Metronom als Herz

Tom ist ein Immobilien-Unternehmer der dubiosen Sorte und treibt für seinen Vater hin und wieder Gelder ein. Wenn er dem monströsen Mann gegenübersitzt, ahnt man, wie es unter Toms harter Schale rumort. Nur widerwillig macht er für seinen Vater die Drecksarbeit, im Zweifelsfall begleicht er dessen offene Rechnungen dann aber mit skrupelloser Brutalität.

Mythisches Familiendreieck

Trotz dieses genretypischen Gepränges ist Jacques Audiards vierter Film »Der wilde Schlag meines Herzens« vor allem ein mythisches Familiendreieck: Der dominante Vater lockt seinen Sohn zu sich in die Halbwelt des Verbrechens, das Ewig-Weibliche zieht ihn wieder hinan. Toms verstorbene Mutter war eine berühmte Pianistin, und der Sohn hat sein eigenes Talent am Klavier gepflegt, bis er dazu überging, Ratten in Mietshäuser auszusetzen und Immigranten-Familien aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Jetzt beginnt er wieder Klavier zu üben und trägt das doppelte Erbe seines Lebens wie eine unauslöschbare Schuld mit sich herum.

James Toback als Vorbild

Es ist erstaunlich, wie weit sich Jacques Audiard in seinem Remake von James Tobacks Debütfilm »Fingers« an sein Vorbild gehalten hat, und wie offensichtlich es doch ein Werk aus eigenem Antrieb ist. Für Toback war die reichlich weit hergeholte Geschichte vom Schuldeneintreiber, an dem ein großer Pianist verloren gegangen ist, ein Vorwand für seine persönliche politque d’auteur: Die leidenschaftliche Energie, die er in seinen Film gesteckt hatte, trat auf der Leinwand als alle Konventionen sprengende musikalisch-künstlerische Kraft hervor.

Romantisches Motiv mit sadistischer Note

Mit diesem glühenden Romantizismus hat das Remake nichts mehr zu tun. Audiard hat die Geschichte nicht nur ins heutige Paris verlegt, sondern auch seiner weitaus pragmatischeren Sichtweise angepasst. Für ihn ist »Fingers« vor allem eine Vorlage, an der er seine eigene Fingerfertigkeit unter Beweis stellen kann. Beeindruckend ist daher vornehmlich der Stil des Films: Stéphane Fontaines Kamera wirkt wie der von Romain Duris gespielte Protagonist stets wie auf dem Sprung, und die Lichtgebung evoziert eine Art impressionistischen film noir. Betont unterkühlt hat Audiard Toms Suche nach Erlösung in der Musik inszeniert – und diesem durch und durch romantischen Motiv eine beinahe sadistische Note verliehen. Aufregend anzuschauen ist das durchaus, doch lässt es einen wie die meisten Etüden mitunter kalt. Im Inneren dieses Films steckt weniger ein Herz als ein kunstvoll aus dem Takt gebrachtes Metronom.


Der wilde Schlag meines Herzens (De battre mon coeur s’est arrêté) F 05, R: Jacques Audiard, D: Romain Duris, Aure Atika, Emmanuelle Devos, 105 Min. Start: 22.9.