Intensität in Moll

Zsuzsa Bánk hat nach einem furiosen Roman einen Erzählband vorgelegt: »Heißester Sommer«

Kai, der Junge mit den losen Schnürsenkeln, spricht nicht viel. Der Anführer einer Bande in einer Siedlung am Stadtrand verschafft sich anders Respekt: durch massive Präsenz, durch Gesten, durch seine Hunde, die er zur rechten Zeit von der Leine lässt. Damit ist sein Repertoire erschöpft. Auch seine Zuneigung zu einem Mädchen aus der Nachbarschaft kann er nur so und nicht anders ausdrücken.

So wie in der Erzählung »Unter Hunden«, dessen Protagonist Kai ist, zeichnet Zsuzsa Bánk Charaktere und Begebenheit stets sparsam. Sie spart an Dialogen, an Adjektiven. Die klaren Konturen erhalten die Figuren durch ihr Tun und ihr Nicht-Tun, durch Gesten und Blicke und durch die Sätze, die sie nicht sagen, obwohl man sie in den entsprechenden Situationen gewöhnlich sagt. Dadurch entsteht eine Intensität in Moll, die schon Zsuzsa Bánks Roman »Der Schwimmer« (2002) auszeichnete. Er handelt von den Verstörungen eines Geschwisterpaares in Ungarn, dessen Mutter nach dem gescheiterten Aufstand von 1956 wortlos verschwindet und das mit dem Vater im Land umher zieht. Für dieses Debüt wurde die Autorin mit handfestem Lob überhäuft: Sie erhielt den aspekte-Literaturpreis, den Deutschen Bücherpreis, den Jürgen-Ponto-Preis, den Mara-Cassens-Preis sowie den Adelbert-von-Chamisso-Preis.

Nun hat die 40-jährige Frankfurter Autorin, Tochter ungarischer Einwanderer, nachgelegt und zwölf Erzählungen in dem Band »Heißester Sommer« versammelt. Die kurzen Geschichten handeln von Liebe, Verlust, Wiederbegegnung, Tod. Die ganze Palette der großen Gefühle also, die zu verhandeln immer die Gefahr birgt, Klischees abzurufen. Doch Zsuzsa Bánk umschifft diese Klippe, indem sie die Menschen und die Dinge im Kleinen betrachtet, die Details fokussiert. Und dabei einen Tonfall wählt, der distanziert ist und scheinbar ungerührt: »Später hat sie die Fotos ins Eisfach gelegt und erklärt, ihr Gefühl für mich sei so kalt wie die Temperatur in diesem Eisfach. Ich habe die Fotos dort liegengelassen. Neben drei Packungen Rahmspinat.«

Gerade diese Ungerührtheit verstrickt einen beim Lesen in die Atmosphäre der Geschichten und schafft nicht Distanz, sondern Anteilnahme. So sehr, dass man unwillkürlich längere Lesepausen zwischen die Geschichten legt.


Zsuzsa Bánk: Heißester Sommer.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, 152 S., 15,90 Euro