Verwischte Grenzen

Fragen an den Lobby-Kritiker Ulrich Müller

StadtRevue: Ende Oktober hat sich »LobbyControl« gegründet. Wozu dient die Organisation?

Ulrich Müller: LobbyControl ist ein Kreis von Menschen aus sozialen Bewegungen und der Wissenschaft, der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit aufzudecken versucht. Wir wollen wissen: Wie funktioniert verdeckte Einflussnahme heute, wo liegen Missstände, wie kann man Politik transparenter und demokratischer machen?

Können Sie Beispiele für verdeckte Einflussnahme nennen?

Es gibt etwa Chemiefirmen, die Organisationen mit wissenschaftlich und umweltbewusst klingenden Namen gründen, denen es aber tatsächlich darum geht, die Regulierung von Chemikalien zu verwässern. Eine solche Organisation ist zum Beispiel das Bromine Science and Environmental Forum in Brüssel, das von der Brom-Industrie gegründet wurde. In so einem Fall muss man einfach wissen: Wer steckt hinter einer solchen Vereinigung, wer finanziert sie, und: Wo versucht sie Einfluss zu nehmen? Ein anderes Beispiel, mit dem wir uns intensiv beschäftigen, ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, eine Lobbyorganisation der Arbeitgeberverbände.

Was kritisieren Sie an der Initiative?

Sie tritt mit Anzeigen und eigenen Publikationen in der Öffentlichkeit auf und bezeichnet sich dabei stets als überparteiliche Reformbewegung, obwohl sie einseitig von den Arbeitgeberverbänden finanziert wird und deren Interessen vertritt. Wenn man nachfragt, erfährt man das auch. Trotzdem versucht die Initiative nach außen, ein bürgernahes Image zu transportieren, sie arbeitet also nur halb transparent. Eigentlich müsste auf jeder Anzeige und unter jeder Publikation stehen, dass sie arbeitgeberfinanziert ist.

Die Initiative hat ihre Anliegen sogar in Fernsehsendungen platzieren können – in gekauften Dialogen der Vorabendserie »Marienhof«.

Das war ein besonderer Skandal. Bei diesen Dialogen ging es um Werbung für Zeitarbeit und für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Das war im Jahr 2002, als die Hartz-Kommission gerade ihre Vorschläge erarbeitete. In den Dialogen wurde außerdem Reklame für Wirtschaftsunterricht in der Schule gemacht, es gab Plädoyers, wonach die Steuern und Abgaben zu hoch seien. Rund 58.000 Euro hat die Initiative dafür bezahlt. Inzwischen gibt sie zu, dass die Aktion ein Fehler war, es werden aber keine Konsequenzen gezogen. Das ist ein deutliches Beispiel dafür, dass die Verantwortlichen ohne Rücksicht auf journalistische oder ethische Standards vorgehen.

Handelt es sich dabei um einen Einzelfall?

Diese Geschichte ist besonders brisant, aber es gibt auch andere Fälle, sowohl bei anderen Lobbygruppen als auch bei der Initiative. Sie schafft es immer wieder, ihre Botschaften durch den Einsatz enormer finanzieller Mittel in den redaktionellen Teilen von Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen zu unterzubringen. Dabei werden die Grenzen zwischen PR und Journalismus verwischt. Solche Einflussnahme wollen wir mit LobbyControl aufdecken und analysieren.

Zur Person
Ulrich Müller (33) ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied von LobbyControl – Initiative für Transparenz und Demokratie (www.lobbycontrol.de). Müller arbeitete von 2001 bis Anfang 2005 bei der Menschenrechtsorganisation FIAN, davor am
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.



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