Aus »komplizert« mach »einfach«

Die norwegische Sängerin Hanne Hukkelberg kommt nach Köln

Es gibt wohl in der jüngeren Musikkritik kaum ein größeres Klischee als das von der »elfenhaften« nordischen Sängerin, aus deren Musik man die »weiten Landschaften ihrer Heimat« heraus hören soll. Das Klischee bleibt noch dann eines, wenn es von Musikerinnen wie Björk ab und an selbst bedient wird.

Komplexes in einfachem Gewand

Auch das Debüt der 26-jährigen Hanne Hukkelberg aus Kongsberg in Norwegen wird wohl bald mit Attributen wie »elegisch«, »verträumt« oder »glasklar« belegt werden. Schuld daran trägt ihre Stimme, die nicht anders als schön genannt werden muss. Hukkelberg beherrscht es, komplizierte Jazzphrasen absolut souverän zu singen, an anderer Stelle aber möglichst einfach in Kinderlied-Manier zu trällern oder mit der Intonierung konsequent daneben zu liegen. Darin ähnelt ihr Gesang dem von Björk, wirkt allerdings an keiner Stelle artistisch. Im Gegensatz zu Björk präsentiert sich hier Komplexes in einfachem Gewand; den Eindruck des Staunens und Stutzens vermeidet Hukkelberg konsequent.Hanne Hukkelberg singt seit ihrem dritten Lebensjahr. Ein solches, von der Kindheit an ausgebildetes Talent läuft Gefahr, mit dem Erwachsenwerden überambitioniert zu klingen. Doch Hukkelberg hat zugleich eine Vorliebe für verspielten Minimalismus. Schon als Kind soll sie sich mit ungewöhnlichen Instrumenten begleitet haben, Kaffeetassen ebenso wie Spieldosen. All das findet sich auf ihrem im Frühjahr erschienen Debüt »Little Things« wieder, ursprünglich aufgenommen für das junge Label »Propeller Recordings« in Oslo.

Filigrane Arbeit, transparenter Klang

Der CD-Titel könnte sich auf all das beziehen, was im Studio zum Einsatz gekommen ist: Weingläser, Casio, Glockenspiel, Töpfe, Dosen und Waschschüsseln, die es leise im Hintergrund plätschern lassen. Das hört sich frappant nach Coco Rosie an, den diesjährigen Shooting Stars der Independent-Szene (siehe auch StadtRevue 09/05). Doch Hanne Hukkelberg arbeitet filigraner, klingt transparenter. Wo Coco Rosie Sounds und Gesang bewusst verwischen, verhuscht oder verknödelt klingen, bleibt bei Hukkelberg – hier tatsächlich einem Klischee vom nordischen Pop entsprechend – alles glasklar. Akkordeon, Violine und Blasinstrumente setzen immer wieder Tupfer, formen allerdings nie durchgehende Melodien. Sie bleiben fragmentarisch, werden ähnlich wie im Solowerk des Talk Talk-Masterminds Mark Hollis in Bezug zu lang anhaltenden Momenten der Stille gesetzt. Ob das nun Pop, Indietronics, Chanson oder am Ende bereits Jazz ist, lässt sich nicht wirklich beantworten. Es ist auch als Frage weniger spannend als das musikalische Ergebnis, das in seinen besten Momenten Standards der jeweiligen Genres zu vermeiden versteht, indem sich die verschiedenen musikalischen Elemente einander immer wieder gebrochen spiegeln und dadurch relativieren.

»Unmögliche Melodiebögen«

Dieses Prinzip, die Dinge selbst dort noch einfach zu halten, wo es sich bei genauem Hinhören um komplexe Strukturen handelt, hat Philipp Böckle im Hayfever-Magazin in Bezug auf »Little Things« als »unmögliche Melodiebögen« bezeichnet. Es entspricht dem derzeitigen Trend zu einer neuen musikalischen Archaik, einer Songwriter-Archaik. Von der ungewöhnlichen Instrumentierung einmal abgesehen reiht sich die Musik von Hukkelberg in eine neue Schule von Songwriterinnen ein, die ihr Handwerk meisterlich beherrschen und dennoch (oder deshalb) möglichst schlicht rüberkommen, zum Beispiel Julie Doiron und Diane Cluck. Sie alle sind bereits mit Joni Mitchell verglichen worden. Dieser Name fällt auch im Label-Info zu »Little Things«. Böse Zungen könnten das reaktionär nennen, provoziert die Musik doch, sich in eine Decke zu kuscheln, die Augen zu schließen und – vor dem Klischee gibt es kein Entrinnen – weite Landschaften vorm geistigen Auge vorüberziehen zu lassen.

Melange aus Hippietum und neuer Innerlichkeit

In ihrer Melange aus Hippietum und neuer Innerlichkeit korrespondiert diese Musik mit der in der Frankfurter Kunsthalle Schirn jüngst proklamierten »Neuen Romantik in der Kunst der Gegenwart«, also Bildern von nackten, langhaarigen Knaben und Mädchen, die sich vor verwunschenen Seelandschaften räkeln. Erscheint uns diese Musik nur deshalb erträglicher als der Kuschelpop von 2Raumwohnung, weil die Texte in englischer Sprache daherkommen? Die Kunst von Hanne Hukkelberg, komplex aufgebaute Songs sehr straight zu inszenieren, ließe sich allerdings in eine ganz andere Tradition einreihen, nämlich in die des »Simplifying« von Robert Wyatt. Als Wyatt diesen Begriff in den 80er Jahren aufbrachte und Jazz-Standards auf einfache Keyboard-Melodien übertrug, verfolgte dies einen ganz anderen Zweck, nämlich den des AgitProp: Die Musik sollte verstehbar sein und zugleich in ihrer Einfachheit anrührendes Ausdruckmittel linker Aufklärung. All das ist lange her und lässt sich nur schwerlich auf die Songs von Hukkelberg übertragen, die viel stärker Kunstautonomie für sich beanspruchen. Es gilt dies aber zu bedenken, wenn man nicht alle der neuen stillen Songwriter über einen Kamm scheren und ihnen pauschal einen »Rückzug ins Individualistische« attestieren will.

Konzert: Stadtgarten, 1.12., 20.30 Uhr
Tonträger: Hanne Hukkelberg, »Little Things« (The Leaf Label/Hausmusik/Indigo)