Transit Köln

Reich bestückt und halb verschenkt: Mit einer mehrteiligen Ausstellung findet das »Projekt Migration« seinen Abschluss

Ein großformatiges Werbebanner mit dem Schriftzug »Projekt Migration« hängt an einer grau verputzten Hauswand in der Hahnenstraße. Nicht unoriginell, denkt der unbedarfte Passant, ein ganzes Wohnhaus mitten in der Kölner Innenstadt in ein Migrationsprojekt zu verwandeln. Diese Vorstellung allerdings beruht auf einem Fehlschluss, denn es handelt sich hierbei um den Titel einer Ausstellung – inklusive Forschungsarbeit und Langzeit-Begleitprogramm –, die schräg gegenüber in den Räumen des Kölnischen Kunstvereins und an vier weiteren Orten in der Stadt zu sehen und zu hören ist: in leerstehenden Büroetagen am Friesenplatz und am Rudolfplatz, in einem Ladenlokal neben dem Hotel Crowne-Plaza und an der Hohenzollernbrücke in Form einer spektakulären Installation.

Jubiläum des Anwerbeabkommens als Ausgangspunkt

Ausgangspunkt dieses mit insgesamt vier Millionen Euro budgetierten »Initiativprojekts« der Bundeskulturstiftung, das an den hiesigen Kunstverein als Träger direkt vergeben wurde, ist das deutsch-italienische »Gastarbeiter«-Anwerbeabkommen, dessen Unterzeichnung sich 2005 zum 50. Mal jährt. Als weitere Projektpartner wurden das Kölner DOMiT (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland), das Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt/Main und das Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst der HGK Zürich eingeladen. Die Ausstellung thematisiert zum einen die Arbeitsimmigration in die BRD seit 1955, zum anderen die »neue Präsenz der Migration seit 1989« in Europa. Vergeblich sucht man jedoch in den Infotexten auch nur nach einer kurzen Klärung des Begriffs »Migration«. Zwischen den Zeilen wird vermittelt, dass es sich bei dem Phänomen Migration um etwas Neuartiges, Schillerndes und Dramatisches handelt. Tatsächlich bezeichnet das lateinische Wort für »Wanderung« in der Soziologie eine Form der »horizontalen Mobilität«, die im weitesten Sinn jeden längerfristigen Wohnorts-wechsel eines Menschen meint. Und dass sich Einzelne oder Gruppen auf den Weg machen, um schlechten oder katastrophalen Lebensbedingungen zu entfliehen und bessere zu finden, ist so alt wie die Menschheit. Das zumindest hätte an der einen oder anderen Stelle ruhig erwähnt werden können – ohne dadurch die Bedeutung und Forschungswürdigkeit dieses Großraumthemas auch nur im geringsten zu schmälern, im Gegenteil.

Transdisziplinäre Darstellung des Phänomens Migration

Zentraler Gedanke der Ausstellungskonzeption ist es, Dokumente und Dokumentationen zusammen mit künstlerischen Arbeiten zu präsentieren, die teilweise eigens für diese Ausstellung produziert wurden. Die skeptische Nachfrage, welcher Erkenntnis- und Verständnismehrwert mit dieser Art der Vermischung denn erzielt werde, ob nicht womöglich für ein breiteres Publikum sogar eine Verunklarung entstünde, haben die beiden Projektleiterinnen Kathrin Rhomberg (Kölnischer Kunstvereins) und Marion von Osten (Professorin an der HGK Zürich) wohl öfters zu hören bekommen. Aus ihrer Sicht wohl eine recht naive Fragestellung, denn wer könne heutzutage noch an »transdisziplinären« Arbeits- und Darstellungsformen zweifeln? Doch wer jetzt durch die Ausstellungsräume geht, muss erleben, wie berechtigt solche Skepsis ist: Einerseits können künstlerische Arbeiten nicht einfach als Dokumentationen gelesen werden, andererseits sind gute Werke zu eigenständig und vielschichtig, als dass man sie zur simplen Themenillustration degradieren dürfte.

Wiederbegegnung und Neuentdeckung

Trotzdem: Die Ausstellung ist reich bestückt. Vor allem DOMiT wartet mit einer Vielzahl von Film-, Foto-, Ton- und Schriftdokumenten auf, die den Besuch lohnen. Manche Künstlerarbeit ist eine schöne Wiederbegegnung und gar Neuentdeckung. Dazu gehören mit Sicherheit Beuys’ »Ausfegen«, Lisl Pongers »Passagen«-Film, Doris Frohnapfels projizierte Fotoreihe »Border Horizons« oder das Video »hollow bones« von David Blandy. Ersteigen sollte man unbedingt Tazro Niscinos beeindruckende Einhausung des Kaiser-Wilhelm-II-Reiterstandbilds. Die aufgeblasene »Installation« aus zehn Flachbildschirmen am Crowne-Plaza-Hotel von Gustav Deutsch mit »Tatort«-Szenen, in denen Migranten dargestellt werden, kann dafür getrost ausgelassen werden. Eine sehr schöne Einrichtung dagegen im Kunstverein selbst, die wandernde Bar der Künstlergruppe NonStopNoStops, wird inzwischen so sehr von den Hausregeln drangsaliert – insbesondere der entstehenden Essensgerüche wegen –, dass man sich an die »Gastarbeiter«-Probleme der 60er- und 70er-Jahre erinnert fühlt. Am Schluss bleibt die große Frage: Warum dieses wichtige Projekt, das mit möglichst großer Popularität belohnt werden sollte, in einem Kunstverein verstecken und nicht als z.B. fundierte Doku-Reihe im Fernsehen zeigen, begleitet von einer DVD-Edition? Warum nicht als Buchreihe auflegen? Und wenn es tatsächlich eine Ausstellung sein muss, warum wird sie dann nicht als Wanderausstellung in den großen Häusern Deutschlands gezeigt, angefangen bei der Bundeskunsthalle? Der Besucher jedenfalls wundert sich über diese auf ein diskurstrainiertes Kunstpublikum zielende Strategie.

Projekt Migration: bis 15.1.06, Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6; Rudolfplatz/Hahnentor (An d’r Hahnepooz 8); Friesenplatz/Hohenzollernring 67-69
Info + Begleitprogramm:
www.projektmigration.de