzt hat, wie in einem Daumenkino – jedoch in umgekehrter Richtung. Es gibt Hoffnung. Es gibt Wege.



Jonathan Safran Foer: Extrem laut und unglaublich nah. Deutsch von Henning Ahrends, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 432 S., 22,90 Euro.