Foto: Manfred Wegener

Vogelsangerstraße: Spröde Schöne

Die Vogelsangerstraße verändert ihr Aussehen über Nacht

Noch vor wenigen Monaten war der Blick vom Schreibtisch aus dem Fenster wie Kino: Wer da so alles in wirklich großen, aber alten Autos vorfuhr und dann langsam über den Hof schlenderte. Cool. Viele von diesen Menschen waren wohl »Geschäftsmänner«. Richy begrüßte alle immer freundlich. Per Handschlag. Richy hatte Stil. Richy verkaufte Gebrauchtwagen. Vor allem breit bereifte, gefährlich tiefer gelegte Ehrenfelder Edelkarossen mit Stern und verdunkelten Scheiben. Richy war ein guter Verkäufer. Dabei war sein Containerbüro in der Ecke des Hofs kaum größer als drei ausgebaute Dixi-Klos.

Nur ein Haufen Schutt

Doch die eigentliche Geschichte beginnt so: Eines Tages war Richys Autocenter weg – mitsamt dem Containerbüro. Über Nacht verschwunden. Nur ein trostloser, kleiner Haufen Schutt zeugte von Richys blühendem Geschäft. Dann passierte auf dem Gelände an der Vogelsanger Straße Ecke Gürtel wochenlang nichts. Und langsam regte sich die Fantasie der stressgeplagten Großstadtseele. Was dort, im Herzen Ehrenfelds, nicht alles entstehen könnte: ein Park mit blühenden Gärten, einer Fußballwiese und kleinem See; ein Glasbau als Ruhe-Refugium; ein Zoo mit exotischen Tieren – wo man nicht länger von Autohupen, sondern von Elefanten-trompeten geweckt würde... Vielleicht war wegen dieser Träume der Schock umso größer. Wieder über Nacht stand da plötzlich ein riesiges Schild. Nur langsam drang dessen Botschaft als grausame Realität ins Bewusstsein: »Hier baut Burgerking. Einen Drive-In.« Statt Gebrauchtwagenmief oder Blütenduft in Zukunft also Whopper-Gestank!

Große Schwester Venloerstraße

Gäbe es einen City-Reiseführer nur für die Stadtteile Ehrenfeld, Bickendorf, Vogelsang – über den Ort des Geschehens stände da nicht die Geschichte von Richy, sondern eher: Die Vogelsanger Straße ist eine typische Großstadt-Verkehrsverbindung, zum Teil Gewerbegebiet, zählt unter den Straßen eher zu den spröden Schönen, erschließt sich dem Besucher erst auf den zweiten Blick. In der Tat: Auf der Vogelsanger kann man nicht an Schaufenstern vorbeibummeln, hier ist es selten so bunt und geschäftig wie auf ihrer großen Schwester, der Venloer Straße. Aber was sich alles hinter den 400 Hausnummern zwischen Grüngürtel und Militärring verbirgt: Ein paar Büdchen und Plus, der Verband der islamischen Kulturzentren, der Chaos Computer Club Cologne, ein Fitness-Center und – das Underground. Die Vogelsanger Straße rockt. Nachts. Ehrlich.
Richy ist der Vogelsanger übrigens treu geblieben. Büro und Autohandel finden sich jetzt ein paar hundert Meter weiter, Ecke Innere Kanalstraße. Der Schreibtisch aber steht seit letzter Woche nicht mehr am Fenster.