Ludwig: Kölner Museumsflimmern

Noch eine Rheinische Museumsvernissage: Direktor Kasper König hat umgebaut, umstrukturiert und mit dem neuen Team Konzepte erarbeitet. Um wieder internationale Klasse und Publikum zu gewinnen, setzt er auf Qualität und »Öffnung«. Über die museale Gratwanderung zwischen Unterhaltung, kunsthistorischer Pflege, Konservation und Förderung ausgefallener Positionen.

Im Rheinland tut sich was. Die Kölner und Düsseldorfer Museen stimmen zusammen einen Kanon des föderalen Systems an. Handelt es sich dabei, entgegen allen traditionellen Feindlichkeiten, um eine gezielte Aktion oder eher um ein Notprogramm für das tourismus- und kunstszenetechnisch ins Hintertreffen geratene Rheinland? Zumindest erscheint dies wie ein vielversprechendes Gegenbild zum Kulturmetropolenphänomen Berlin, das vor allem auf der Museumsinsel zu einem abgehoben eventistischen Museumspark zu werden droht. Zusammen mit den Neubauten für das Rautenstrauch-Joest-Museum, Kunsthalle und Kölnischen Kunstverein, dem Neubau Kolumba sowie in Düsseldorf dem zweiten Museum der Kunstsammlung NRW, dem Ständehaus, der Neugestaltung des Kunstvereins und des Kunstpalasts im Ehrenhof flimmert das rheinländische Kunstszenario auffallend hell.
Galt das architektonisch auffällige Museum Ludwig schon seit seiner Eröffnung 1986 als ernst zu nehmendes Museum für Gegenwartskunst, so stürzte seine Attraktivität, nicht zuletzt wegen der Querelen, in den letzten Jahren ins Bodenlose. Irgendwie konnte man, vor allem im Vergleich zu den publikumswirksameren und kunstwissenschaftlich interessanteren Ausstellungen in der Kunstsammlung NRW der rheinischen Nachbarstadt, immer öfter den Eindruck gewinnen, dass das Kölner Museum Ludwig sich institutionell selbstbehinderte. Dies soll nun anders werden.
Mit Kasper König, dem neuen Direktor des Museums Ludwig, kommt ein alter Haudegen in die Nachbarschaft zum Dom, der mit allen institutionellen Wassern gewaschen ist: Er war Herausgeber der für Fans der konzeptuellen Kunst legendären Buchreihe des amerikanischen Nova Scotia College of Art and Design in den 70er Jahren, lehrte Jahrzehnte an Kunstakademien (Düsseldorf, Frankfurt etc.); er kuratierte, um nur die wichtigsten zu nennen, die legendäre Ausstellung »Westkunst« (Köln, 1981), die in meiner Biografie ein frühes Kunstereignis bedeutete, war an der Konzeption der Münsteraner Skulpturenprojekte beteiligt und für die allerdings weniger ruhmreiche Kunstausstellung der letztjährigen Expo verantwortlich. Dies ist nicht gerade die Biografie eines klassischen Museumsmannes mit kunsthistorischem Studium, hebt sich jedoch glücklicherweise auch von dem Trend ab, Museen unter die Leitung von Managern zu stellen, denen oft jegliche Sensitivität für die Kunst fehlt. Und eines kann man dem neuen Museumsleiter sicher nicht vorwerfen, dass er kein Durchsetzungsvermögen hätte. Diese Überzeugungskraft gepaart mit einem gewissen burschikosen Charme ließ ihn wohl auch für Irene Ludwig, die Witwe des 1996 verstorbenen Stifters und Museumsgründers Peter Ludwig, zum Favoriten für die Museumsleitung werden, was auch von der Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer unterstützt wurde.

Zu den wichtigsten Gesten Königs gehörten die ohne Umschweife benannten neuen Kuratoren Ulrich Wilmes, Spezialist für museale Sammlungsbetreuung und Verwaltungsstrukturen und zuvor Kurator im Münchner Lehnbachhaus, und Fotografiespezialist Thomas Weski, der bisher die Fotoabteilung des Hannoveraner Sprengelmuseums mit einer Vorliebe für dokumentarische amerikanische Fotografie leitete. Allein die spezifische Zusammensetzung des Teams mit diesen bekannten Namen verspricht einen absoluten Neuansatz und frischen Wind für die Kölner Museumsinstitution, die bisher durch eine gepflegte Mediokrität charakterisiert war.
Zwei neue große Projektsäle im Museum Ludwig, »AC:« für Gleichstrom und »DC:« für Wechselstrom benannt, tragen sicher nicht nur für den Stones-Fan Ulrich Wilmes eine sympathische Konnotation seiner bevorzugten Musikrichtung, sondern sollen auch ein absolutes Spannungsmoment im architektonischen Zentrum des Museums symbolisieren. Zur Neueröffnung des Museums werden in diesen Räumen die KünstlerInnen Isa Genzken und Wolfgang Tillmans sowie Thomas Bayrle und Bodys Isek Kingelez in Kombination gesetzt. Ob die Videolounge im Untergeschoss, demnächst auch geöffnet während der Philharmoniekonzerte, als ein ebensolches kulturelles Spannungsmoment angenommen wird, ein tapetenartiges Videoflimmern darstellt oder eher Verstörung bei den LiebhaberInnen der gestrichenen Musik auslöst, muss abgewartet werden.
Für das Umgestaltungsprogramm des Hauses erwirkte König auch die dringend notwendige architektonische Öffnung des Eingangsbereiches, dessen bestes Moment der vom Stararchitekten Rem Koolhaas – ohne den macht man es nicht mehr – durchgesetzte helle Estrich gegenüber dem vorher erdrückend dunklen Boden bedeutet (siehe SR 9/01).
Wie nun also das »Museum unserer Wünsche«, wie der etwas vereinnahmende Slogan Königs lautet, sich dem Publikum (das sind wir) präsentiert, wird natürlich vor allem auch durch gelungene Publikumsansprache und ihre längerfristige Überzeugung zu bewerten sein, nicht durch ein einmalig knallendes Eröffnungsevent. Das weiß auch Kasper König, dazu braucht man eine lange Luft: den richtigen musealen Mittelweg einzuschlagen zwischen Unterhaltung, kunsthistorischer Pflege, Konservation und Förderung ausgefallener Positionen, daran sind in letzter Zeit schon andere gescheitert. Zumal die Museen in der Eventgesellschaft und den städtischen Imagepolitiken – Hochkultur enthierarchisierender Pop hin, Comedysierung der Gesellschaft her – zunehmend zu ideologisch bedenkenswerten Repräsentationsmaschinen des Neoliberalismus zu werden drohen: Publikumsorientierung ist wünschenswert, Populismus jedoch tödlich für ein Museum. Denn, wie die ganz im Zeichen des Ökonomismus stehenden 90er Jahre gezeigt haben, ist nicht jedes Publikum für die Kunst nützlich, und umgekehrt. Was sagen die BesucherInnenzahlen über die Qualität einer Ausstellung aus? Nichts. Sie können nur als Bestätigung für eine gelungene PR-Strategie gelten. Wie die Besuchermassen bei Ausstellungseröffnungen in Berlin-Mitte belegen, können sie noch nicht mal für kommerziellen Erfolg stehen. Wenn sich in der restlichen Ausstellungszeit kaum jemand für die Kunst interessiert, zeigt sich, dass etwa die viel gehypte Berliner Kunst nur als Hintergrundfolie für repräsentative politische Interessen dient.

Wenn nun auch die Sammlung des Museums Ludwig durch die von König gewünschten Neuankäufe ergänzt oder erweitert wird, kann dies nur insofern eine Bereicherung darstellen, als die Pop-Art-Sammlung, die dem Museum und der Sammlung Ludwig bisher ihr Gepräge gab, dadurch eine erhebliche strukturelle Ausweitung erfährt. Vorgeschlagene intellektuelle Positionen wie die Konzeptkunst von Marcel Broodthaers oder James Coleman und wichtige Positionen amerikanischer Dokumentarfotografie gehörten bisher nicht gerade zu Ludwigs Stärken. Mit der umfangreichen, sicher nicht immer erstklassigen Picasso-Sammlung lässt sich außer Schulklassen heute kaum jemand mehr hinter dem Ofen hervorlocken – ihr entsprechendes Arrangement gibt jedoch noch immer einen fotogenen Hintergrund bei gesellschaftlichen Anlässen ab.
Hier wird sich zeigen, ob in Zukunft auch Kunstpraktiken, die nicht bereits in den Galerien des Kunstmarkts ein Gähnen hervorrufen, ausgestellt werden. Genau diese – sozialkritischen oder nicht durch den Kunstmarkt standardisierten Positionen – fehlten nämlich bisher in allen Phasen des Museums Ludwig, dessen Gründer zudem auch durch seine auf der politischen Ebene durch Stiftungen und Schenkungen erzielten Erpressungen der Stadt Köln für leere Kulturkassen sorgte. Man denke nur an die von Experten bezweifelte Qualität seiner letzten »Schenkung«, die den Ausschlag für den überflüssigen und noch dazu architektonisch missglückten Bau des Museums Wallraf-Richartz gegeben hat. Die entsprechenden Ausgaben fehlten der Förderung von noch nicht etablierten Kunstpraktiken. Über all das konnte auch das gut designte, aber leider schlecht präsentierte Videoprogramm »filmbar« der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig während des Sommers auf dem Museumsdach nicht hinwegtäuschen, das bis auf wenige Ausnahmen ein vor sich hinplättscherndes Unterhaltungsprogramm bemühte; man kam vor allem, um mit Bekannten vor dem berauschenden Gewirr des gotischen Domdaches ein Glas zu trinken. Kann ein kulturell aufgemotztes Kölschtreff durchaus nette soziale Folgen zeitigen, so darf sich die Funktion eines Museums nicht darin erschöpfen.
Die Gründe für das früher meist zu wenig riskante, das heißt unaktuelle und höchstens auf einen Kulturtourismus ausgerichtete Programm schienen darin zu liegen, dass für die Sammlung Ludwig oft Masse Vorrang vor Qualität oder kritischen Positionen hatte und offensichtlich kein Museumsleiter seine Ideen frei entwickeln konnte. Dass den verknöcherten Strukturen nun abgeholfen werden soll, zeigt auch das im vorliegenden Heft präsentierte Insert, das separat als erster Katalog erscheint. Es bleibt zu hoffen, dass jenseits von einer Standortpolitik Königs Gesten das ehemals hochkulturelle Museum nicht nur architektonisch aufpeppen und mit saloppen Slogans sowie einer neuerzählten Sammlungsgeschichte bewerben, sondern auch die institutionellen Strukturen antasten. Inwieweit auch die noch nicht nach Berlin emigrierte Kunstproduktion nun von der neuen Museumsstruktur profitieren kann, wird sich zeigen. Für all diese Ansätze zeichnet sich ein durch seinen notorisch aktivistischen Mut bekannter Macher aus: Kasper König wird wohl zukünftig dafür verantwortlich sein, dass in Köln auf das Museumsflimmern kein Museumswimmern folgt.